Es war ein Suppenhuhn, das Jana Hogers Leben verändert hat. Sie war vier Jahre alt und schaute ihrer Mutter in Nellmersbach beim Kochen zu. Ein Huhn, der Kopf schon abgetrennt, lag in der Küche und sollte in den Topf. Und dann gab es den Moment, an den sich die heute 34-Jährige noch sehr plastisch erinnert. Sie realisierte: Das Wesen auf dem Tisch war ein Tier, „das vorher gelebt hat“ – und nun für ihr Essen verarbeitet werden sollte. Das Huhn landete zwar trotz dieser Erkenntnis in der Suppe. Aber von dem Tag an aß das Mädchen nie mehr Fleisch. Auch der Kinderklassiker Spaghetti bolognese war für sie tabu.
Stattdessen fragte sie bei allem, was auf ihren Teller kam: „Hat es vorher gelebt?“ Sie fragte das bei Tomaten und Gurken, bei der Wurst und beim Käse. Für ihre Eltern muss das anstrengend gewesen sein. Ihre Tochter baute beim Essen Mauern aus Teekannen und Büchern um sich herum, „damit ich nicht sehen musste, wie der Rest meiner Familie Fleisch isst“, erzählt Jana Hoger lachend über ihren kindlichen Eifer von damals.
Ihre Eltern ließen sie gewähren. Sie hielten auch zu ihr, als die Lehrerin die Mutter einbestellte, weil sich Jana in der Realschule im Mensch-und-Umwelt-Unterricht weigerte, Fleisch zuzubereiten. Die Lehrerin meinte: „Wenn sie kein Fleisch kocht, bekommt sie keinen Mann.“ Jana Hogers Mutter entschärfte den Konflikt und gab ihrer Tochter Sojaersatz aus dem Reformhaus mit in den Unterricht. Damit machte sie vegane Fleischküchle.
Kindliche Machtlosigkeit angesichts offener Tierquälerei
Eines kam bei Jana Hoger zum anderen und addierte sich zu einer Haltung gegenüber der Welt. Auf einer Fahrt in den Elba-Urlaub erlebte sie, wie das Begleitpersonal eines Rindertransports die erschöpften Tiere immer wieder mit Eisenstangen malträtierten, um zu verhindern, dass sich die Kühe hinlegten. „Ich weiß bis heute, wie machtlos ich mich da gefühlt habe. Ich wusste, da läuft was total schief, konnte aber in der Situation nichts dagegen tun.“ Wie sie damals ohne Internet auf die Tierrechtsorganisation Peta und das Informationsmaterial zu Tierversuchen und anderem kam, weiß sie heute nicht mehr. Wohl aber, dass sie noch in der Grundschule auf dem Klo Unterschriftenlisten gegen Tierversuche aufgehängt hat. So fangen wohl Lebensläufe an, in denen die Leidenschaft und die Überzeugung für eine Sache irgendwann zum Beruf werden.
Ein Vierteljahrhundert später ist Jana Hoger in der deutschen Zentrale von Peta für tierische Mitbewohner zuständig – und inzwischen Veganerin. Sie verzichtet gänzlich auf tierische Produkte in ihrem Leben. Nicht nur in der Ernährung, sondern auch bei der Wahl ihrer Kleidung. Die Schuhe, sind die auch vegan? Klar, sagt sie.
Es ist nicht etwa so, dass sie eine Art Chefin im Streichelzoo ist. Im Gegenteil. Manchmal geht es richtig zur Sache. Tipps bekommen sie und die anderen Tierrechtler auch von Whistleblowern, die auf Missstände aufmerksam machen. Wenn Jana Hoger erzählt, dann klingt das, als sei an ihr eine Detektivin verloren gegangen, die nicht selten undercover, aber immer legal im Einsatz ist. „Wir kennen unsere Möglichkeiten – und die nutzen wir so, dass wir den Tieren helfen können“, sagt sie. Mit der parteiischen Arbeit macht sie sich nicht nur Freunde. Sie weiß das. „Aber es kann mich nicht davon abhalten. Ohne Mut kommt man nicht weiter.“
Und so trifft sie sich als vermeintliche Kaufinteressentin mit Menschen, die illegal mit exotischen Reptilien handeln oder ein Kapuzineräffchen in einem viel zu kleinen Käfig halten und nun verkaufen wollen. Immer mit dem Ziel, diesen Missstand zu beenden – mit der Polizei und dem Veterinäramt an der Seite.
