Am Donnerstag beginnen die Theaterhaus Jazztage. Der Trompeter Herbert Joos tritt gleich zweimal auf. Er macht sich Sorgen um sein Genre.

Stuttgart - Vor zehn Tagen feierte der große Jazz-Trompeter, Zeichner und Grafiker Herbert Joos seinen 75. Geburtstag. Joos, gebürtiger Karlsruher, lebt seit Jahrzehnten in Stuttgart, wo es längst eine schöne Tradition ist, dass Jazzer ihre runden Geburtstage im Theaterhaus feiern. Albert Mangelsdorff, Wolfgang Dauner, Charlie Mariano, Eberhard Weber und natürlich auch Herbert Joos selbst haben es so gehalten. Vor fünf Jahren, am Ostersamstag, spielte er dort ein Konzert zum siebzigsten Geburtstag und verzauberte mit seinem unvergleichlich lyrisch-warmen, impressionistischen Spiel das Publikum. Im Rahmen der diesjährigen 28. Internationalen Theaterhaus Jazztage ist Herbert Joos nun gleich zweimal zu hören.

 

An Karfreitag ist er in einem „Birthday Special“ integraler Part von Wolfgang Puschnigs Alpine Aspects. Jüngst hat Puschnig für dieses originelle Projekt einer Fusion von Jazz und der alpinen Folklore der Amstettner Musikanten ein komplett neues Programm geschrieben, das jetzt seine deutsche Erstaufführung auf dem Pragsattel erleben wird. Die Premiere neulich im Wiener Konzerthaus muss umwerfend gewesen sein.

Die Freiheit des Jazz

Joos kennt Puschnig seit der gemeinsamen Zeit im Vienna Art Orchester und weiß dessen Qualitäten zu schätzen: „Wolfgang Puschnig hat die Gabe, einfach zu schreiben und trotzdem interessant zu klingen. Und er gibt dann allen die völlige Freiheit. Diese Freiheit muss man als Musiker natürlich zu gestalten verstehen“, gibt er listig zu Protokoll.

Ein zweites Mal ist Joos am Ostersonntag zu hören, wenn er auf persönliche Einladung im prominent besetzten Quintett der letztjährigen Landesjazzpreisträgerin Alexandra Lehmler mitspielt. Nicht zu vergessen: Bereits seit einigen Tagen sind Bilder von Herbert Joos im Theaterhaus ausgestellt, die von seiner zweiten großen Begabung zeugen. Zwei Konzerte, eine Ausstellung – das ist eine respektable Geste zum runden Geburtstag und fürs Publikum zudem eine schöne Gelegenheit zur Begegnung mit einer herausragenden Künstlerpersönlichkeit.

Alles prima, also? Das kann man durchaus so sehen. Herbert Joos wird grundsätzlich: „Ich bin absolut glücklich mit meiner Musik. Ich bin dankbar, dass ich in meinem Alter noch so spielen kann. Die Höhen, das Solo, alles super! Ich will nichts anderes machen. Mir tut jeder Mensch leid, der keinen Zugang zum Jazz findet. Der versäumt nämlich etwas im Leben. Einen Genuss, den nur der Jazz geben kann. Der hat nämlich etwas ganz Besonderes: Der Jazz lässt dir die Freiheit zur Improvisation, verbindet auf eigentümliche Weise Kopf und Bauch. Dieses Freiheitsgefühl, dieser Swing! Der sich einstellt, wenn du in einer Band spielst und alles so passt. Dass du dich wohlfühlst!“ Das klingt geradezu euphorisch, wenn andererseits doch auch das Gegenteil gilt: Nein, eigentlich ist gar nichts prima, wie Herbert Joos im weiteren Gesprächsverlauf jetzt durchaus wütend ausführt.

Jazz an der Uni hält er für unsinnig

Die Präsenz um den runden Geburtstag herum verstellt nämlich den Blick auf gravierende strukturelle Probleme, die zur aktuellen Meldung passen, dass die Bundesregierung gerade beschlossen hat, eine großangelegte Studie zur sozialen Situation von Jazzmusikern zu fördern. Wenn man Joos nämlich fragt, warum er sich in der Region „rar“ macht, dann wird man ein missmutiges „zwangsläufig“ zur Antwort erhalten. Ein Musiker mit den Meriten eines Herbert Joos sieht nämlich die Gagenfrage durchaus als Frage des Respekts: „Um ,Eintritt’ spiele ich nicht. Nirgends!“

Das ist eine klare Ansage, die aber längst nicht selbstverständlich ist. Es gibt nämlich hinreichend Musiker, die genau dazu bereit sind, um sich auf der Bühne zu präsentieren. Herbert Joos hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass er ein Jazzstudium an der Musikhochschule für „völlig unsinnig“ hält, weil man Kreativität nicht studieren kann. Man kann ein Instrument lernen, das schon, man kann ein Könner werden: „Aber, was du dann mit dem Können kreativ anstellst, das kann dir kein Dozent beibringen. Ein Vorbild ist wichtig, aber wenn man weiterkommen will, muss man sich vom Vorbild emanzipieren. Die klingen ja alle gleich, die kommen nicht raus aus dem Real Book-Desaster!“

Das gelte, so führt Herbert Joos aus, ganz grundsätzlich. Aber jetzt kommt das Überangebot an Hochschulabsolventen hinzu, für die viel zu wenige Spielstätten zu Verfügung stehen. Joos bringt das Problem auf den Punkt: „Das werden ja immer mehr. Musiker, die von der Hochschule abgehen und spielen wollen. Die machen die Szene kaputt, weil sie ohne Gage spielen. Aber was sollen die machen? Was haben die für eine Perspektive? Die müssen dann alles machen.“ Und die machen das auch, klingt mit, voller Verständnis und doch auch als kleiner Vorwurf. Es geht um die Spannung zwischen Stolz und Selbstvermarktungsdruck.

Absolut auf der Höhe

Vielleicht liegt genau in dieser Spannung die „Magical Mystery Tour of Jazz“, die sich die Theaterhaus Jazztage 2015 auf die Fahne geschrieben haben. Letztlich ist alles ganz einfach und bitter zugleich, wenn ein 75-jähriger Musiker mit internationalem Renomee und einer persönlichen Signatur, die sich – denkt man an Trompeter wie Arve Henriksen, John Hassell oder Nils Petter Molvaer – absolut auf der Höhe der zeitgenössischen Kunst bewegt, ausführt: „Ich möchte leben können von meiner Musik. Das war zwar immer schon schwierig, aber aktuell spitzt sich das wirklich zu. Es ist ganz normal, dass man älter wird. Schön ist, dass man noch spielen kann. Dass man noch dazugehört, wenngleich immer weniger.“