Ein ARD-Papier lässt an den Polittalks kein gutes Haar. Günther Jauch kommt dabei am schlechtesten weg.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Günther Jauch dürfte der Urlaub ordentlich vergällt sein. So viel Kritik muss dem lobverwöhnten, ehrgeizigen Moderator, der bis 12. August in der Sommerpause weilt, auf den Magen schlagen, zumal sie nicht hinter verschlossenen Türen, sondern öffentlich geäußert wird. „Der Spiegel“ kündigt diese Woche seinen Talkshow-Verriss, der zuallererst ein Jauch-Verriss ist, sogar auf dem Titel an: „Das Erste demontiert seine Talk-Stars“.

 

Das Nachrichtenmagazin zitiert aus einem internen Papier des ARD-Programmbeirats, das an den Talkshows kein gutes Haar lässt. Die Talks müssten reduziert werden; sie böten zu viel vom Selben – die gleichen Themen, die gleichen Gäste. Dazu geht der Programmbeirat, der aus ehrenamtlichen Vertretern der Landesrundfunkanstalten besteht und unter anderem den ARD-Programmdirektor Volker Herres berät, mit den Talkmastern hart ins Gericht. Vor allem Jauch, bei dessen Einstieg im September 2011 am Sonntagabend nach dem „Tatort“ auch alle anderen neue Plätze bekamen, kriegt sein Fett weg: Jauch hake selten nach, folge einem vorgefertigten Konzept und betreibe „Stimmungsmache“. Aber auch seine Kollegen stehen nicht viel besser da: Frank Plasberg sei „zu soft“, Anne Will biete oft wenig Erkenntnisgewinn, bei Sandra Maischberger ist von „skurrilen Gästen“ die Rede.

Die Kritik ist nicht neu

Die Kritik an den Gesprächsrunden ist nicht neu; sie hat die Einführung der Talkschiene an fünf Abenden jeder Woche von Anfang an begleitet, und sie kam nicht nur von außen, sondern wurde wohl auch intern vorgebracht. Öffentlich hatten sich vor Kurzem dann Gremien von WDR und NDR geäußert. Der NDR-Programmausschuss monierte im Mai: zu wenig junge Leute, zu wenig Frauen und zu wenig Gäste mit Fachkompetenz. Und der WDR-Rundfunkrat empfahl „dringend“ im April, „ diese Form der Talkleiste nicht fortzuführen“. Für die ARD ist dies die zweite Blamage in kurzer Zeit, der Gottschalk-Flop steckt ihr noch in den Knochen. Die ARD-Vorsitzende Monika Piel verweist derweil bürokratisch auf die Pläne der Intendanten, erst Ende des Jahres über das Talkshow-Schema zu beraten. Volker Herres nimmt seine Leute in der „Süddeutschen Zeitung“ immerhin in Schutz: „Die Talking Heads des Ersten sind kompetent und populär“. Das seien „erstklassige“ Journalisten, Günther Jauch sei „eine Bereicherung unseres Programms“.

Das Thema füllt das Sommerloch und liefert den Medien jene Abwechslung, die ihnen das von der EM dominierte TV-Programm gerade nicht bietet. Dass ein Teil der Sendungen wegen der Sommerpause gar nicht laufen, interessiert genauso wenig wie der Umstand, dass das Programmbeirats-Papier nur für den internen Gebrauch bestimmt war. Das ist nicht ganz fair, denn das Desaster-Dokument belegt ja, dass man die Schwächen erkannt hat. Die Programmbeirats-Vorsitzende Petra Zellhuber-Vogel bemüht sich denn auch um Richtigstellung: Der Beirat wolle keine Demontage, sondern verstehe seine Arbeit als unterstützende Beratung zur Qualitätsverbesserung der Angebote.

Kritik an Jauch

Aber die Welt ist nun mal ungerecht. Was hängen bleiben wird, ist vor allem die Kritik an Jauch. Seine Schwächen werden herausgehoben, weil er mit so viel Vorschusslorbeeren angetreten ist. Ist er wirklich so schlecht? Jein. Er macht auch gute Sendungen, traut sich, überraschende Themen zu setzen, kann einfühlsam sein, und seine Quote ist inzwischen besser als jene von Anne Will, als die noch am Sonntag talkte. Seine anfängliche ungewohnt spröde Art ist der alten Lockerheit gewichen. Andererseits: Jauch klebt immer noch zu sehr an den Karteikarten, auch nach einem Jahr fehlen ihm ab und an die Argumente. Und er hat sein Vorhaben, da einzuhaken, wo andere es nicht tun, nicht wahr gemacht: Oft lässt er sich von den Debattierern überrollen. Und ja: Jauch hat den Polittalk nicht neu erfunden, was sich manche sicherlich herbeigesehnt hatten. Aber das war nie sein Ziel.

Dass sich die Kritik vor allem an ihm entzündet, hat einen Grund: Weil er an erster Stelle ein Unterhalter ist und erst an zweiter ein Journalist, legt er das Grundproblem der Talkshows offen. Die Plauderrunden sind nun mal vor allem das: inszenierte Unterhaltung. Enthüllungen oder die in einer Synthese gipfelnde Gegenüberstellung von Fakten und Argumenten – solche Ansprüche erfüllen andere Formate. „Talkshows simulieren nur politische Debatten. In Wahrheit benutzen sie Politik zu Unterhaltungszwecken.“ So hat es Bundestagspräsident Norbert Lammert auf den Punkt gebracht. Politische Bildung, faktenreiche Information, kritische Aufklärung – das findet im Fernsehen nicht zuallererst in Talkshows statt. Aber richtig ist auch: So scheinheilig, so erstarrt, so redundant, wie sich die medialen Sitzrunden präsentieren, müssten sie nicht sein. Das ARD-Papier legt den Finger in die Wunde: Ja, die Moderatoren haben noch Luft nach oben. Aber vor allem die Gäste sind es, die mit ihrer Dauerpräsenz, ihrer Phrasendrescherei und ihren ritualisierten Schein-Gefechten beim Zuschauer Politikverdrossenheit und Showeffekt nähren.

Laut dem Papier sind vierzig Prozent der Talkgäste Politiker und Journalisten; zwischen September 2011 und April 2012 waren 38 Personen mindestens dreimal in den ARD-Talks zu Gast; jeder zweite Gast ist mindestens sechzig Jahre alt.

Wer mehr Erkenntnisgewinn und Überraschungen erwartet, muss andere Gäste einladen. Und wer das Fernsehen aufklärerischer, journalistischer und informativer machen will, muss weniger Talkshows und mehr Dokumentationen, Reportagen und politische Magazine senden.