Berufstätige Mütter werden in Japan oft drangsaliert. Doch die Betroffenen organisieren sich.

Tokio - Michiko Ito arbeitet als Krankenschwester in einer großen Tokioter Klinik. Sie war bereits zweifache Mutter, als sie zum dritten Mal schwanger wurde. Als sie es ihrem Chef sagte, war dieser außer sich. Er wies Ito an, jede Kollegin und jeden Kollegen persönlich aufzusuchen und sich dafür zu entschuldigen, dass sie ihnen durch ihre erneute Abwesenheit schon wieder Mehrarbeit aufbürden und dadurch „meiwaku“ (zu Deutsch: Unannehmlichkeiten) bereiten würde.

 

Japaner fürchten dieses Wort, es zählt zu dem Schlimmsten, was man jemandem vorwerfen kann. Um sich adäquat dafür zu entschuldigen, ist eine tiefe, mehrere Sekunden dauernde Verbeugung nötig, um echtes Bedauern auszudrücken. Als sich Ito an den nächsthöheren Chef wandte, um ihn um Rat zu bitten, was sie tun solle, bekam sie nicht etwa Verständnis, sondern noch mehr Ärger. Er verdonnerte sie dazu, einen Entschuldigungsbrief zu schreiben.

In Japan spricht man inzwischen über „matahara“

Was sie erlebte, passiert in Japan jeder vierten Arbeitnehmerin in der einen oder anderen Form, besagt eine aktuellen Umfrage des Gewerkschaftsverbandes Rengo. Bei Festangestellten betrifft es jede Fünfte. Seit kurzem gibt es dafür ein Schlagwort: „matahara“, vom englischen „maternity harassment“, dem Ausdruck für Diskriminierung während der Mutterschaft. Die betroffenen Frauen werden von Kollegen und Vorgesetzten – Frauen wie Männern – gehänselt, herabgestuft, schlechter bezahlt oder gleich entlassen.

Dass der Begriff „matahara“ inzwischen Eingang in den normalen Sprachgebrauch gefunden hat, ist auch Sayaka Osakabe zu verdanken. Die 37-Jährige gründete im Juli 2014 Matahara Net, eine Freiwilligenorganisation, die Betroffene unterstützt. Seither hat sie von Dutzenden Frauen Geschichten gehört wie diejenige der Krankenschwester. Zu Itos Schutz gibt sie deren richtigen Namen nicht preis. Die Frauen vertrauen sich Osakabe an, weil sie wissen, dass diese sie versteht – denn sie hat ähnliche Erfahrungen machen müssen.

Der Chef stellte sie vor die Wahl: Kind oder Karriere

Als Osakabe nach einer Fehlgeburt ein zweites Mal schwanger wurde, stellte ihr Chef sie vor die Wahl: Karriere oder Kind. Es sei „gierig“ von ihr, beides zu wollen. Als sie eine Woche nicht zur Arbeit kommen konnte, suchte ihr Chef sie zuhause auf. Statt Fürsorge bekam sie Vorwürfe zu hören: Ihre Abwesenheit habe in der Firma für eine Lücke gesorgt, für Probleme. Er setzte sie unter Druck, zu kündigen. Osakabe gab zunächst nicht nach und kehrte kurz darauf an ihren Arbeitsplatz zurück, entschlossen, zu bleiben. Bald erlitt sie die zweite Fehlgeburt.

„Wenn man eine Erkältung hat und deswegen eine Woche zuhause bleibt, dann wird das akzeptiert. Aber nicht, wenn man eine Woche der Arbeit fern bleibt, weil man sich während der Schwangerschaft schlecht fühlt – denn an der Schwangerschaft ist die Frau ja selbst schuld“, sagt Osakabe. Als ihr Chef sie nach der zweiten Fehlgeburt auch noch fragte, ob sie und ihr Mann weiter versuchten, Kinder zu bekommen, gab die Redakteurin ihren Job in einem Verlag auf.

Immerhin: inzwischen treffen die Missstände auf Gehör

Damals habe sie sich sehr alleine gefühlt, sagt Osakabe. Im Internet fand sie kaum Informationen über ähnliche Fälle. Erst durch Vermittlung von Anwältinnen, die andere Opfer betreuen, lernte sie Leidensgenossinnen kennen. Zu dritt gründeten sie Matahara Net. Auf der Website stellen sie anonymisiert die Fälle anderer Betroffener vor. Sie halten Vorträge, bieten Treffen und ein offenes Ohr an. Dass die Medien schnell auf sie aufmerksam wurden, stimmt Osakabe hoffnungsvoll. Sie habe das Gefühl, dass in der Gesellschaft langsam etwas in Gang komme.

Masako Ishii-Kuntz, Professorin an der Fakultät für Sozialwissenschaften und Familienstudien an der Tokioter Ochanomizu-Universität, vermutet, dass hinter der öffentlichen Aufmerksamkeit etwas anderes steckt: „Die Regierung möchte mit aller Macht, dass mehr Kinder auf die Welt kommen.“ Die japanische Gesellschaft altert so schnell wie keine andere Industrienation, ein Arbeitskräftemangel droht. Daher wolle der Staat sicherstellen, dass das Arbeitsumfeld mütterfreundlich sei, sagt Ishii-Kuntz. Früher sei die Diskriminierung von Müttern kaum ans Licht gekommen, weil diese schwiegen und einfach ihren Job kündigten. Noch heute gibt knapp die Hälfte der betroffenen Frauen in der Rengo-Umfrage an, dass sie sich mit ihren Schwierigkeiten an niemanden wenden konnten.

Auch in Japan ist das Topmanagement männlich dominiert

Ob aus freiem Willen oder genötigt durch den Druck der Umgebung: über 60 Prozent der Japanerinnen hören auf zu arbeiten, wenn sie ihr erstes Kind bekommen. Dabei wollen der Rengo-Umfrage zufolge vier von fünf befragten arbeitenden Frauen nach der Geburt wieder in ihren Beruf zurückkehren.

Das bestätigt auch Osakabe. „Premierminister Abe sagt ja immer, er wolle eine Gesellschaft schaffen, in der die Frauen glänzen können. Aber das ist eine sehr männliche Sichtweise. Wir Frauen wollen nicht glänzen, sondern einfach nach der Geburt unserer Kinder weiterarbeiten können“, sagt sie. Die Japanerin beklagt die Kurzsichtigkeit des männlich dominierten Topmanagements: „Schließlich sind es ja die Kinder, die wir auf die Welt bringen, die sie später im Alter unterstützen.“