Welchen Raum nehmen Fußgänger, Radler und Autofahrer künftig ein? Diskussionen um das Ziel einer autofreien Stadt und Projekte zur Verkehrsberuhigung bestimmten die zum Teil emotionalen Debatten in der Stuttgarter Innenstadt.
S-Mitte - Oberbürgermeister Fritz Kuhn war die Zufriedenheit anzusehen. Er beging im November mit Vertretern der Fachämter die kurz zuvor zur Fahrradstraße erklärte Eberhardstraße. Der Grünen-Politiker machte bei dem Spaziergang klar, dass die weitgehende Verbannung von Autos aus der Eberhardstraße der Beginn einer Veränderung in der ganzen Innenstadt sei. „Die Eberhardstraße ist der Auftakt, wir werden in den nächsten Monaten innerhalb der City spürbar den öffentlichen Raum vom Autoverkehr entlasten“, sagte er.
Die Verwaltung hat in der Tat einschneidende Veränderungen geplant. Noch vor dem Jahr 2030 soll die Innenstadt im Wesentlichen Fußgängern und Radfahrern gehören. Parkplätze sollen zum großen Teil entfallen.
Behörden setzen Beschluss um
Die Behörden haben an der Eberhardstraße mit der Umsetzung eines Zielbeschlusses des Gemeinderats aus dem Jahr 2017 für eine autofreie Innenstadt begonnen. Dieser stand unter dem Titel: „Eine lebenswerte Stadt für alle.“ Als nächste Etappe soll bis 2023 die Verkehrsberuhigung der Dorotheenstraße realisiert werden. Dabei sollen 40 Kurzzeitparkplätze entfallen.
Doch an der Frage, wieviel an Beschränkung des Autoverkehrs die Innenstadt wirklich lebenswerter macht, schieden sich 2019 die Geister. Betroffene oder Lokalpolitiker meldeten Bedenken an. Die CDU im Bezirksbeirat Mitte fürchtete etwa angesichts der Pläne für eine verkehrsberuhigte Dorotheenstraße um die Zukunft der Markthalle. Kunden könnten auf einen Besuch der traditionsreichen Einkaufsstätte verzichten, wenn sie diese nicht mit dem Auto anfahren könnten, argumentierte die CDU-Fraktion.
CDU sorgt sich um Markthalle
Der Landesverband der Körper- und Mehrfachbehinderten (LVKM) kritisierte, dass Behindertenparkplätze von den Abbauplänen an der Dorotheenstraße betroffen sein könnten. Einigen Menschen mit Handicap sei eine Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht zuzumuten, warnte die Geschäftsführerin des LVKM, Jutta Pagel-Steidl. Für sie sei es eine Frage der gesellschaftlichen Teilhabe, ob Behinderte die Innenstadt mit dem Auto erreichen und für sie reservierte Stellplätze finden könnten, gab Pagel-Steidl zu bedenken.
Die Schwanen-Apotheke an der Eberhardstraße beklagte sich schon wenige Wochen nach der Einrichtung der Fahrradstraße darüber, dass ihre Zulieferer mittags und nachmittags mit einem Knöllchen rechnen müssen. An der Hirschstraße zeigte sich bereits im Sommer, dass eine für Autos schwerer zu befahrende Innenstadt dem Einzelhandel Probleme bereitet. Ein Möbelhändler wandte sich im Sommer an die Presse, weil die Fußgängerzone vor seiner Ladentüre das Anliefern von Ware mit dem Auto unmöglich mache. Er erhielt darauf eine Ausnahmeregelung für schwere Möbel. Daran störten sich wiederum andere Einzelhändler an der Hirschstraße. Sie fordern unisono eine zeitlich befristete Aufhebung der Fußgängerzone für den Lieferverkehr.
Unternehmer beschuldigt Kienzle
Die Diskussion um eine Verkehrsberuhigung des Leonhardsplatzes geriet emotional. Der Unternehmer John Heer lancierte im Herbst eine Unterschriftenliste von anwohnenden Mietern und Gewerbetreibenden gegen das Vorhaben. Heer stritt sich im öffentlichen Teil der Sitzungen des Bezirksbeirats Mitte immer wieder mit Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle. Kienzle kündigte im Oktober einen Ausspracheabend für Anwohner aus dem Leonhardsviertel an.
Poller sollen entfernt werden
Auch bei der Diskussion um den Abbau von Pollern auf dem Ferdinand-Leitner-Steg im Sommer ging es um die Frage, wie viel Raum den unterschiedlichen Verkehrsteilnehmern zustehen sollte. Die CDU im Bezirksbeirat forderte aus Sicherheitsgründen den Abbau der Poller. Sie dienen dazu, die Routen von Radlern und Fußgängern zu trennen. Fuß e.V und die Initiative Radentscheid plädierten dagegen für eine konsequente Trennung von Radfahrern und Fußgängern durch die Schaffung einer Radspur an der B 14.
Eine Aktion der Initiative Wanderbaumallee machte den Dissens in der Parkplatzfrage deutlich. Die Initiative zog mit Pflanzentrögen durch die Bezirke und postierte sie auf Stellplätzen. Sie wollte so ein Zeichen setzen für eine andere Nutzung des öffentlichen Raums. Einige Bürger beschwerten sich, dass vorübergehend Parkplätze besetzt wurden. Insgesamt sei die Initiative laut Stadt und Organisatoren aber auf ein positives Echo gestoßen.