In der Ukraine haben sich die Opposition und Präsident Viktor Janukowitsch am späten Mittwochabend überraschend auf einen Waffenstillstand geeinigt. Zuvor hatten die USA und die EU den Ton gegenüber der Führung in Kiew verschärft und deutlich wie nie zuvor mit Sanktionen gedroht.

Kiew - Nach der blutigen Eskalation in der Ukraine mit zahlreichen Toten und Verletzten will die EU mit Sanktionen gegen Präsident Viktor Janukowitsch und dessen Führungszirkel vorgehen. Die Strafmaßnahmen sollen schon heute bei einem Krisentreffen der EU-Außenminister in Brüssel beschlossen werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte nach einem Treffen mit dem französischen Präsidenten François Hollande in Paris, es gehe „jetzt darum, Sanktionen ins Auge zu fassen, die die Verursacher der Gewalt treffen“. Hollande sprach sich für „rasche und gezielte“ Strafmaßnahmen aus. Am späten gestrigen Abend traf sich Janukowitsch überraschend erneut mit Vertretern der Opposition. Im Anschluss daran hieß es, beide Seiten hätten sich auf einen Waffenstillstand verständigt. Es sollten nun Verhandlungen beginnen, um das Blutvergießen zu beenden. Fraglich blieb allerdings, ob die Waffenruhe von Dauer ist.

 

In Brüssel wurde gestern damit gerechnet, dass Janukowitsch und enge Vertraute mit einem Einreiseverbot belegt werden. Bedeutsamer ist, dass die Konten, die sie in der EU unterhalten, voraussichtlich gesperrt werden. Die ukrainische Aktivistin Ruslana Lyschytschko, die am Mittwoch in Brüssel für eine Unterstützung der Opposition warb, behauptete, ein Großteil von Janukowitschs Vermögen lagere auf Konten der Deutschen Bank. Der frühere ukrainische Premierminister Nikolai Asarow soll demnach kurz nach seinem Rücktritt Ende Januar in Wien gewesen sein, um nach seinem Geld zu sehen.

Im Gespräch war laut Diplomaten zudem, bestimmten Unternehmen Geschäfte mit Firmen in der EU zu verbieten. Dies könnte die sogenannten Oligarchen, die hinter Janukowitsch stehen, hart treffen. Die deutsche Wirtschaft erklärte indes, Wirtschaftssanktionen seien nur gerechtfertigt, wenn sie Staaten und Regime betreffen, von denen Gefahr für andere Staaten ausgeht. „Das ist in der Ukraine nicht der Fall“, so der Leiter des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, Eckhard Cordes.

Bei den schweren Zusammenstößen waren in der Nacht zum Mittwoch auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew mindestens 26 Menschen getötet und vermutlich mehr als 1000 verletzt worden. Am Mittwochabend rüsteten sich radikale Regierungsgegner zunächst für neue Auseinandersetzungen mit schwer bewaffneten Einsatzkräften. Präsident Janukowitsch tauschte derweil kurzfristig den Armeechef durch einen treuen Gefolgsmann aus. In die blutigen Ereignisse der Nacht hatte das Militär nicht eingegriffen.

Am Nachmittag hatte Bundeskanzlerin Merkel mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin telefoniert. Putin gilt als wichtiger Unterstützer von Janukowitsch. Bei dem Telefonat hätten beide Seiten vereinbart, „alles zu tun, damit die Gewalt nicht weiter eskaliert“, sagte Merkel. Es solle „alles versucht werden, damit der politische Prozess dort in Gang kommt“. Bekannt wurde außerdem, dass Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und seine Kollegen aus Frankreich und Polen heute Vormittag zu Vermittlungsgesprächen nach Kiew reisen wollen.

US-Präsident Barack Obama drohte für den Fall einer weiteren Eskalation mit Schritten der internationalen Gemeinschaft. „Es wird Konsequenzen haben, wenn Leute eine Linie überschreiten.“

Der Führung in Kiew entgleitet derweil zunehmend die Kontrolle über den pro-europäischen Westen des Landes. Am Mittwoch erklärten Gegner von Janukowitsch die Großstadt Lwiw (Lemberg) für politisch autonom. Lokale Medien berichteten von ähnlichen Vorgängen in mehreren anderen westlichen Städten.

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