Auch der Jazz war lange eine Männerdomäne. Das Theaterhaus bietet beim Oster-Festival nun einige Frauen auf – nachdem sie im Vorjahr Mangelware waren.

Stuttgart - „Das ist uns passiert“, sagt Theaterhaus-Chef Werner Schretzmeier, „und wir haben es nicht gemerkt. Es wird nicht mehr passieren. Die Realität ist: 80 Prozent der Künstler auf dem Markt sind Männer.“ Das Theaterhaus indes hat den Ruf, mit solchen Fragen umzugehen. 2019 nun stehen neben einigen illustren Männern – dem großen Jazz-Pianisten Joachim Kühn oder einem deutsch-schwedischen Superquartett um Nils Landgren und Michael Wollny – einige Frauen im Programm.

 

Zum Beispiel die aus Albstadt stammende Pianistin Monika Herzig (54), die 1988 mit ihrem Mann, dem Gitarristen Peter Kienle, zum Studium nach Alabama ging und nun Professorin in Indiana ist. Sie wird mit der Frauenband Sheroes beim Festival auftreten, für die sie eine prominente Mitstreiterin gewonnen hat: Die 1977 von München in die USA ausgewanderte Gitarristin Leni Stern (66). „Für mich ist das eine Bestätigung, wenn so jemand das unterstützt“, sagt Herzig, deren Anfangszeit in den USA nicht einfach war: „Mein Mann hat viel mehr Anrufe bekommen als ich. Für die Jungs dort war ich schon etwas sehr Exotisches. Manche haben ihn gefragt, wenn sie mich buchen wollten, obwohl ich danebenstand.“

Mädchen unter Gruppendruck

Herzig hat über Chick Corea geschrieben, über Herbie Hancock und im Vergleich über die Pianisten Art Tatum, Thelonius Monk und Chick Corea. „Weibliche Vorbilder gab es wenige“, sagt sie. „Marian McPartland hat als Pianistin Türen geöffnet. Und Carla Bley hat mich fasziniert, wie sie ihre Band dirigiert hat.“ Sängerinnen kennt der Jazz viele, aber wieso so wenige Instrumentalistinnen? „Die Forschung zeigt: Bei den Schulkindern sind die Hälfte Mädchen, bei den Jugendlichen noch ein Drittel und am College dann eine oder zwei“, sagt Herzig. „Mädchen wollen in der Pubertät nichts tun, was sie schlecht aussehen lassen könnte, da ist der Gruppendruck brutal. Den Jungs ist das egal, die nehmen immer die Soli, während die Mädchen sich nicht trauen und da schon in Rückstand geraten.“

Und so sind die Sheroes auch eine Art geschützter Raum: „Das sind alles tolle Musikerinnen, aber sie sind viel weniger bekannt, als sie es sein müssten“, sagt Herzig. „In der Band können sie sich zeigen in einer Umgebung, in der sie sich wohlfühlen, sie können sich ausdrücken, ohne etwas beweisen zu müssen.“ Dabei nimmt sie Männer keineswegs in Sippenhaft: „Man kann das nicht verallgemeinern, aber die Dynamik ist einfach anders. Wir Frauen gehen anders miteinander um, wir haben andere Themen: Unsere Posaunistin wird ihre siebenjährige Tochter mitnehmen auf Tour, andere haben keine Kinder, weil sie wussten, dass das die Karriere beeinflusst.“ Ihre Tour führt die Sheroes durch ganz Deutschland, Stuttgart liegt in der Mitte. „Ich werde die ganze Band auf die Alb schleppen – zum Wäsche machen bei meiner Mutter“, sagt Monika Herzig und lacht.

Roscher macht Popsongs zu Jazz

Die Münchnerin Monika Roscher (34) war schon mehrfach zu Gast im Theaterhaus. Die Auftritte der Sängerin, Gitarristin, Komponistin und Bandleaderin sind spektakulär. Schon an der Musikhochschule mit Ende 20 gründete sie ihre Bigband, die bis heute besteht. „Ich schätze meine Musikerinnen und Musiker sehr, auch menschlich“, sagt Roscher und erklärt ihre Philosophie als Chefin: „Ich will niemanden zu etwas zwingen, das sind weiche Strukturen. Ich erkläre, wieso ich etwas auf eine bestimmte Art möchte, damit das nachvollziehbar wird.“

