Jeanine De Bique beim Musikfest Stuttgart Ein Stimm- und Ausdruckswunder, das begeistert

Jeanine De Bique beim Konzert in Stuttgart Foto: Holger Schneider

Die Sopranistin Jeanine De Bique hat mit dem Ensemble Concerto Köln ihr Stuttgart-Debüt gegeben. Das Musikfest-Publikum ist hingerissen.

Ein barockes Arienrecital ist ein wie ein Menü, das nur aus Appetithäppchen besteht. Oder wie Zappen auf dem Fernseher: hier dies, dort das, und bloß schnell weiter. Auch ein voyeuristischer Aspekt ist dabei – schließlich geht es hier um extreme Gefühle, um Trauer, Wut, Verzweiflung und die ganz große Liebe.

 

Sie toben auch am Sonntagabend beim Musikfest Stuttgart im Theaterhaus um die Ohren des Publikums. Es bleibt aber nicht bei klingender Vitrinenkunst, denn auf der Bühne, vor und neben den Musikerinnen und Musikern eines der ältesten deutschen Alte-Musik-Ensembles, Concerto Köln, steht nicht irgendeine Sängerin. Sondern Jeanine De Bique, und die ist nicht nur ein Stimm-, sondern auch ein Ausdruckswunder.

Vokale Haute Couture

Zu erleben ist das Programm von Jeanine De Biques 2021 erschienener erster Solo-CD „Mirrors“, eine thematisch vernetzte Parforcetour durch Arien von Händel und Zeitgenossen. Das weite Gefühlsfeld zwischen Manie und Depression präsentiert die Sopranistin aus Trinidad aber nie als Konfektionsware. Selbst Passagen voller glitzernder Koloraturen und weiter Intervallsprünge, selbst die reichen Verzierungen, mit denen sie (historisch stimmig) die Wiederholungsstrecken ausdifferenziert, sind immer vokale Haute Couture.

Aus Noten entstehen Charakterporträts aus Fleisch und Blut

Und obwohl live passiert, was man auf der CD nicht hört (mancher Ton wird nachträglich leicht nachgebessert, manches Pianissimo verliert an Kontur, die Höhe klingt enger und nicht immer mühelos), wird man mit- und hingerissen. Wo sonst erlebt man auch eine Stimme, die extrem beweglich ist und dennoch Fülle hat, die sowohl dramatisch als auch lyrisch klingen kann? Eine Stimme, deren Mittellage vor Farben nur so strotzt und die dennoch schlank wirkt?

All dies wäre aber nichts ohne den Ausdruck, den Jeanine De Bique ihren Darbietungen mitgibt. In engem Zusammenwirken mit dem Orchester entstehen aus Noten von Händel, Graun, Telemann, Vinci und Boschi Charakterporträts aus Fleisch und Blut: Klangbilder starker, schwacher, liebender, trauernder und wütender Frauen, allen voran der Cleopatra aus „Giulio Cesare“ und der Titelheldin aus „Alcina“ von Händel.

Oboen, Barockfagott (hätte beim „Se pietà di me non senti“ präsenter sein dürfen), Celli, konzertierende Geigen, intime silberglänzende Zupftöne von der Laute und Pizzicato-Tränen vom Kontrabass bauen einen Klangpalast rund um die Sängerin. Die macht den Abend auch zu einem Fest der ebenso temperament- wie humorvollen Kommunikation. Das Publikum jubelt im Stehen.

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