Überrascht war er schon, als die Nachricht kam: Jan Lachauer, der an der Ludwigsburger Filmakademie studiert hat, ist für den Oscar nominiert - und zwar für seinen Animationsfilm „Room on the Broom“. Und Lachauer ist kein Neuling bei den Oscars.

Ludwigsburg/München - Man könnte sich den jungen Mann als Kindergärtner vorstellen. Wie er ganz ruhig mit den Kleinen spricht, sie ab und zu anlächelt und vielleicht nebenbei ein Bild mit ihnen zeichnet. Zeichnen kann Jan Lachauer wirklich ziemlich gut. Das hat er schon zu Hause bei seinen Eltern, beide sind Künstler, ausdauernd getan. Anstatt in der Kita um die Ecke wird man den 31-Jährigen in Los Angeles sehen, bei der Oscarverleihung im Dolby Theatre.

 

Mit seinem Freund und Kollegen Max Lang wurde er in der Kategorie animierter Kurzfilm nominiert. In dem vom ZDF mitproduzierten 25-Minüter „Für Hund und Katz ist auch noch Platz“, der auf Englisch so schön griffig „Room on the Broom“ (Platz auf dem Besen) heißt, geht es um eine Hexe, auf deren Fluggerät sich eine bunte Gesellschaft versammelt. Eine witzige, gemütvolle Geschichte.

Jan Lachauer war überrascht über die Nominierung. Foto: Schellnegger, Alessandra
Ja, sagt Lachauer beim Gespräch in einem alternativen Familiencafé mit Blick auf einen Spielplatz im Münchner Stadtteil Sendling, aufregend finde er das alles schon. Andererseits: Was kann einem noch passieren, wenn man mit seiner ersten Arbeit nach dem Studium schon den Preis für die beste Fernsehproduktion auf dem Festival d’Animation Annecy sowie einen International Emmy Kids Award gewonnen hat – und dann noch nach Hollywood eingeladen wird? Vor zwei Jahren ist dort schon „Der Grüffelo“ nominiert gewesen, der auch nach einem Bilderbuch von Axel Scheffler und Julia Donaldsen entstanden und von Max Lang mit Jakob Schuh vom Ludwigsburger Studio Soi gedreht worden war. „Von daher hing das schon so ein bisschen im Raum“, sagt Lachauer.

Der Weg zum Animationsfilmer

Überrascht sei er trotzdem gewesen, als die gute Nachricht ankam. Und überrascht wirkt der junge Mann in Jeans und Kapuzenjacke immer noch darüber, was ihm da gerade alles zustößt. Was alles auf ihn zukommt: Welche Art Hotelzimmer verschafft man sich in L.A.? Soll man sich den Smoking kaufen oder mieten? Welche Kollegen wird man treffen, wie wird die eigene Produktion bei der Jury ankommen?

Dass er mal von Beruf Animationsfilmer werden könnte, hätte er noch nicht gedacht, als er im Grundschulalter zusammen mit seinem älteren Bruder den Computer entdeckte, Adventure-Games spielte und „3-D-Animationssachen“ probierte. „Das hat mich immer fasziniert, dass man eine Welt erzeugen kann, ohne Grenzen – abgesehen von den technischen“, sagt Jan Lachauer. „Toy Story“ oder „Shrek“, die damals neuen 3-D-Filme aus Amerika, machte auf ihn großen Eindruck, nach Abitur und Zivildienst waren es aber seine Eltern, die ihn ermunterten, Trickfilm zu studieren. Er bewarb sich für ein Praktikum bei Scanlight in seiner Heimatstadt München, beim Studio Filmbilder in Stuttgart und beim Studio Soi in Ludwigsburg – „die waren dann die Einzigen, von denen ich eine Antwort bekam“.

Er entdeckte, was es eigentlich heißt, einen Film zu machen. „Die Kameraarbeit, die Dramaturgie: mir ist dort erst bewusst geworden, wie man überhaupt eine Geschichte erzählt.“ Jakob Schuh und Saschka Unseld hätten einen großen Einfluss auf ihn gehabt. Sie und die anderen Mitglieder des Studio Soi, alle selbst Absolventen der dortigen Filmakademie Baden-Württemberg, ermunterten ihn, sich an der Lehranstalt zu bewerben. „Ich bekam sogar drei Monate Zeit, um meinen Bewerbungsfilm bei ihnen zu machen, dafür bin ich ihnen heute noch dankbar.“ Als er angenommen wurde und sein Studium begann, kannte er das Umfeld und die Örtlichkeiten schon ziemlich gut, „schließlich waren wir da immer in der Kantine essen gewesen“.

