Vor zehn Jahren begann die US-Invasion im Irak. Zehntausende Menschen wurden seitdem getötet, der Krieg kostete zig Milliarden Euro – und von Demokratie ist das Land auch heute noch weit entfernt.

Kairo - Barack Obama hat das Kapitel für sich abgeschlossen. Am Mittwoch, am zehnten Jahrestag des amerikanischen Irak-Feldzuges, ist er zwar im Nahen Osten unterwegs. Doch die Reise geht nicht nach Bagdad, sondern nach Israel und in die palästinensischen Gebiete. Der US-Präsident nimmt einen weiteren Anlauf, Frieden zu stiften in einer Region, die nicht zuletzt durch den Irak-Einmarsch zu den gewalttätigsten und instabilsten des Globus zählt.

 

„Die verheerendste außenpolitische Entscheidung in der Geschichte Amerikas“, nannte der bekannte US-Kolumnist Peter van Buren den Entschluss von Obamas Vorgänger George W. Bush, Saddam Hussein mit einem Krieg zu stürzen. 110 000 Iraker haben seit 2003 ihr Leben verloren sowie 4800 Soldaten der Invasionstruppen. 16 000 Menschen aus den Bürgerkriegsjahren 2006 bis 2008 werden noch vermisst. 46 Milliarden Euro Aufbaumittel sind in das ramponierte Land geflossen, „mit geringen positiven Effekten“, wie der Abschlussbericht des US-Bevollmächtigen für die Rekonstruktion im Irak bilanziert. Etwas sechs Milliarden sind spurlos verschwunden, insgesamt hat der Krieg im Zweistromland die USA wohl mehr als 771 Milliarden Euro gekostet.Auch die innere Stabilität macht 15 Monate nach dem endgültigen Abzug der US-Armee keine Fortschritte, ganz im Gegenteil. Nach wie vor sind die Iraker nicht Herr im eigenen Land. Kaum ein Tag vergeht ohne Bombenanschläge, obwohl mittlerweile auf 50 Einwohner ein Polizist oder Soldat kommt. Im Jahr 2012 wurden nach einer Bilanz des Internetportals „Iraq Body Count“ 4573 Iraker Opfer politisch motivierter Gewalt, der höchste Stand seit 2009 und gut 500 Tote mehr als im Vorjahr 2011. Erst in der vergangenen Woche starben in Bagdad mindestens 22 Menschen, 30 wurden verletzt, als Attentäter mit synchronisierten Bomben drei Ministerien beschädigten und sich ein Gefecht mit Sicherheitskräften lieferten.

Ausgelöst wurden die neuen Unruhen Ende 2012

Doch auch in den Provinzen gärt es. „Wir leben wie Außenseiter“ skandierten Demonstranten in Ramadi und Falludja. Immer wieder blockieren Tausende von ihnen die Autobahn zwischen Bagdad und Jordanien, eine der wichtigsten Verkehrsadern des Landes. „Raus mit dem Iran“ und „Maliki ist ein Lügner“, riefen sie wütend – der Irak erlebt seit drei Monaten die größte Protestwelle der sunnitischen Minderheit seit dem Sturz von Saddam Hussein. Ausgelöst wurden die Unruhen Ende 2012, als Regierungschef Nuri al Maliki neun Leibwächter des sunnitischen Finanzministers Rafaie al Esawi verhaften ließ.

Ihnen wird vorgeworfen, an politischen Auftragsmorden beteiligt zu sein. Ein Jahr zuvor hatte sich der Premier bereits in einer ähnlichen Aktion den sunnitischen Vizepräsidenten Tariq al Hashemi vorgeknöpft. Dieser floh in die Türkei ins Exil, während er zu Hause „wegen terroristischer Tätigkeiten“ zum Tode verurteilt wurde. Finanzminister Rafaie al Esawi ist inzwischen zurückgetreten, ebenso Landwirtschaftsminister Ezzedine al Dawleh. Damit warfen zwei der wichtigsten sunnitischen Kabinettsmitglieder das Handtuch.

Der Irak steht immer wieder am Rande eines neuen Bürgerkriegs

Und so fordern die Demonstranten nun auch den Rücktritt des Regierungschefs Maliki und ein Ende der schiitischen Machthegemonie. Ihr kriegszerstörtes Land hinkt weiter von einer politischen Krise zur nächsten, und steht immer wieder am Rande eines neuen Bürgerkriegs. Das Parlament in Bagdad liegt seit 2010 praktisch lahm, wichtige Gesetze werden nicht verabschiedet.

Die öffentliche Verwaltung ist ein Hort von Vetternwirtschaft und Inkompetenz. Das Stromnetz und Schulsystem, die Gesundheitsversorgung und Straßen befinden sich in einem beklagenswerten Zustand. Und der 79-jährige kurdische Präsident Dschalal Talabani, der mit seiner persönlichen Autorität und seinem ausgleichenden Wesen bisher so manchen Konflikt entschärfen konnte, liegt mit einem Schlaganfall in der Berliner Charité.Gleichzeitig träumen immer mehr irakische Sunniten von einer eigenen autonomen Region, angrenzend an Jordanien und Syrien – ähnlich wie die Kurden im Norden. Ein Sturz des Alawiten Bashar al Assad und seines Baath-Regimes in Syrien durch sunnitische Rebellen, so das Kalkül, werde ihrem Anliegen regionalpolitischen Aufwind geben. Umgekehrt befürchten sie, der Iran könnte nach dem Verlust seines engsten Verbündeten Damaskus versuchen, die schiitische Führung in Bagdad künftig noch stärker an die Kandare zu nehmen.

Regierungschef Nuri al Maliki hingegen machte ganz im Stil nahöstlicher Autokraten „ausländische Elemente und Verschwörer“ für die zunehmenden Turbulenzen verantwortlich. Kein Land der Welt toleriere die Blockade von Autobahnen, polterte der Premier und drohte den Protestierern mit hartem Vorgehen. „Ich demonstriere weiter“, deklamierte dagegen trotzig einer der jungen Demonstranten in Ramadi. „Ich bleibe hier, selbst wenn ich irgendwann der Letzte bin.“