Erst war’s anstrengend, dann aber doch noch schön: Diana Krall hat auf der Open-Air-Bühne des Jazz-Open am Stuttgarter Mercedes-Museum gesungen und eine Verwandlung hingelegt.

Stuttgart - Als der Verfasser dieser Zeilen einer geschmackssicheren Bekannten berichtet hat, dass er das Konzert von Diana Krall bei den Jazz-Open besuchen wird, da sagte sie: „Du Armer.“ Und dann erzählte sie, dass sie sogar mal eine CD der Sängerin aus Kanada erworben habe, nach einmaligem Hören sei die aber verschenkt worden: „An meine Mutter.“

 

Jazznummern aus den zwanziger und dreißiger Jahren

Diana Krall hat keinen leichten Stand bei denen, die sich für jung geblieben halten. Und sie macht es diesen Leuten auch nicht gerade einfach: Auf dem Cover ihres aktuellen Albums „Glad Rag Doll“ posiert die 48-Jährige in Korsage mit Strapse auf rotem Samt, und ihr Konzert in Stuttgart absolviert sie bei tropischen Temperaturen in einer schwarzen Lederjacke, die den Vorteil hat, ihre blonden Locken gut zur Geltung zu bringen. Sie fängt so an, dass sie die ersten vier Titel dieses Albums, Jazznummern aus den zwanziger und dreißiger Jahren, exakt in der Reihenfolge absingt, in der sie sie auf CD hat pressen lassen.

Aber sie überspielt. Sie glaubt offenbar, schon in der ersten Viertelstunde mit ihrer bemerkenswert biegsamen Stimmartistik so ausgiebig wuchern zu müssen, als befürchte sie hinterher einen Stromausfall. Sie gibt mit ihrer Stimme schon in den ersten vier Liedern die pseudobesoffene Barschlampe, das staunende kleine Mädchen, die abgebrühte große Diva und die sehnende Seemannsgattin. Songs wie die hübsche Fred-Fisher-Nummer „There ain’t no sweet Man that’s worth the Salt of my Tears“ pumpt sie mit seltsam überdrehter Stimmband-Schauspielerei zu schrillen Miniatur-Revuen auf, wo eher demütiges Erzählen gefragt wäre. „Bei der Ukelele dreht sich alles um Sex und Liebe“, erzählt sie dann, und empfiehlt, das Instrument in der Badewanne zu spielen, nachdem man selbige mit Gin gefüllt hat.

Die Band beflügelt die Chefin

Es wird dann besser. Und die seltsame Dramaturgie dieses Abends vor dem Mercedes-Benz-Museum vermittelt den Eindruck, als gehöre es zum Job einer coolen Band aus lauter Virtuosen, der Chefin ihre überkandidelten Egotrip-Flausen unter Zuhilfenahme ganz großer Klangkunst auszutreiben. Am Schlagzeug zum Beispiel sitzt Karriem Riggins, ein sensationeller Synkopenjongleur, der offenbar Spaß daran hat, sein Können präzise in den Dienst der Songs zu stellen. Und was der rockverliebte Jazzgitarrist Aram Bajakian und der Country- bis Hardrock-affine Geiger Stuart Duncan in Song Nummer sechs, Tom Waits’ „Temptation“, an solistischer Sprengkraft abliefern, ist aufregender als das ganze Stimmgetauche bis dorthin, aus dem vor allem Diana Kralls scharfes „S“ herausragt, weil irgendwer in der Technik vergessen hat, das zu dessen Eindämmung geeignete Deesser-Knöpfchen zu drücken.

Aber die ungezügelte Spielfreude ihrer Mitstreiter, deren vollkommen unaffektiertes Verschmelzen mit dem Wesen der Musik, scheint Diana Krall plötzlich zu beflügeln. Sie startet jetzt ihren Soloblock, sie zeigt in Neil Youngs „Heart of Gold“ allein am Flügel, dass sie imstande ist, ihn akkurat zu bedienen, und wenn ihre musikalischen Gedanken schneller vorüberhuschen, als ihre Finger zu folgen vermögen, dann ruft sie „Scheiße“ auf Deutsch und später „Oh Shit“ . Bei Diana Kralls Konzert in Stuttgart hat man die seltene Gelegenheit, einen ein paar Lieder währenden Reifeprozess zu beobachten, für den andere ein Leben lang brauchen: von der Singbarbie zur wirkmächtigen Künstlerin, vom Kunstprodukt zum Menschen.

Pop und Jazz sagen sich unverkrampft Hallo

Nach einer guten Stunde ist Diana Krall solchermaßen verwandelt und bereit für Bob Dylans Songjuwel „Simple Twist of Fate“: Einen Takt lang kann es sich die Stimmartistin nicht verkneifen, nun auch noch Dylans Näseln nachzuäffen, davon abgesehen jedoch gelingt ihr die sanftest denkbare Version dieses Songs, weil sie plötzlich Willens ist, mit ihrer Stimme ein Lied wirklich zu präsentieren, anstatt es zur Manege umzufunktionieren, in der die Krallschen Stimmlöckchen hüpfen.

Gelungene Dylan-Huldigung

Diana Krall nähert sich „Simple Twist of Fate“ mit so viel Respekt und gleichzeitig mit so viel eigener Gestaltungskraft, dass plötzlich ruchbar wird: Da sitzt eine Gute am Flügel, eine richtig Gute sogar. Am Ende lässt sie ganz unaufdringlich ein paar Pianotakte in dieses Lied tröpfeln, die verdächtig nach Dylans rund anderthalb Jahrzehnte nach „Simple Twist of Fate“ entstandenem Erlösungsepos „Ring them Bells“ erinnern, einfach so, als beiläufig hingeklimperte Assoziation einer Künstlerin, die genau weiß, was sie tut.

So spektakulär wie in ihrer Dylan-Huldigung geht’s anschließend im ausverkauften Betonrund zwar nicht mehr zu, aber es bleibt dann bis zuletzt ein schöner Konzertabend mit ein bisschen Nat King Cole und ein wenig Ray Charles, mit energisch und humorvoll präsentierten Fundstücken aus dem Traumland, in dem sich Pop und Jazz ganz unverkrampft Hallo sagen.

Und am Schluss erklärt Diana Krall, dass es ziemlich selten vorkomme, dass sich einer der Schöpfer ihrer Fundstücke vor Ort befinde, aber, ja, Elvis Costello, ihr Gatte, sei hier: Sein „Almost Blue“ gerät ihr zu einer dann doch sehr bewegenden Umarmung all dessen, was großer Pop bedeuten kann. Jetzt noch die logische Steigerung? Nein, das Publikum kriegt an diesem Abend von Elvis Costello nicht mehr mit als die beeindruckende Hingabe seiner Frau.