Der Streit um die neue Flugroute bestimmte die Diskussionen im Kreis Esslingen. Nach der Entscheidung am 4. Juli positionierten sich einige Kommunen für eine Klage.

Die Fronten bleiben hart. Die neue Flugroute in Richtung Süden wird erst ab 23. Februar 2023 geflogen. Doch die Debatte spaltete die Kommunen im Kreis Esslingen auch 2022. Die Entscheidung in der Fluglärmkommission für den Flughafen Stuttgart ist am 4. Juli gefallen. Mit sechs Ja-Stimmen, fünf Gegenstimmen und fünf Enthaltungen votierten die Mitglieder dafür, den Probebetrieb auf der Route für Flüge nach Süden zu starten. Dem ging eine lange Diskussion voraus. Nürtingen, Wolfschlugen und Aichtal wollen gegen die Route klagen.

 

Deren Grundlage bildete ein unabhängiges Gutachten des Verkehrsexperten Markus Petz, das die Kommunen mit Beteiligung des Landes Baden-Württemberg in Auftrag gegeben hatten. Seine Expertise hat ergeben, dass die Verschiebungen viel geringer ausfallen als erwartet. Im Frühjahr stellte Petz die Expertise vor. Ostfilderns Oberbürgermeister Christof Bolay (SPD), der Vorsitzende der Kommission, sprach von „Verschiebungen im Promillebereich“. Zunächst hatten Befürworter argumentiert, dass bis zu 90 000 Menschen entlastet werden könnten.

Zwei neue Mitglieder berufen

Für Ärger unter den Gegnern hatte gesorgt, dass die Neckartalgemeinden Altbach und Deizisau im Februar als weitere Mitglieder in die Fluglärmkommission berufen wurden. Jahrelang hatte Deizisaus Bürgermeister Thomas Matrohs um die Aufnahme vergeblich gekämpft. Im Zuge der Debatte um die neue Route hatten mehrere Kommunen erneut die Aufnahme beantragt. Das Verkehrsministerium teilte mit, dass angesichts aktueller Lärmwerte nur Altbach und Deizisau die Kriterien erfüllten. Die Anträge von Nürtingen, Wolfschlugen, Aichtal und Waldenbuch wurden negativ beschieden.

Geplant ist, dass die Flugzeuge in Richtung Osten starten und dann in einer steilen Kurve früher nach Süden abdrehen. Der Test soll ein Jahr dauern. In dieser Zeit werde der Lärm gemessen, ebenso die Einsparung von Kerosin und CO2, sagte der Vorsitzende der Fluglärmkommission und Oberbürgermeister von Ostfildern, Christof Bolay. Ein Jahr lang soll nun an ausgewählten Standorten gemessen und ausgewertet werden, wie sich die neue Routenführung im Praxisbetrieb auswirkt. Die Kriterien für die Messungen sowie für die Auswertung des Probebetriebs bespricht Bolay mit einer Arbeitsgruppe, der nicht nur Mitglieder der Kommission angehören. Auch Wolfschlugens Bürgermeister Matthias Ruckh, dessen Kommune neu betroffen sein wird, ist dabei. „Es wird Messungen vor und nach der Routenänderung geben“, sagte Bolay. Nach einem Jahr Probebetrieb werden die Messwerte nach seinen Worten ausgewertet. „Mir ist es wichtig, die neu betroffenen Kommunen einzubinden.“ Da setzt Bolay auf Dialog: „Es geht um die beste Lösung alle.“ Die Lage im Neckartal werde sich nur bedingt entspannen.

Neckartal hofft auf Entlastung

Obwohl die Expertisen ergeben hatten, dass die Verschiebungen wohl nicht so deutlich ausfallen wie erwartet, hofft Deizisaus Bürgermeister Matrohs auf etwas Entlastung: „Jede Maschine weniger bedeutet für die Menschen etwas mehr Ruhe.“ Dem pflichtet auch sein Altbacher Kollege Martin Funk bei. Auch auf dessen Schreibtisch landeten immer mehr Beschwerden über Fluglärm. Beide sind froh, sich nun in der Kommission für die schwer belasteten Menschen einsetzen zu können.

Die Initiative „Vereint gegen Fluglärm“ hatte 15 000 Unterschriften gegen die Pläne gesammelt. In den vergangenen Monaten war es still geworden um die Gegner. „Wir planen neue Aktionen und werden den Probebetrieb kritisch begleiten“, sagt Rolf Keck-Michaeli. „Wir wollen uns mit den betroffenen Kommunen solidarisieren und an alternativen Lösungen arbeiten.“ Weniger Flüge fordert Steffen Siegel von der Schutzgemeinschaft Filder. „Der Flugbetrieb muss weniger werden. Nur so lässt sich etwas für den Klimaschutz tun.“

Scharfe Kritik aus Neuhausen

Neu betroffen sein werden auch die südlichen Wohngebiete von Neuhausen. Bürgermeister Ingo Hacker ist enttäuscht, wie das Verfahren gelaufen ist. Da nennt er zunächst die Berufung von Altbach und Deizisau. „Dann hat das Land zugesagt, sich neutral zu verhalten und diese Zusage nicht eingehalten“, kritisiert der Verwaltungschef. „Ich akzeptiere die Entscheidung, aber ich bin enttäuscht vom Prozess.“ In der Bürgerschaft stellt er einen Vertrauensverlust gegenüber Entscheidern in der Politik fest.

Auch dass der Lärm verteilt „und nicht, wie bisher, gebündelt wird“, ist für ihn nicht akzeptabel. Die Akademiegärten im Süden von Neuhausen mit 800 Einwohnern habe man eigens auf einer Fläche entwickelt, die möglichst weit weg liegt von der Autobahn, dem Lärm durch die künftige ICE-Trasse und von Fluglärm. Und gerade dieses Gebiet werde nun stark betroffen sein. Außerdem würden jetzt mit neuen Gutachten, notwendigen Messungen und einer möglichen Klage öffentliche Gelder ausgegeben. Enttäuscht ist auch Nürtingens OB Johannes Fridrich, der „die mangelnde Offenheit und Transparenz des Verfahrens“ kritisiert. Er vermutet wirtschaftliche Gründe hinter der Änderung.

Kommunen wollen klagen

Rechtliche Mittel
 Bereits im Frühjahr hatte der Rechtsanwalt Stephan Spilok bei einer Informationsveranstaltung in Nürtingen die Möglichkeiten des Rechtswegs aufgezeigt. Nachdem die Genehmigung für die neue Route nun Mitte Dezember erteilt wurde, ist eine Klage nun grundsätzlich möglich.

Verfahren
 Eine Gemeinderatsmehrheit in Nürtingen hat die Verwaltung beauftragt, eine Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der neuen Abflugroute zu erheben. Auch Aichtal hat beschlossen, zu klagen. Auch Wolfschlugen will klagen, das Thema kommt dort aber noch mal aufs Tapet.

Weitere Mitstreiter
 In Neuhausen wird der Gemeinderat im neuen Jahr über eine mögliche Klage beraten und entscheiden. Auch Denkendorf ist schwer vom Lärm betroffen. Dort ist der Klageweg ebenfalls im Gespräch. In Köngen verändern sich die Belastungen durch Fluglärm wohl kaum.