Regelmäßig durchsucht sie Ebay nach dubiosen Angeboten
An diesem Morgen steht Jana Hoger auf einer eingezäunten Wiese des Ludwigsburger Tierheims. Die Schafe, die das Kreisveterinäramt im Dezember beschlagnahmt hat, sind hier vorübergehend untergekommen. Jana Hoger füttert sie, begeistert sich für die Lämmer, denen es wieder gut geht. Genießt einfach mal einen Erfolg. Realistischerweise nur ein Etappensieg. Die Arbeit im Tierschutz ist nie zu Ende. Trotzdem sagt Hoger: „Für mich ist das der Traumjob.“ Am Nachmittag wird sie sich mit einer Frau treffen, die auf Ebay zwei Malteserwelpen zum Kauf anbietet. Eigentlich ist schon das nicht mehr erlaubt. Nur Tierschutzorganisationen dürfen dort Hunde zur Vermittlung anbieten, die jünger als zwölf Monate sind. Jana Hoger durchsucht die Verkaufsplattform regelmäßig nach solchen Angeboten. Dann ruft sie mit viel Begeisterung in der Stimme als vermeintliche Kaufinteressentin an und hört oft die abstrusesten Geschichten. Rein zufällig, wie die Frau sagt, hätten die Hunde in Rumänien ausgestellte Pässe. Sie sei nämlich mit ihnen im Urlaub in ihrem Heimatland gewesen. Mit nur wenigen Wochen alten Welpen verreisen? Jana Hoger verdreht beim Erzählen die Augen. Einen Tag später sind die Tiere beschlagnahmt, der Verkauf ist geplatzt.
Jana Hoger kennt die Verhältnisse in Rumänien und wie dort Welpen für den deutschen Markt regelrecht produziert werden. Seit 2018 ist sie für Peta auch regelmäßig in dem südosteuropäischen Land unterwegs. Sie leitet dort ein Kastrationsprojekt für Straßenhunde. Ehrenamtlich engagiert sie sich noch bei der Dettinger Tierschutzorganisation Tierhilfe Hoffnung, die mit der Smeura das mit mehr als 7000 Tieren größte Tierheim Rumäniens betreibt. Jeden Donnerstag steht sie dafür um 4 Uhr in der Früh auf, um rechtzeitig in Dettingen zu sein, wenn die Sprinter mit den von der Straße oder aus Tötungsstationen geretteten Hunden ankommen. Die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben sind wie so oft im Tierschutz fließend. Acht Tierschutzfälle pro Jahr deckt sie öffentlichkeitswirksam in ihrer Freizeit für den TV-Sender Vox und das Magazin „Hund Katze Maus“ auf. Sie will für Missstände sensibilisieren. „Manche Fälle kann man nur so lösen“, sagt sie. Mit einer Kamera an ihrer Seite.
Wie wird man das eigentlich, Tierrechtlerin? Wie findet man einen Job im Tierschutz? Jana Hoger war als Kind Gassigeherin im Tierheim, wollte wie fast jedes Kind natürlich einen Hund – und bekam eine Katze. Hilde, wie die wilde Stromerin dann hieß, schlich sich ins Familienleben, indem sie ihre vier Jungen einfach ins Gartenhaus legte.
Der Wunsch, Tiermedizin zu studieren, muss irgendwann in dieser Zeit entstanden sein. Jana Hoger gefiel bei den Tierarztbesuchen, mit wie viel verschiedenen Tierarten man dort zu tun hat. Für das Studieren reichte das Abitur am Wirtschaftsgymnasium dann aber nicht. Vielmehr kam erst mal die große Kehrtwende.
Schwer verletzte Hündin wird vom Herrchen zurückgelassen
Jana Hoger sah eine Anzeige und wurde Flugbegleiterin – um doch nach fünf Jahren in einer Stuttgarter Tierarztpraxis eine Ausbildung zur Tierarzthelferin zu machen. Dort lernte sie viel Medizinisches, sah aber auch, was alles im Umgang der Menschen mit Tieren schieflaufen kann. Vom Kaninchen in Einzelhaltung bis zum Meerschweinchen im Kinderzimmer, das Tumore entwickelt, weil es keine ruhige Minute mehr findet. Tierarztpraxen, ist Jana Hoger überzeugt, sind Orte, an denen Aufklärung über artgemäße Tierhaltung erfolgen kann. Mit ihrem ehemaligen Chef arbeitet sie weiter zusammen.
Ihr erster Hund humpelte ihr in der Praxis über den Weg. Die kleine Pinscherhündin, die sie später Emmi taufte, war mit den Pfoten zwischen die Stufen einer Rolltreppe geraten. Ihr Besitzer kam spät mit der schwer verletzten Hündin in die Praxis, in der Jana Hoger damals noch arbeitete. Das Tier wurde notoperiert, der Besitzer benachrichtigt. Ohne Erfolg, er blieb auf Tauchstation. Jana Hoger nahm die Hündin schließlich über das Wochenende mit nach Hause. Und Emmi, damals zehn Jahre alt, blieb für immer. Sie begleitete ihre neue Besitzerin bis zu ihrem Tod überall hin.
Emmis Nachfolgerin stammt aus der Smeura. Eigentlich sollte sie ja nur gerettet werden. Dafür machte Jana Hoger Fotos von ihr. Doch dann zog die Junghündin bei ihr ein und ist nun unbeabsichtigt auch noch zum Studienobjekt geworden. Denn um noch mehr über die Tier-Mensch-Beziehung zu verstehen, absolviert Jana Hoger gerade ein Fernstudium in Tierpsychologie. Als sei das Leben nicht schon voll genug.