Lange Zeit stand Europa wegen seiner Wachstumsschwäche in der Kritik. Beim Jahrestreffen von Internationalem Währungsfonds und Weltbank in Lima geht erstmals von den Schwellenländern Unsicherheit aus.

Lima - Ein hochrangiges Mitglied der deutschen Delegation hat den Satz in der Abschlusserklärung extra unterstrichen: „Die anhaltende Erholung in der Eurozone hat eine positive Wirkung“, steht im Kommuniqué der IWF-Mitgliedstaaten. Beim Jahrestreffen von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank in der peruanischen Hauptstadt Lima war zu erleben, was es in den vergangenen Jahren nicht mehr gegeben hat. Passable Noten für den Zustand ihrer Wirtschaft bekommen: die USA, Großbritannien, Japan und die Eurozone. Das ist für die Regierungen aus Europa eine Erfahrung der neuen Art. Lange mussten sie sich Kritik aus anderen Teilen der Welt anhören, dass die europäische Wirtschaft zu langsam wächst.

 

Gerade den aufstrebenden Nationen aus Asien und Lateinamerika ging die Bewältigung der Eurokrise zu langsam. „Für uns ist interessant, dass wir nicht mehr im Mittelpunkt der Kritik stehen“, sagte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Binnen weniger Monate hat sich das Bild gewandelt: Die Sorgen kreisen nun um die Schwellenländer, die als Wachstumsmotoren für die Weltwirtschaft wichtig sind.

Die Krise soll nicht herbeigeredet werden

In Lima waren die Regierungen und Notenbankchefs aber bemüht, den Eindruck zu vermeiden, dass eine neue Krise aufziehen könnte. Schäuble drückte das so aus: „Niemand hat hier Panikparolen verbreitet.“ Die Krise soll nicht herbeigeredet werden. Das sah auch Bundesbankchef Jens Weidmann so. Der Bundesbanker sprach von Licht und Schatten. In einigen Schwellenländern wie Indien laufe es gut. Die Sorgen um China, das besonders für die deutschen Exporteure wichtig ist, hält Weidmann für übertrieben. Er spricht von einer Normalisierung. Es sei klar, dass die hohen Wachstumsraten nicht von Dauer sein könnten. Auch der IWF will mit seinen Prognosen beruhigen. Der Fonds erwartet in China keinen abrupten Abbruch, sondern nur ein – für chinesische Verhältnisse – moderates Wachstum von 6,8 Prozent in diesem Jahr und 6,3 Prozent im nächsten Jahr. Weidmanns Fazit lautete: „Der Konjunkturhimmel ist aus meiner Sicht nicht so düster, wie das viele glauben machen.“

Sind das reine Beruhigungspillen? Fakt ist jedenfalls, dass der Währungsfonds seine Konjunkturprognose für die Weltwirtschaft für dieses und kommendes Jahr leicht zurückgenommen hat. Er rechnet für 2015 mit einem globalen Wachstum von 3,1 Prozent. Das ist immerhin der schlechteste Wert seit der Finanzkrise 2009. Die IWF-Mitgliedstaaten räumen ein, dass die Risiken für die Weltwirtschaft zugenommen haben. Vor allem die niedrigen Öl- und Rohstoffpreise werden für Schwellenländer zum Problem. Die Experten verweisen zwar darauf, dass die Schwellenländer enorme Währungsreserven angehäuft hätten und eine erneute Währungskrise wie Ende der neunziger Jahre in Asien nicht zu erwarten sei, doch die Abhängigkeit der Staaten untereinander hat zugenommen. Wenn China wegen seiner Wachstumsschwäche etwa weniger Erz, Mais und Getreide in Südamerika einkauft, spürt das die dortige Wirtschaft sofort. Die Gefahr, dass die Schwäche einer großen Volkswirtschaft rasch überspringt, ist gestiegen.

Bankenvertreter spricht von einer Malaise

Gerade im Bankenlager nehmen die warnenden Stimmen zu. Georg Fahrenschon, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV), wendet sich gegen Schönfärberei. „Wir sollten uns nicht auf das Gerede von der neuen Normalisierung einlassen“, sagte er in Lima. Angesichts der Unsicherheit in den Schwellenländern spricht Fahrenschon von einer Malaise. In den aufstrebenden Nationen wie China, Brasilien oder Südafrika sei das Wachstum im fünften Jahr in Folge zurückgegangen. Da die Schwellenländer inzwischen mehr als ein Drittel zum weltweiten Sozialprodukt beitragen, sind sie für die Weltwirtschaft elementar. Den Sparkassenvertreter beunruhigen die weltweit niedrigen Produktivitätsfortschritte, die hohe Verschuldung und die Nullzinspolitik der Notenbanken. Gerade mit der Geldpolitik würden die wahren Probleme übertüncht, lautete seine Diagnose.

Mit seiner Forderung nach einer Rückkehr zu höheren Leitzinsen steht der DSGV-Chef international jedoch auf einsamem Posten. „Es gibt keinen Druck zu einem schnellen Zinsanstieg“, sagte IWF-Chefin Christine Lagarde, die die expansive Geldpolitik der westlichen Notenbanken lobte. Weil der IWF fürchtet, dass höhere Leitzinsen die Kapitalflucht aus Schwellenländern verstärkt, plädierte Lagarde für ein Weiter-so.

Vom Zustand der chinesischen Wirtschaft hängt viel ab

Dass die Nervosität steigt, war im August in China zu beobachten, als die Turbulenzen an den chinesischen Aktienmärkten zu einem Kurssturz an den Weltbörsen führte. Vom Zustand der chinesischen Wirtschaft hängt viel ab – zum Beispiel für die deutschen Automobilbauer, die einen beachtlichen Teil der Fahrzeuge in China verkaufen. Wie gespannt die Welt auf China blickt, zeigte sich bei einer Pressekonferenz der großen Industrie- und Schwellenländer (G 20), zu der auch China zählt. Zwölf Finanzminister der G 20 saßen auf dem Podium. Als ein Journalist vom chinesischen Finanzminister wissen wollte, wie er die Marktturbulenzen bewertet, setzten sich seine Kollegen rasch die Kopfhörer auf, um die Übersetzung mitzubekommen. Vor 15 Jahren hätte sich noch kaum jemand für den chinesischen Minister interessiert. Mittlerweile hängen alle an seinen Lippen.

Einen breiten Raum nahmen in Lima Diskussionen über die Geldpolitik ein. Die Sorge war zu spüren, dass bei einer Leitzinserhöhung der US-Notenbank die Kapitalflucht in den Schwellenländern zunimmt. Schon jetzt mussten viele Länder wie Brasilien oder Malaysia ihre Währungen abwerten. Bundesbankchef Jens Weidmann hält die Ängste für übertrieben: „Die Länder hatten viel Zeit, um sich auf eine Umkehr der Kapitalzuflüsse vorzubereiten.“