Das Kriegsjahr hat Jaroslawa Mahutschich geprägt. „Russland begeht unmenschliche Taten“, sagt die ukrainische Top-Hochspringerin, die mittlerweile einen Zweitwohnsitz in Eberstadt (Landkreis Heilbronn) hat.

Es waren dramatische Tage, die die Hochspringerin Jaroslawa Mahutschich vergangenes Jahr erlebt hat. In den Morgenstunden des 24. Februar 2022 ist sie in Dnipro, der viertgrößten Stadt der Ukraine rund 400 Kilometer südöstlich von Kiew, durch zwei heftige Detonationen aufgewacht. „Was ist das?“, fragte sie ihren Vater. „Es ist Krieg“, lautete dessen Antwort. Es waren Bomben, die Russland in dieser Nacht auf die Ukraine niedergeworfen hatte, das damit den bis heute andauernden Krieg begann.

 

Todesangst statt Hochsprung

Mahutschich verbrachte eine Woche in einem Keller etwas außerhalb. Todesangst statt Hochsprung. „Es war schrecklich, über Wettkämpfe in Kriegszeiten nachzudenken“, sagt die junge Frau heute. Die damals 20-Jährige machte sich dennoch im März mit ihrer Trainerin Tatjana Stepanowa auf einen abenteuerlichen Weg zur Hallen-WM nach Belgrad. Über 60 Stunden und 2000 Kilometer im Auto waren ihr fast unendlich langer Anlauf auf die Hochsprungmatte. Zurückgelassen hat sie ihren Vater und die Großmutter, ihre Mutter und Schwester flüchteten nach Polen.

In Belgrad wurde Jaroslawa Mahutschich fast ohne Training Hallenweltmeisterin mit 2,02 Meter. Sie holte eine Goldmedaille, die weit mehr war als ein sportlicher Sieg, sie war eine politische Botschaft. Es sei eine Goldmedaille für ihr Land, für die Soldaten gewesen, sagt die mittlerweile 21-jährige Patriotin im Rückblick auf den bislang bewegendsten Moment ihrer Laufbahn: „Ich habe der Welt gezeigt, dass die Ukrainer stark sind, nicht aufgeben, aber ich hätte bei der Siegerehrung schreien können.“

Zweitwohnsitz in Eberstadt

Der Krieg in der Ukraine verhinderte die Rückkehr Mahutschichs nach Dnipro. Ihr Sportartikelsponsor holte sie nach Herzogenaurach, wo sie endlich wieder trainieren konnte. Mahutschich landete zudem in Eberstadt (Landkreis Heilbronn), wo 40 Jahre lang Hochsprung-Weltklassemeetings stattfanden und die Ukrainerin schon als 16-Jährige gestartet war. Zu Nadia Kästle, jahrelang Dolmetscherin für die russischen und ukrainischen Athleten bei den Wettkämpfen in dem Weindorf, entwickelte sich eine Freundschaft. Die Belarussin trat als Vermittlerin auf und ebnete Mahutschich den Weg zu den Ämtern in Eberstadt und Heilbronn. Seitdem hat Mahutschich ihren zweiten Wohnsitz im Hochsprung-Dorf inmitten der Weinberge. „Eberstadt ist sehr schön“, sagt sie. Ihre wichtigste Begleiterin ist Trainerin Stepanowa („Wie eine zweite Mutter“), die sie seit zehn Jahren betreut.

Weltbeste Hochspringerin des Jahres 2022

Immer wieder sind die beiden in Eberstadt. „Hier finden sie zwischendurch ihre Ruhe zu den schlimmen Nachrichten aus der Heimat“, sagt Nadia Kästle, die Mahuschich als „sehr weltoffen“ beschreibt. Die 21-Jährige, die in der Ukraine zuletzt zur Sportlerin des Jahres gewählt wurde, posierte auch schon als Model im Modemagazin „Vogue“, besuchte die Fashion-Week in New York. Doch an erster Stelle steht für sie ganz klar der Sport: 2022 holte sie bei der WM in Eugene wie schon 2019 in Doha Silber und wurde im Sommer in München Europameisterin. Mit 2,06 Metern in der Halle und 2,05 Metern im Freien war sie vergangenes Jahr die weltbeste Hochspringerin.

Seit 2019 gibt es ein pikantes politisch-sportliches Duell zwischen Russland und der Ukraine. Marija Lasitskene, Olympiasiegerin und fünffache Weltmeisterin aus Moskau, sei ihr Vorbild, beteuerte Jaroslawa Mautschich noch vor drei Jahren als 18-Jährige. Jetzt, sagt sie, habe sie kein Vorbild mehr und sei absolut gegen die Teilnahme russischer Sportlerinnen und Sportler an internationalen Wettkämpfen. „Russland begeht unmenschliche Taten, auch viele ukrainische Sportler sind im Krieg getötet worden, und gleichzeitig unterstützen russische Athleten den Krieg“, begründet sie ihre Haltung.

Ihre Siege sind auch politische Stellungnahmen geworden

Das Kriegsjahr hat die Hochspringerin verändert. Ihre blau-gelben Fingernägel und ihre blau-gelben Augenlider sind ein dezentes Zeichen für ihren Patriotismus. Ihre Sprache dagegen ist deutlicher und inhaltsstärker geworden. Und ihre sportlichen Siege sind auch politische Stellungnahmen geworden – es sind auch Siege für die Menschen in der Heimat. „Ich bewundere die Ukrainerinnen und Ukrainer, die Erfolge unserer Soldaten inspirieren mich“, sagt sie.

Nach Weihnachten war sie für zwei Wochen zurück in Dnipro. Es habe viele Tränen der Freude und Erleichterung gegeben, als sie ihren Vater in die Arme schließen konnte, berichtet sie. Wenige Tage nach ihrer Abreise wurde Dnipro von den Russen heftig beschossen. Inzwischen ist das Duo Mahutschich/Stepanowa in einem Haus in Belgien untergekommen. Belgien und Deutschland als Zufluchtsorte der Freiheit? „Freiheit verspüre ich, wenn ich auf der Anlaufbahn zur Hochsprungmatte stehe“, sagt sie.

Mit Weltrekord zum Olympiasieg 2024 in Paris?

Ihr größtes sportliches Ziel ist es, den 36 Jahre alten Weltrekord der Bulgarin Stefka Kostadinowa (2,09 Meter) zu übertreffen. Einmal hat sich die Ukrainerin mit einer Bestleistung von 2,05 Meter schon im Wettkampf an dieser Höhe versucht. „Ich möchte diesen Weltrekord bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris angreifen“, sagt die selbstbewusste Athletin.

Am Mittwochabend beim Hallenmeeting in Cottbus gewann die junge Ukrainerin vor 2200 Zuschauern souverän mit 1,98 Meter. Der größte Sieg aber bleibt Jaroslawa Mahutschich vorerst verwehrt. Der Besuch in Dnipro stillte eine tiefe Sehnsucht, aber: „Ich träume vom Ende des Kriegs und von unserem Sieg.“ Es ist der Traum aller Ukrainer.