Vom Arbeitskräftemangel bis zur Zinswende – vieles hat die Wirtschaft in Deutschland und weltweit in Atem gehalten. Unter anderem die Inflation und die Eskapaden Elon Musks bei Twitter. So sieht die Wirtschaftsredaktion 2022.

Es gab Gutes und Schlechtes, Aufregendes und Verblüffendes von Januar bis Dezember zu berichten. Das Jahr im Alphabet:

 

A: Arbeitskräfte

Mitarbeiter dringend gesucht – trotz Ukraine-Kriegs, Lieferengpässen und Energiepreisexplosion. Fast alle Arbeitgeber klagen – nicht nur in den Mint-Fachbereichen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik). Prekär ist die Lage bei Erziehern und in der Pflege. In Kliniken bleiben Betten leer, Bürgerbüros in Stuttgart geschlossen. Mit der Bauelektrik, der Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik sowie der Kraftfahrzeugtechnik finden sich drei Handwerksberufe unter den Top Ten mit akutem Personalnotstand, heißt es beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Die Arbeitsagentur hat im November 110 000 offene Stellen in Baden-Württemberg im Angebot.

B: Blume, Oliver

Nach dem Aus für Wendelin Wiedeking wechselten die Porsche-Chefs in rascher Folge. Bis Oliver Blume kam, unter dem der Autohersteller einen weiteren Zahn zulegte. Nun legte Blume auch für sich den Turbo ein und ist gleichzeitig Chef von VW und der Tochter Porsche. Bei Porsche gilt es, den Erfolg fortzuschreiben, bei VW sind gewaltige Probleme zu lösen. Ob er beides schafft?

C: Cyberattacke

Gut 70 Prozent der Deutschen fürchten sich laut einer Erhebung des Digitalverbands Bitkom vor einem Cyberkrieg. 2022 ist laut einer Bitkom-Unternehmensbefragung die Zahl der Cyberangriffe aus China und Russland kräftig gestiegen. Die Schäden, die der Wirtschaft durch Hackerangriffe entstehen, beziffert der Verband auf über 200 Milliarden Euro jährlich.

D: Dekarbonisierung

Es könnte alles so einfach sein: Um das Klima zu schützen, müsste Deutschland nur mehr Windräder und Photovoltaikanlagen bauen. Selbst wenn es keine sieben Jahre dauern würde, den Ämtern die Genehmigung für ein Windrad abzutrotzen, gäbe es noch das Problem, dass zu wenig Strom vom windreichen Norden in den Süden transportiert werden kann. Um Deutschland zu dekarbonisieren, muss an vielen Stellen angepackt werden. Immer nur ehrgeizigere Ziele aufzuschreiben, in welchem Jahr das Land klimaneutral sein soll, ist eine vergleichsweise einfache Übung.

E: Energiepreisbremse

Uff, dürfte sich so mancher Mieter und Eigentümer denken. Zwar wird das Heizen von Wohnung/Haus in diesem Winter teuer. Aber durch die Deckelung der Preise für Gas, Strom und Wärme sind die Steigerungen jetzt zumindest kalkulierbar.

F: Fahimi, Yasmin

34 Prozent aller Mitglieder im Gewerkschaftsbund sind weiblich. Nun steht erstmals eine Frau an der Spitze: Yasmin Fahimi (55) hat in den ersten Monaten gezeigt, dass sie etwa in Talkshows keine Kontroverse scheut. Ihr selbstbewusstes Auftreten markiert einen neuen Stil. Jetzt muss sie noch mit der breiten Gewerkschaftsbasis warm werden.

G: Grundsteuerreform

Für die Immobilienbesitzer im Land war sie der Aufreger des Jahres: die Grundsteuerreform mit dem Zwang einer Feststellungserklärung. Zuerst kamen viele mit der Elster-Software nicht klar, dann tauchten prinzipielle Zweifel auf. Unter Druck musste die Politik die Abgabefrist bis Ende Januar verlängern. Zuletzt haben mehrere Verbände eine Musterklage eingereicht – Fortsetzung folgt.