Ihre Stücke sind im Kern Popsongs, aber komplex ausarrangiert mit sehr ausgefuchsten, experimentellen Intrumentalteilen. „Am Anfang will ich immer einen Hit schreiben“, erklärt Roscher. „Irgendwann merke ich, dass es mich langweilt, und ich frage mich: Was könnte jetzt Megacooles passieren? Dann folge meinen Impulsen.“ Auf der Bühne maskiert sie sich gerne, mal mit Federmaske, mal mit einem Leuchtanzug, der Oskar Schlemmer hätte gefallen können. „Diese Accessoires gehören zu bestimmten Stücken, sie unterstützen deren Atmosphäre und bringen mich selbst in die richtige Stimmung“, sagt Roscher. „Leute sagen immer wieder, ich soll den LED-Anzug zu einer Party anziehen. Nein! Der ist nicht für hier und da, sondern nur für dieses eine Stück.“

Die Instrumente sind für Männer entworfen

Benachteiligungen hat Monika Roscher noch keine erfahren, „aber natürlich sind die Frauen auch in meiner Band in der Minderheit, es gibt einfach weniger Instrumentalistinnen. Als Gitarristin sind Vorbilder rar: Emily Remler, Leni Stern, Carla Bley als Komponistin, Maria Schneider als Bandleaderin. Oder Jennifer Batten: Eine Frau, die Van-Halenmäßig Gitarre spielt bei Michael Jackson, das hat mir gutgetan mit 14.“

Auch sie hat sich ihre Gedanken gemacht. „Frauen fällt es vielleicht schwerer, bei einem Jam im Club vor Leuten loszurocken – besonders, wenn sie mit Männer spielen, die sie nicht kennen.“ Sie beobachtet als Gitarrenlehrerin, „dass viele Mädchen so ab 16 die Lust verlieren, während die Jungs anfangen zu proben wie wild“. Was Gitarristinnen angeht, hat Roscher eine eigene Theorie: „Männer haben die Instrumente entwickelt ohne Rücksicht auf den weiblichen Körper“, sagt sie. „St. Vincent alias Annie Clark hat ein eigenes Gitarrenmodell herausgebracht speziell für Frauen. Das ist schmaler, da stört nichts.“ Zugleich beobachtet sie jüngst auch eine Veränderung: „Auf youtube gibt es wirklich tolle junge Mädchen, total krasse Virtuosinnen an ihren Instrumenten.“

Ihr eigenes Geheimnis beschreibt Roscher so: „Es gibt eine Art des perfekten, artistischen, schnellen, beeindruckenden Zusammenspiels, die mich überhaupt nicht interessiert“, sagt sie. „Wir sind keine Roboter, sondern Menschen, jede und jeder hat einen eigenen Sound. Eine Band klingt für mich, wenn man Charaktere heraushört. Ich weiß, wie meine Leute spielen und arbeite damit ganz bewusst, ich baue auf sie zugeschnittene Teile in die Stücke ein.“

Festivals leben von Unikaten

„Monika Roscher sucht die Konfrontation mit sich selbst als Künstlerin und mit dem Publikum, sie ist eine Persönlichkeit“, sagt Werner Schretzmeier. Und Wolfgang Marmulla fügt an: „Sie lässt sich nicht vereinnahmen, sie macht ihr eigenes Ding. Ein Festival lebt von solchen Unikaten, die sich unterscheiden. Der Jazz bietet mehr Freiheit, mehr Möglichkeiten, Gefühlszustände auszudrücken. Erfolgreich ist aber nur, wer wirklich herausragt.“

Das könnte auch für die Ladies aus London gelten, die einen Abend bestreiten: Die Saxofonistin Nubya Garcia und das gemischte Ensemble Kokoroko. Sie sind Teil einer Bewegung in London, die dem Jazz neue Energie einhaucht. „Bei Kokoroko ist das Gebläse in Frauenhand, sie sind nicht mehr nur die Begleitung am Klavier“, sagt Schretzmeier. „Und sie machen einen vitalen Sound, der meinem Inneren guttut.“

Das heiße Jahr 2018 war fürs Theaterhaus – wie für viele andere Kultureinrichtungen – ein Katastrophenjahr, was die Zuschauerzahlen anging. Das Haus ist in finanzieller Schieflage. „Ich bin seit fünf Jahrzehnten Veranstalter“, sagt Schretzmeier, „und bislang war das planbar, auch das Sommerloch. 2018 ist alles über den Haufen gekegelt worden. Wenn sich das wiederholt, werden wir anders rechnen müssen. Mit Blick auf den Vorverkauf der Jazztage wage ich aber die Prognose, dass die Chancen nicht schlecht stehen, dass es 2020 wieder ein Festival geben wird.“