Die Jazztage im Theaterhaus haben nicht immer gehalten, was der Start versprach. Es gab Altmodisches, aber auch Frisches und Überraschendes. Vor allem die kleinen Ensembles überzeugten. Bilanz: Gespielt wird, was gefällt. Und wenn es die Tatort-Titelmelodie ist.

Stuttgart - Mit dem Konzert von Joachim Kühn am Donnerstagabend hat das Jazzfestival im Stuttgarter Theaterhaus einen euphorischen Auftakt erfahren. Am Karfreitag folgte dann die Ernüchterung. Klaus Doldinger war auf den Pragsattel gekommen, um mit seiner verjüngten Passport-Crew Dienstleistungsjazz zu spielen. Ging es bei Kühn improvisierend um das Risiko gelingender oder auch misslingender Kommunikation auf der Bühne, so blieb es bei Passport bei selbstgefälliger Routine. Das mag einmal, vielleicht um 1973, erfrischend und innovativ gewesen sein, aber längst wirkt das Haltbarkeitsdatum der immer gleichen Rezeptur abgelaufen: Ein prägnant eingängiges Rock-Thema, gespielt von Doldinger selbst, macht den Anfang, dann wird es ein paar Mal wiederholt und danach an Solisten weitergereicht, bis es zum Schluss wieder aufgenommen wird. Im Hintergrund wuseln drei Perkussionisten, die aufgeregt davon ablenken, dass im Vordergrund Malen nach Zahlen angesagt ist.

 

Das Ganze mag durchaus noch als Pausenfüller für eine TV-Gala taugen, auf einem erklärten Jazz-Festival hat diese angejahrte Westentaschen-Reproduktion der späten Weather-Report-Tage nur sehr bedingt etwas zu suchen. Zum Schluss folgt, schon klar, die „Tatort“-Titelmusik, in doppeltem Tempo gespielt und vom Publikum durchaus bejubelt. Der Jazz ist eben ein weites Feld und die Theaterhaus Jazztage machen erklärtermaßen kein Programm für Spezialisten, sondern eher für den Mainstream einer Minderheitenmusik.

Kleine Besetzungen mit Sinn für die Stille

Dass man programmatisch auf Pop-Acts verzichtet, heißt nicht, dass man sich nicht offen und werbend für zugängliche improvisierte Musik zeigt. Man kann bei den Theaterhaus Jazztagen daher vieles entdecken: zum Beispiel die imaginäre Folklore, die der Akkordeonist Luciano Biondini, der Tubist Michel Godard und der Perkussionist Lucas Niggli sehr luftig spielen. Was Niggli mit seinem Schlagzeugwerk anstellt, ist filigran und virtuos, wird aber von Godard amüsant konterkariert, wenn er zum E-Bass greift und die immergleichen vier Läufe spielt.

Während dieses leise Trio immerhin auf den Sommerurlaub im Süden Appetit macht, feiern unweit kraftmeiernd die siebziger Jahre fröhliche Urständ. Hier gastiert die japanische Pianistin Hiromi, unterstützt vom Bassisten Anthony Jackson und dem Schlagwerker Simon Phillips. Gespielt wird extrem virtuoser, komplizierter und leider völlig seelenloser Fusion-Jazz-Rock, bei dem nicht nur das Monster-Schlagzeug von Phillips sich wie eine Karikatur längst vergangener Zeiten ausnimmt. In Solopassagen bleibt Hiromis Spiel technisch brillant, changiert aber eher zwischen Satie und Ravel.

Als Gegenmittel zu derart selbstzweckhaft exekutierter Wucht taugen die kleinen Besetzungen mit Sinn für die Stille zwischen den Tönen. So gab es etwa das neue Duo des Gitarristen Philip Catherine und des Bassisten Martin Wind zu entdecken. Oder die Lokalmatadoren Patrick Bebelaar (Klavier), Herbert Joss (Trompete, Flügelhorn, Alphorn) und Günter Lenz (Bass), die ihr aktuelles Programm bei allerbester Laune spielten – so lässig, dass manche Zwischenansage zum Kalauer geriet. Kammermusikalischer Comedy-Jazz war das, eine echte Marktlücke.

Das Ergebnis ist ein originelles Gesamtpaket

Wer wissen wollte, wohin die Reise des Jazz künftig gehen könnte, wurde bei den größeren Ensembles fündig. So versucht die Big Band Big Graz verschiedenste Einflüsse aus elektronischer Musik, Welt-, Tanz- und Pop-Musik zu einem Ganzen für ein großes Ensemble zu verschmelzen, unter Einbeziehung von „Visuals“. Das Ergebnis ist ein originelles Gesamtpaket. Live überzeugen die „Urban Folktales“ (Albumtitel) noch nicht, weil die Konzeption nicht konsequent zu Ende gedacht oder umgesetzt ist – und sich immer wieder sehr konventionelle Big-Band-Usancen vors Konzeptuelle schieben und die „Visuals“ mit Found-Footage-Material oder Animationen der Musik nichts hinzufügen.

Etwas weiter sind da Nik Bärtschs Ronin aus der Schweiz, die sich stärker noch als Band-Einheit präsentieren, auf virtuose Soli verzichten und als extrem flexible Einheit agieren. Längst haben die Schweizer ihren originellen Sound derart perfektioniert, dass sie mit drei weiteren Bläsern und einem Gitarristen neue Klangfarben addieren und als Ronin Rhythm Clan ihren „Zen Funk“ zugänglicher und erdiger gestalten können. Zudem verstehen Ronin sich visuell zu präsentieren und haben sich – auf diesem Festival leider die Ausnahme – über die Dramaturgie eines Konzerts Gedanken gemacht, das mehr als eine Abfolge von Stücken ist.

Ohne jeden Schnickschnack

Dass es auch anders geht, bewies dann der Auftritt der neuen und mit vielen jungen Musikern besetzten Theaterhaus Concert Jazz Band. Man spielte unter der Leitung des Altstars Joe Gallardo ganz einfach ein erstklassiges Latin Jazz-Programm, dynamisch, funky, voller Hingabe und Begeisterung, mit einer ganzen Reihe solistischer Glanzstücke – und völlig ohne jeden Schnickschnack. Die ganz alte Schule!

Das Publikum reagierte auf diesen unprätentiösen Auftritt, der dem Festival dennoch einen weiteren musikalischen Höhepunkt bescherte, völlig in den Bann geschlagen. Gestern abend endete die diesjährige Ausgabe der Jazztage mit einem Duo-Auftritt von Ulrich Gumpert und Günter Baby Sommer.