Edathy-Affäre, Maut-Gezänk, Betreuungsgeld – viele im Ausland würde ihre Probleme gern gegen die deutschen Sorgen des ersten Halbjahres 2015 eintauschen. Krieg, Terror, Vertreibung, Dauerschulden – das sind die Themen in der Ukraine, in Syrien und Griechenland.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart – Der Sommer 2015 bringt zwei politische Erfolge, auf die viele Jahre hingearbeitet wurde: Nach 50 Jahren Zwist nähern sich die USA und Kuba an – und mit dem Iran wird ein Abkommen geschlossen, das Teheran den Griff nach der Atombombe verwehren soll. Es sind zwei Hoffnungsschimmer in einem Jahr, das insgesamt von Krieg, Zerstörung und Flucht gekennzeichnet ist: -

 

7. Januar – Je suis Charlie

Das Jahr beginnt mit absurder Gewalt. Islamisten überfallen das Pariser Satiremagazin „Charlie Hebdo“ und einen Supermarkt. 17 Menschen sterben. Was folgt, ist eine Welle der Sympathie, des Zuspruchs und der Anteilnahme am Schicksal der Karikaturisten. „Je suis Charlie“ wird zum geflügelten Wort, weit über die Stadtgrenzen der französischen Hauptstadt hinaus. Die ahnt nicht, was ihr noch bevorsteht in diesem Jahr.

25. Januar – Der Störenfried Europas

Er will alles anders machen. Alexis Tsipras geht auf Konfrontationskurs zur EU. Die Vertreter der Troika sind nun Vertreter der „Institutionen“, Finanzminister Gianis Varoufakis geht mit Motorrad, offenem Hemd und großem Mundwerk auf Tour. Im Juli wird Varoufakis zurücktreten, im August werden sich EU und Griechenland nach erbittertem Streit auf neue Hilfen einigen. Zu diesem Zeitpunkt dominieren längst andere Themen die Schlagzeilen. Bei Neuwahlen im September kann sich Tsipras souverän behaupten.

12. Februar –Minsker Frieden

Die Präsidenten der Ukraine, Frankreichs und Russlands sowie Kanzlerin Angela Merkel vereinbaren in der weißrussischen Hauptstadt Minsk einen Fahrplan zur Befriedung des Konflikts in der Ostukraine. Die Tinte unter dem Papier ist noch nicht trocken, da werden die Vereinbarungen schon missachtet. Gleichwohl wird der Vertrag wie eine Monstranz der Hoffnung durch das Jahr getragen. Im Spätherbst ebben die Kämpfe ab. Das ist die Zeit, in der sich Russland verstärkt nach Syrien wendet.

27. Februar – Tod nahe dem Kreml

Einst war er als Präsident im Gespräch, dann war er Wladimir Putins Freund – und er wurde zu seinem Gegner. Der Oppositionspolitiker Boris Nemzow fand den Tod bei einem Spaziergang mit seiner Freundin, quasi unter den Augen Putins, auf der Brücke vor dem Kreml. Erschossen. Vier Treffer in den Rücken. Es kam zu Festnahmen. Es bleiben Zweifel, ob die Verhafteten auch die Schützen sind.

2. März – Ende des Hoffnungsträgers

Er galt einmal als aufstrebende Nachwuchshoffnung der SPD. Dann wurde Sebastian Edathy mit kinderpornografischem Material in Verbindung gebracht. Das Landgericht Verden hat sein Verfahren gegen Zahlung einer Geldbuße von 5000 Euro eingestellt. Politisch und gesellschaftlich ist Edathy stärker gestraft. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich musste im Zuge des Skandals zurücktreten, viele Beschädigte bleiben zurück.

4. April – Tröglitz, die traurige Berühmtheit

Weniger als 3000 Einwohner – man musste Tröglitz in Sachsen-Anhalt nicht kennen. Die Berühmtheit ist eine traurige. Schon im März war der Schultes zurückgetreten, zu viel rechter Hass. Im April nun brennt ein geplantes Flüchtlingsheim. Keine Toten. Die gibt es vor Lampedusa. 800 an der Zahl. Entsetzen. In Tröglitz wird ein Tatverdächtiger ermittelt – und wieder freigelassen. Keine Beweise.

8. Mai – Oma, dringend gesucht

Die Urlaubsplanung ist bei manch einer Familie ins Wanken geraten. Oder gar gefallen. Vier Wochen lang mussten die Kleinen privat betreut werden – Erzieher und Sozialarbeiter hatten die Arbeit niedergelegt. Wohl dem, der eine Oma in Reichweite hatte. Ein Schlichterspruch wurde abgelehnt, die Wogen schlugen hoch, die Nerven lagen blank. Erst im Oktober war endgültig klar: Streik beendet. Erzieher bekommen nun bis zu 138 Euro mehr im Monat.

8. Juni – Elmauer Nächte sind nicht ganz günstig

Weltwirtschaft, Ukraine, NSA-Affäre – die Mächtigsten der Welt hatten viel zu besprechen. Wie sie in Oberbayerns Luxushotel genächtigt haben und wie teuer die Obama-Suite von Mitte Juni an für gewöhnliche Sterbliche ist, das war ebenso ausufernd berichtet worden wie die Sanktionen gegen Russland. G 7 anstelle von G 8, Wladimir Putin durfte nicht nach Oberbayern. Dafür waren rund 20 000 Polizisten im Einsatz, um den 28 Stunden dauernden Gipfel zu schützen. Gesamtkosten: 135 Millionen Euro, sagt Bayern. Der Bund der Steuerzahler rechnet anders, kommt auf 352 Millionen. Nächstes Jahr muss Japan die Gipfel-Rechnung bezahlen.

4. Juli – Petry kommt, Lucke geht

Im Februar hatten sie ihn noch gefeiert, beim Einzug in die Hamburger Bürgerschaft. Nun tritt der Parteigründer ab. Bernd Lucke gründet eine neue Partei – und verschwindet mit ihr in der Versenkung. Frauke Petry hat sich beim Parteitag der AfD durchgesetzt, zusammen mit dem rechten Flügel. Sie muss ernst genommen werden. Mit zunehmenden Flüchtlingszahlen wächst der Zuspruch für sie.

14. Juli – Iran ohne Bombe

Die Welt wird sicherer. Ein wenig zumindest. Hoffentlich. 13 Jahre lang hat der Westen mit dem Iran um dessen Atomprogramm gerungen, nun scheint es eine Annäherung zu geben. In Wien unterzeichnen die Parteien ein Abkommen: Kontrollierte Reduzierung der iranischen Uranbestände gegen Lockerung westlicher Sanktionen. Im November vermeldet die zuständige Behörde: der Iran hält sich an die zugesagten Vorgaben. Nur Israel wettert gegen den Kompromiss. Es wird nicht erhört.

20. Juli – Nachbarn nähern sich

Mehr als 50 Jahre waren Kuba und die USA im Streit. Oder besser: die USA mit Kuba. Nun die Annäherung im Sauseschritt. Reiseerleichterungen für US-Bürger im Januar, Streichung Kubas von der US-Terrorliste im April. Dann die offizielle Aufnahme diplomatischer Beziehungen – Botschafteraustausch inklusive. Noch ist nicht alles gut. Das US-Embargo besteht nach wie vor.