Heulboje, Schmusesänger, Frauenversteher: James Blunt genießt einen zweifelhaften Ruf. In der Schleyerhalle spielt er ein ordentliches, aber unspektakuläres Konzert. In Erinnerung bleibt unserem Autor eher das Feuerzeugproblem.

Stuttgart - Wer den Schaden hat, braucht für den Spott bekanntlich nicht zu sorgen. Einen Schaden hat James Blunt nun zwar nicht, aber das mit dem Spott stimmt schon. Heulboje, Schmusesänger, Frauenversteher gar – so lauten die Attribute, die dem britischen Musiker angeheftet werden. Er wehrt sich öffentlich ja nicht einmal allzu sehr dagegen. Wozu auch. Die „erfolgreich betriebene Weichsingung popinteressierter Frauenherzen“, wie es im großen Hämekübel heißt, der über ihn verbal von der Musikkritik ausgekippt wird, hat ihm zumindest kommerziell größten Erfolg beschert.

 

Die Stuttgarter Schleyerhalle ist bei seinem Gastspiel am Samstagabend ausverkauft, zehntausend Besucher sind gekommen. Sie sitzen, denn dieses Popkonzert ist bestuhlt. Das kommt in dieser Arena zumeist vor, wenn Popstars wie Joe Cocker oder Elton John dort auftreten; reifere Musiker nebst mitgealtertem Publikum. Dass bei einem Popkonzert eines sehr jungenhaft wirkenden Vierzigjährigen bestuhlt wird, ist freilich eher ungewöhnlich.

Sei’s drum, Blunt betritt bereits zwei Stunden nach Einlassbeginn die Bühne, findet schon nach dem dritten Lied die ersten seiner sparsam gesetzten Worte an das Publikum und vermittelt über die ziemlich kleinen Videowände auch den hinteren Reihen umgehend das Gefühl, dass er es an diesem Abend mit jeder Menge Ruhe und Gemütlichkeit durchzuziehen gedenkt. Der frühere Berufssoldat trägt einen Fliegeroverall, ein Union Jack prangt auf dem Oberarm. Wer bereits, soll das wohl heißen, wie Blunt als Sargträger bei der Beerdigung der Queen Mum abgeordnet war, könnte folglich auch, zumal mit seiner gewinnend loyalen Art, prädestiniert für die Rolle des ersten Briten auf dem Mond sein, weswegen die Tournee ja auch analog zum aktuellen Album das Motto „Moon landing“ trägt.

Der Megahit „Bonfire Heart“ kommt als Zugabe

Aber hoppla, fast wären wir jetzt auf den Weg der Übelkübel abgedriftet, die James Blunt immer die gemeinsten Dinge unterstellen, und das wollen wir ja natürlich nicht. Deshalb flugs weiter mit dem Programm. Blunt spielt 19 Stücke, sein durchaus erstaunliches Repertoire an Hits wie „Postcards“, Goodbye my Lover“, „High“ und „You’re beautiful“ verstreut er dabei so sorgsam wie dezent über das Set.

Danach wären wir dann heim gegangen, weil bei einem so unspektakulären Auftritt natürlich niemand damit rechnen konnte, dass noch eine Zugabe anberaumt oder gar eingefordert hätte werden können. So kam es aber verblüffenderweise, in ihr spielte der wahnwitzige Teufelskerl James Blunt dann sogar tatsächlich seinen dem Publikum zuvor vorenthaltenen aktuellen Megahit „Bonfire Heart“. Sowie einen Song namens „Stay the Night, der seine Popularität, so liest man, einer Sat-1-Vorabendserie namens „Hand aufs Herz“ verdankt.

Illuminationen mit dem Feuerzeug sind von gestern

Fazit also: auch James Blunt konnte der verblüffenden Entwicklung im Konzertgeschehen Vorschub leisten, bei der das Wort „Zugabe“ eine weiterhin schleichende Entwertung erfährt, weil diese Dreingabe mittlerweile als integraler Bestandteil eines Auftritts gewertet wird, wiewohl umgekehrt die zweite, dritte oder gar vierte und fünfte Zugabe mit tatsächlich spontan gespieltem Bonusliedgut offenbar bald ein Fall für die Geschichtsbücher sein dürfte.

Weiterhin bemerkenswert ist, dass die stetig steigende Zahl der Nichtraucher mittlerweile bei Großkonzerten zu etwas führt, was wir das Feuerzeugproblem nennen wollen. Zum Lied „Same Mistake“ sollen die Besucher nach alter Schule die Halle illuminieren, aber James Blunt kennt das Problem offenkundig schon und fordert daher dazu auf, erleuchtete Mobiltelefone in die Höhe zu halten. Eine erstaunlich große Anzahl von Besuchern hat – man bedenke, wir befinden uns auf einem Konzert! – tatsächlich ein einsatzbereites Fernmeldegerät dabei und reckt es freudig in die Höhe. Drittens denkwürdig, und das spricht wirklich für den Künstler: Blunt spielt neben der Gitarre auch Klavier. Und zwar keinen Konzertflügel, sondern wirklich ein Klavier, das direkt an der Front der Bühnenmitte aufgestellt ist.

Darauf musiziert er ordentlich, wie er auch sehr passabel Gitarre spielt. Sein hoher, sich bisweilen überschlagender Gesang hingegen ist hingegen gewöhnungsbedürftig und ragt in Umfang, Modulationsfähigkeit und durchschlagskräftiger Prägnanz weder an Falsettlagenkönner wie Patrick Wolf oder Joel Gibb noch an Wuchtbrummer wie Nick Cave heran. Die Begleitmusiker haben ihre Arbeit solide wenn auch etwas kompressionsübersättigt absolviert. Weswegen über dieses Konzert festgehalten werden darf, dass es aus künstlerischer Sicht ordentlich, allerdings auch reichlich unspektakulär verlaufen ist.