Ein im Internet hunderttausendfach geklicktes Video wirft Fragen über die Gesundheit von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker auf. Der lässt ausrichten: Alles wieder gut. Doch seine Gegner lauern.

Brüssel - Er wankt, schwankt, taumelt - und gleich mehrere Staats- und Regierungschefs müssen ihn stützen: Ein Video von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker beim Nato-Gipfel hat im Internet große Aufmerksamkeit erregt und die Kommission am Freitag zu einer offiziellen Erklärung bewogen. Juncker habe Ischias-Probleme und am Mittwoch eine besonders schmerzhafte Attacke erlitten. Doch nehme der Präsident seine Aufgaben weiter ohne Einschränkung wahr, sagte sein Sprecher Margaritis Schinas.

 

Spekulationen einzelner Medien, Juncker sei womöglich betrunken gewesen, wies der Sprecher zurück: „Aus meiner Sicht ist es mehr als geschmacklos, dass einige Presseorgane beleidigende Schlagzeilen machen und Präsident Junckers Schmerz ausnutzen. Ich glaube nicht, dass das elegant ist, und ich glaube nicht, dass das fair ist.“

Schmerzattacke während Abendveranstaltung

Juncker habe wegen der Schmerzattacke bei der Abendveranstaltung des Nato-Gipfels im Brüsseler Jubelpark nicht gut gehen können und Schmerzmittel genommen. Im Lauf des Abends habe er sich besser gefühlt und schon am nächsten Morgen wieder alle Termine erfüllt. Nächste Woche werde der Präsident nach China, Japan und Spanien fliegen und ein anspruchsvolles Programm absolvieren - und zwar ohne ärztliche Begleitung. „Er wird weiter hart arbeiten, so wie er es seit Anfang seiner politischen Karriere getan hat“, sagte Schinas.

Juncker hatte schon in der Vergangenheit öffentlich auf seine Rückenbeschwerden hingewiesen, so bei einem Auftritt im irischen Parlament vor einigen Wochen, wo er beim Treppensteigen etwas wacklig wirkte und zur Erklärung sagte: „Ich habe einige Probleme beim Laufen. Ich bin nicht betrunken. Ich habe Ischias-Probleme. Ich wäre lieber betrunken. Hah!“ Der Ischias ist ein Nerv auf Hüfthöhe, Reizungen können ins Bein ausstrahlen.

Aber auch Fragen nach seinem Alkoholkonsum begleiten Juncker seit Jahren. Nach Äußerungen des damaligen niederländischen Finanzministers Jeroen Dijsselbloem, Juncker sei „ein verstockter Raucher und Trinker“, betonte der Kommissionspräsident, er habe kein Alkoholproblem.

Neues Stirnrunzeln gab es nach einem EU-Treffen 2015 in Riga, wo Juncker bei der offiziellen Begrüßung unter anderem den belgischen Regierungschef Charles Michel auf die Glatze küsste und den Ungarn Viktor Orban als „Diktator“ begrüßte. 2016 wehrte sich Juncker in einem Interview der französischen „Liberation“ abermals gegen Alkohol-Gerüchte und sagte, diese würden von seinen Gegnern gestreut.

EU-kritische Medien schüren Spekulationen

Tatsächlich sprangen unter anderen besonders EU-kritische Medien und Parteien auf die neuen Bilder der Nachrichtenagentur AP vom Nato-Gipfel an. Das britische Boulevardblatt „The Sun“ fragte: „Ist Jean-Claude Juncker ein Alkoholiker?“ Die „Daily Mail“ nutzte sogar die Steigerungsform: „Wird Juncker betrunkener?“

Der AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Reichardt verlinkte das Video mit einem Hinweis auf „den offenbar sturzbetrunkenen Präsidenten der Europäischen Kommission“ und sprach von einem „Trauerspiel“.

Die AfD-Partei- und Fraktionsspitze forderte sogar Junckers Rücktritt, ebenso wie der Generalsekretär der rechtspopulistischen österreichischen Regierungspartei FPÖ, Harald Vilimsky: „Es wäre mehr als hilfreich, wenn Juncker noch vor der EU-Wahl im Mai 2019 den Hut nähme“, erklärte Vilimsky.

Die EU ist wegen des europaweiten Aufschwungs von Populisten und Nationalisten ohnehin unter Druck, so käme eine Führungskrise zu einem extrem ungünstigen Zeitpunkt. Doch stünden jederzeit mehrere Vizepräsidenten im Fall der Fälle als Ersatzleute bereit, in erster Linie wohl der Erste Vizepräsident Frans Timmermans.

Auf dem Video aus dem Jubelpark ist aber auch zu sehen, dass die beteiligten Staats- und Regierungschefs geradezu sinnbildlich die Reihen um Juncker schließen und ihn stützen, unter anderen der portugiesische Ministerpräsident Antonio Costa und der niederländische Regierungschef Mark Rutte. Den beiden ließ Juncker denn auch von seinem Sprecher seinen ausdrücklichen Dank ausrichten.