H: Handwerk

Das Handwerk schwankt zwischen Hoffen und Bangen: Die hohen Energiekosten machen vielen Betrieben, allen voran Bäckern, zu schaffen – gleichwohl ist die Auftragslage in vielen Gewerken noch gut. Ein Dauerthema bleibt der Fachkräftemangel: Nach Schätzungen des Zentralverbands ZDH fehlen mehr als 250 000 Spezialisten. Noch immer ziehen viele Schulabgänger ein Studium der Ausbildung vor. All das könnte auch die Energiewende ausbremsen. Derzeit fehlen für mehr Klimaschutz und nachhaltige Energie- und Mobilitätskonzepte die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

I: Inflation

Zweistellige Teuerungsraten wie in den letzten Monaten gab es in der Bundesrepublik zuletzt Ende 1951. Wahrscheinlich wird das Statistische Bundesamt im Januar für Dezember einen Rückgang der Inflationsrate vermelden, weil der Staat in diesem Monat für viele Haushalte die Gasrechnung übernahm. Gleichwohl wird der Preisdruck hoch bleiben, die Bundesbank sieht die Inflationsrate 2023 im Jahresschnitt bei sieben Prozent.

J: Jobcenter

Die Jobcenter waren aus dem Blickfeld geraten – nun sind sie wieder da. Einerseits hat ihnen der Ukraine-Krieg 20 Prozent mehr Kunden gebracht, die Integration der Geflüchteten hat hohe Priorität. Andererseits müssen die Jobcenter mit der kurzfristig verordneten Einführung des Bürgergelds zum 1. Januar fertig werden. Die Aufgabe ist so umfangreich, dass zentrale Teile der Reform nicht vor Sommer realisiert werden können. Die Hartz-IV-Bewältigung ist mit hehren Zielen verknüpft – allerdings fehlt den Jobcentern noch das nötige Geld zur Umsetzung.

K: Kükentöten

Das Kükentöten in der Legehennenhaltung ist seit Jahresbeginn 2022 in Deutschland verboten. Männliche Küken waren zuvor nach dem Schlüpfen getötet worden, weil sie keine Eier legen und weniger Fleisch ansetzen. Jetzt wird entweder das Geschlecht früh im Brutei bestimmt, sodass die männlichen Küken gar nicht erst ausgebrütet werden, oder sie werden aufgezogen.

L: LNG

LNG ist ein Zauberwort gegen die Abhängigkeit von russischem Gas. Liquified Natural Gas, bei hohem Druck und tiefer Temperatur verflüssigtes Gas, lässt sich mit dem Schiff transportieren, was die Zahl möglicher Lieferanten erhöht. Sechs LNG-Terminals entstehen derzeit alleine in Deutschland. Erste Verträge gibt es auch: etwa mit Katar.

M: Mercedes

67 Prozent der Belegschaft arbeiten in Deutschland, wo nur zehn Prozent des Umsatzes herkommen. „Mit unseren Kosten können wir keinen Preiskampf gewinnen“, sagt Mercedes-Chef Ola Källenius. Sein Credo: Mehr Kunden im Spitzenluxussegment sollen den Erfolg sichern, auch wenn Verkehrsminister Winfried Hermann die Konzentration auf „Scheichs und Reiche“ riskant erscheint.

N: Nahles, Andrea

Politisch war sie ganz oben: Arbeitsministerin, SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzende. Dann der Absturz. Es folgte eine Zwischenstation bei der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation. Seit August ist Andrea Nahles Chefin der Bundesagentur für Arbeit. Dort setzt sie nach und nach Signale. Die 52-Jährige will einen Umgang mit den Kunden auf Augenhöhe und eine „neue Willkommenskultur“ für Fachkräfte aus dem Ausland. Früher war sie Macherin – jetzt setzt sie Vorgaben der Politik um. Liegt ihre diese Rolle?

O: Online-Handel

Das exorbitante Wachstum des Online-Handels ist erst einmal vorbei. Im Vorjahresvergleich, als viele Läden infolge der Pandemie schließen mussten, gaben die Internetgeschäfte 2022 deutlich nach. Einkauf vor Ort ist wieder im Kommen. Noch stärker als früher dominieren große Player wie Amazon, Otto oder Media-Markt den Online-Markt.

P: Preisdurchsetzung

Chipmangel, Containerstaus, Ende des Russlandgeschäfts und Energiekrise – trotz der Hiobsbotschaften fahren deutsche Autohersteller Rekordgewinne ein – voran die Luxusmarken Mercedes-Benz und Porsche. Sie fertigen vor allem die profitabelsten Modelle, und da die Nachfrage die Herstellerkapazitäten übersteigt, gibt es kaum Rabatte. Gelungene Preisdurchsetzung heißt das in der Sprache der Zahlenmenschen – jedenfalls bis in den Herbst, als Mercedes in China überraschend die Preise senken musste.

Q: Quantentechnologie

Sie können sich manchmal schwer entscheiden? Willkommen in der Welt der Quanten – winziger Teilchen, die gleichzeitig verschiedene Zustände einnehmen können. Quantencomputer, die diese Technik nutzen, sind weitaus leistungsfähiger als aktuelle Rechner. Bosch sieht darin großes Potenzial.