Zwei Talente kommen zusammen

Ludwigsburg sei ein Schmelztiegel, sagt Lachauer. „Die Verbindung der Hochschule zum Studio Soi ist ziemlich eng. Fast jeder, der in Ludwigsburg Trickfilm macht, kommt mit ihm irgendwann in Berührung.“ Natürlich gebe es auch Kontakte zum Stuttgarter Studio Filmbilder, dessen Schwerpunkt eher im Zeichentrickfilm liegt. Aber prägend für seine Ausbildung seien vor allem seine Mitstudenten gewesen. „Das ist das Schöne: Man lernt dort wirklich voneinander, weil die Leute ganz unterschiedliche Grundvoraussetzungen mitbringen, manche haben zum Beispiel vorher Grafik oder Informatik studiert.“ Es gebe wenig Unterricht und viele Freiheiten – was manchmal auch schwierig sein könne. „Das meiste lernt man bei der Arbeit an den Projekten.“

Andere Erfahrungen trug ihm ein Auslandsjahr an der renommierten Pariser Schule „Gobelins – l’école de l’image“ ein, „dort war alles sehr streng und geregelt, da hatte man etwa von 9 Uhr morgens bis 5 Uhr abends nur Zeichenunterricht“. Während des Studiums machte er eine Zeit lang gar keine 3-D-Animation, sondern erst mal nur Zeichentrickfilme. „Da kann man sich rein auf das Künstlerische konzentrieren und muss weniger auf die Technik achten.“ Sein Kommilitone Max Lang kam aus dieser Richtung. „Er hatte sich viel mit filmischem Erzählen auseinandergesetzt, und so konnten wir uns ergänzen. Wir haben schon während des Studiums viel zusammengearbeitet.“

Lang, aus Rheinberg am Niederrhein stammend, lebt inzwischen mit Frau und Kind in London. Er war schon bei der ersten oscarnominierten Produktion des Studio Soi, „Der Grüffelo“, als Regisseur beteiligt. Für die Arbeit daran hatte er ein Urlaubsjahr genommen. Als ihm die Londoner Produktionsfirma Magic light pictures anbot, auch „Room on the Broom“ mit dem Studio Soi filmisch umzusetzen, waren er und Lachauer gerade dabei, ihr Studium abzuschließen. Ein idealer Anlass, um ihre Talente zusammenwerfen.

Vorgespräche über einen Kinderklassiker

„Ich fand das Buch ganz toll und hatte sofort Bilder vor Augen, wie man das machen könnte“, sagt Jan Lachauer. Dann habe man sich lange inhaltlich besprochen, die Figuren konkretisiert, ihre Beziehungen untereinander geklärt, die Entwicklung erläutert. „Da sah ich von Anfang an ein großes Potenzial.“ Max Lang zeichnete das Storyboard. Seine eigene Begabung im Team, sagt Lachauer, liege eher bei der Regie. „Ich habe viele, auch gerade technische Bereiche ausprobiert, aber letztlich geht es mir immer darum, das Ganze zu formen und eine Welt zu erzeugen.“ Da er sich in unterschiedlichen Bereichen der 3-D-Animation auskenne, arbeite er aber auch gerne an allen Ecken selber mit.

Das Buch „Für Hund und Katz . . .“ hat Jan Lachauer auch gefallen, „weil es eine Reise ist, die einen schönen Bogen hat, weil sie so vielseitig ist, mit verschiedenen Figuren und Umgebungen“. Gut fand er, dass es um das Thema Wahlfamilie im weitesten Sinne geht. „Um Familie und die dort entstehenden Probleme, die sich alle lösen lassen.“ Dass sei für ihn eine Metapher für das Filme- und speziell für das Trickfilmemachen: „Man steht da ständig vor Problemen, die man lösen muss – mit viel Geduld, Fantasie und Humor.“

Die ausufernden, oft über Skype abgehaltenen Vorgespräche über den Kinderklassiker führten schließlich zu psychologisch fundierten, über Gesten possierlich und nachvollziehbar kommunizierenden Figuren. Insgesamt anderthalb Jahre wurde in den Räumen des Studio Soi in Ludwigsburg an den realen, an die oberbayerische Voralpenlandschaft erinnernden Kulissen gebaut, in welche die computeranimierten Charaktere – neben der Hexe eine Katze, ein Hund, ein Vogel, ein Frosch und schließlich ein Furcht erregender Drache – anschließend hineinmontiert wurden. Käfer, Pilze, Blüten: jedes Detail ist von Klaus Morschheuser, Mitbegründer des Studio Soi, und Katja Moll so liebevoll gestaltet, dass es zu lächeln scheint. Akustisch untermalt wird das Geschehen vom französischen Komponisten René Aubry, der auch schon für Pina Bausch tätig war.

Würdigt die Jury den feinen Geist?

Und so sind aus wenigen Buchseiten 25 überraschende Filmminuten entstanden, in denen die herzliche Hexe mit ihrer immer größer werdenden Begleitmannschaft diverse Abenteuer erlebt, Gefühle wie Eifersucht und Eitelkeit ausräumt und alle Schwierigkeiten überwindet. „Mir gefällt, dass sie es schaffen, sich gegenseitig zu helfen und so weiterzukommen“, sagt Jan Lachauer. Ob die Oscarjury den feinen Geist, mit dem er, Max Lang und um die zwanzig Mitstreiter die eigentlich tote Materie der Trickfiguren beseelten, würdigen wird? Verdient hätten sie’s, und wenn es nicht klappt, dürfte sich Jan Lachauer davon auch nicht aufhalten lassen. Wie sagt die Hexe im Film so schön? „Hopp und los, die Welt ist schön, die Welt ist groß.“