Ein Wirt will an einen einst berühmten Sohn der Stadt erinnern – und die Schönheit der Altstadt.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

S-Mitte - Dass hier Geschichte geschrieben wird, ist auf den ersten Blick schwerlich zu vermuten. Die Jakobstube gleich unterhalb der Jakobschule heißt Jakobstube, weil ihre Adresse die Jakobstraße ist – mitten im Rotlichtviertel. Zur Einrichtung muss niemandem etwas gesagt werden, der eine Stammpinte an egal welcher Ecke kennt. Es gibt eine Bar mit Hockern und einen Tisch. Abgesehen vom Wirt raucht hier so gut wie jeder.

 

Hier wärmen die Huren vom Straßenstrich sich an der Theke auf, weil sie ihre Ruhe haben. Die Gäste sind zwar fast ausschließlich Männer, aber die Jakobstube ist ein Schwulentreff. Auch wenn „das heute ja Gott sei Dank keine große Rolle mehr spielt“, sagt Heinrich Hermann Huth. Wenn einer trotzdem einen blöden Spruch macht, wird Huth fuchsig. Er ist der Wirt hier. Eigentlich hat er’s ja nicht gern, wenn sein Bild und sein Name in der Zeitung gedruckt werden, sagt er. Aber abgesehen davon, dass es nicht das erste Mal ist – er muss, wenn Huth sein geschichtsträchtiges Anliegen voranbringen will.

Ein Haus mit Geschichte

Was heute die Jakobstube ist, war einst das Geburtshaus von Friedrich Zimmermann. Nicht des jüngst verstorbenen CSU-Politikers und einstigen Innenministers, genannt Old Schwurhand, sondern das Geburtshaus von Balthasar Friedrich Wilhelm Zimmermann. Er lebte vom 2. Januar 1807 bis zum 22. September 1878. Auch dieser Zimmermann war Politiker, er saß in der Nationalversammlung. Allerdings hegte er keineswegs konservative Gedanken, sondern war ein Radikallinker. Außerdem war Zimmermann Doktor der Philosophie, Freund Mörikes, Pfarrer, Dichter, Historiker und Schriftsteller. Geschichtskundige kennen sein Werk „Der große deutsche Bauernkrieg“. Das Dorf Dettingen an der Erms hat ihm eine Gedenkstätte gewidmet. Die Stadt Stuttgart widmet ihm: nichts. Eben. Genau das will Huth ändern. Wenigstens eine Gedenktafel soll nach seinem Willen neben der Haustür hängen. Um die durchzusetzen, plant er allerlei, als Erstes mal einen polithistorischen Vortrag. Den wird an Zimmermanns Geburtstag Günter Randecker halten, ein Mann, „der etwas skurril ist, skurril im positiven Sinn“, sagt Huth. Randecker leitet das Zimmermann-Museum in Dettingen.

Selbstverständlich könnte Huth die Zimmermann-Gedenktafel mühelos selbst bezahlen. Sie dürfte etwa so viel kosten, wie er nach einem Abend an die Gema überweist, an dem Travestiekünstler vor sardinenbüchsen-vollem Saal auf seiner Minibühne auftreten. „Aber da bin ich stur“, sagt Huth, „das soll schon die Stadt machen“. Diesen Willen hegt er seit dem Besuch eines Professors. Der Historiker kam in die Kneipe, knallte eben jenes Werk über den Bauernkrieg auf den Tisch und wollte wissen: „Wisst ihr eigentlich, was ihr hier habt?“ Huth wusste sehr wohl, in welchem Haus er arbeitet und nebenbei – im oberen Stock – auch lebt. Schließlich ist er ebenfalls ein Linker, kein extremer, sondern Sozialdemokrat. Aber „so hat das angefangen“, sagt er. In seiner Gesamtheit als bewirtender Genosse ist Huth auch durchaus bekannt in politischen Kreisen. Die Stuttgarter SPD-Bundestagsabgeordnete Ute Vogt schaut regelmäßig bei ihm rein. Gelegentlich bewirtet er auch Vogts christdemokratischen Kollegen Stefan Kaufmann.

Raus aus der Schmuddelecke

Im Grunde geht es Huth um mehr als um eine Gedenktafel für einen einst prominenten Bürger der Stadt. Im Grunde geht es ihm um Kommunalpolitik. Er will einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass der Rotlichtbezirk nicht mehr nur als Schmuddelecke der Stadt gilt, dafür, „dass man auch sieht, wie schön das Leonhardsviertel ist“. Abgesehen davon, dass es ihm der Teil der Stadt ist, in dem es sich am besten leben und Leben lassen lässt, ist ausgerechnet der Rotlichtbezirk das historische Zentrum Stuttgarts und die Jakobstube keineswegs das einzige geschichtsträchtige Haus im Quartier. Diskutiert wird zwar viel über Erhalt und Zerfall, im Rathaus sogar in einem eigenen Unterausschuss fürs Leonhardsviertel. Aber „ich hoffe“, sagt Huth, „dass auch endlich mal was passiert, wenn man an allen Ecken darauf aufmerksam macht“.