R: Rüstungsindustrie

Als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine hat die Bundesregierung ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr beschlossen. Davon wird die Rüstungsindustrie profitieren, die vom Schmuddelkind zum Hoffnungsträger geworden ist – dazu zählen etwa Firmen wie Rheinmetall oder Heckler & Koch. Der Oberndorfer Waffenspezialist etwa hat Mitte Dezember den Auftrag fürs neue Sturmgewehr der Bundeswehr bekommen.

S: Schell, Andreas

Im Jahr der Energiekrise stand die EnBW natürlich im Rampenlicht. Auch, weil ausgerechnet 2022 der langjährige Vorstandschef Frank Mastiaux sein Amt abgegeben hat. Nachfolger Andreas Schell, zuvor Chef von Rolls-Royce Power Systems, ist ihm am 15. November nachgefolgt. Der Triathlet musste einen Schnellstart hinlegen.

T: Twitter

Für 44 Milliarden US-Dollar kauft Elon Musk den Kurznachrichtendienst Twitter, das Chaos davor wird noch von den Chaoswochen danach übertroffen. Musk schließt eine Twitter-Insolvenz nicht aus, entlässt über Nacht Tausende Beschäftigte, nimmt Donald Trump wieder auf, Ex-Mitarbeiter klagen, die EU droht mit Abschaltung. Einfach irre.

U: Ultraviolett

Die dreistelligen Millioneninvestitionen zahlen sich aus: Das Ditzinger Unternehmen Trumpf macht mit extrem ultravioletten Laserstrahlen fast 800 Millionen Euro Umsatz. Alleinkunde ist ASML, der holländische Ausrüster der größten Chipfabriken der Welt. Die Niederlande lösen Deutschland damit als wichtigster Einzelmarkt von Trumpf ab.

V: VNG

Ähnlich wie Marktführer Uniper ist auch die Leipziger EnBW-Tochter VNG durch die Gaskrise in Bedrängnis geraten. Der Gasimporteur beliefert 400 Stadtwerke und Industriekunden und deckt ein Fünftel des Gasbedarfs in Deutschland. Um nach der Drosselung russischer Gaslieferungen noch liefern zu können, hatte VNG zu erheblich höheren Preisen Ersatz beschaffen müssen. Aus den Verträgen auszusteigen oder an Preisen zu rütteln, hatte Berlin untersagt. Nun hilft die Regierung mit einem dreistelligen Millionenbetrag. Einen Antrag auf Stabilisierungsmaßnahmen hat VNG im Gegenzug zurückgezogen.

W: Wirtschaftsweise

Bei den Wirtschaftsweisen haben Frauen erstmals die Mehrheit: Im September 2022 zog die in den USA lehrende Finanzmarktexpertin Ulrike Malmendier (49) als dritte Frau in das fünfköpfige Beratergremium der Bundesregierung ein. Ein weiteres Novum: Mit Monika Schnitzer, Ökonomin an der Uni München, hat der Sachverständigenrat erstmals auch eine Vorsitzende. Sie ist bereits seit April 2020 in dem Gremium, ebenso wie Veronika Grimm, Ökonomin an der Uni Erlangen-Nürnberg.

X: Xi Jingpin

Chinas Staatspräsident hat de facto eine zweite chinesische Mauer errichtet: Xi Jingpin versuchte lange, das Coronavirus durch rigide Eindämmungsmaßnahmen und staatlich verordnete Quarantäne zu besiegen. Er verlor diesen Kampf, auch weil seine Null-Covid-Strategie die Firmen im Land hart getroffen hat. Etwas mehr als ein Fünftel der chinesischen Wirtschaftsleistung soll vom Lockdown betroffen gewesen sein. Und wenn China hustet, leidet der deutsche Export. Nach Protesten hat Xi Jingpin zuletzt die Strategie der Abschottung aufgegeben – prompt stiegen die Infektionszahlen deutlich an. Die Risiken für die Wirtschaft bleiben erhalten.

Z: Zinswende

Sie kam spät, dann aber mit Schmackes: Seit Juli hat die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Leitzinsen um zweieinhalb Prozentpunkte erhöht. Die Kreditzinsen stiegen schon im ersten Halbjahr, auch weil die US-Notenbank voranging. Mittlerweile zahlen die Banken auch Sparern wieder etwas mehr Zinsen. Angesichts der hohen Inflationsrate werden die Notenbanken 2023 weiter an der Zinsschraube drehen.