„Thusnelda war alles andere als eine Tussi!“ Jeanne Goursaud verwandelt sich in der Netflix-Serie „Barbaren“ in die berühmte Cheruskerfürstin und legt sich mit den Römern an.

Freizeit & Unterhaltung : Gunther Reinhardt (gun)

Berlin - Im Jahr 9 nach Christus locken die Germanen drei römische Legionen in einen Hinterhalt und bescheren dem Kaiserreich eine vernichtende Niederlage. In der Netflix-Serienfassung, die am Freitag, 23. Oktober startet, kämpft Thusnelda, die Frau von Hermann dem Cherusker, in der historischen Schlacht im Teutoburger Wald an vorderster Front. Gespielt wird sie von der Deutsch-Französin Jeanne Goursaud.

 

Frau Goursaud, wer im Geschichtsunterricht aufgepasst hat, findet sich wahrscheinlich schneller in der Welt der Serie „Barbaren“ zurecht, oder?

Wir haben die Schlacht im Teutoburger Wald zwar irgendwann bestimmt auch mal durchgenommen, aber viel ist da bei mir nicht hängen geblieben. Ich musste mich noch mal neu in das Thema einlesen. Und während ich im Fitnessstudio für die Rolle der Thusnelda trainiert habe, habe ich nebenher immer die Netflix-Dokuserie „Das Römische Reich“ angeschaut. Da geht es zwar um eine andere Epoche, aber es hilft trotzdem weiter.

Gut in Latein gewesen zu sein hilft auch. Schließlich reden die Römer in der Serie Lateinisch.

Ich hatte nie Latein. Doch die Cheruskerin Thusnelda kann ja auch kein Latein. Insofern war das für mich als Schauspielerin sogar ein Vorteil: Ich musste gar nicht so tun, als ob ich nicht verstehe, was die Römer sagen.

Den Name Thusnelda kennen dagegen auch all jene, die weder in Latein noch in Geschichte aufgepasst haben.

Oh ja, obwohl der Name historisch gesehen ganz falsch benutzt wird. Thusnelda war alles andere als eine Tussi. Ich denke, dass die Römer daran schuld sind. Die wollten, dass der Name schlecht konnotiert ist, schließlich war Thusnelda eine Feindin. Die Römer haben dafür gesorgt, dass aus dem Namen ein Schimpfwort werden konnte.

Können Sie sich mit Thusnelda identifizieren?

Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, wenn ich von etwas überzeugt bin, dann mache ich alles, um das Ziel zu erreichen. Ich glaube, das haben wir gemeinsam.

Würden Sie für etwas, an das Sie glauben, wie Thusnelda ein Auge opfern?

Natürlich nicht. Ich würde auch nicht wie sie buchstäblich über Leichen gehen, um das zu bekommen, was ich möchte. Aber in die heutige Zeit übersetzt würde das, was Thusnelda damals gemacht hat, heißen, dass man, wenn man von etwas überzeugt ist, auf die Straße geht, dass man sich an Demonstrationen beteiligt, seine Stimme erhebt und nicht stumm zu Hause sitzt, sondern versucht, aktiv etwas zu ändern. Und das finde ich richtig. Die Methoden von damals waren etwas drastischer. Das Römische Reich hat den Cheruskern das Letzte abverlangt, hat sie viel zu hohe Tribute zahlen lassen. Ich glaube, die Wut, die Thusnelda hat, entsteht aus ihrer Hilflosigkeit und aus ihrem Gefühl heraus, dass ihr Volk ungerecht behandelt wird.

Dass Thusnelda eine Frau ist, macht es ihr in ihrem Kampf für Gerechtigkeit nicht leichter.

Es war in der Geschichte leider fast immer so, dass Frauen keinen direkten Einfluss nehmen konnten, sondern, um etwas zu erreichen, einen Mann brauchten. Es gibt diese Szene in der Serie, in der Thusneldas Mutter zu ihr sagt: Such dir als Mann einen Fürsten aus, einen Mann mit Macht, den du lenken kannst. Ich finde an der Figur der Thusnelda sehr stark, dass sie sich aber nicht beugt, dass sie nicht aufgeben, dass sie letztlich die Welt verändern will. In unserer Geschichte gelingt ihr das auch. Ich finde, sie erinnert damit an Greta Thunberg, die so jung und ein Mädchen ist, aber plötzlich auf der ganzen Welt Gehör findet, weil sie für ihre Überzeugung einsteht.

„Barbaren“ erzählt nicht nur hier eine moderne Geschichte. Wenn man sich Thusneldas Verhältnis zu ihrem Vater Segestes anschaut, erinnert das an die dysfunktionalen Familien, die man aus aktuellen Familiendramen kennt.

Wir sind heute so gut miteinander vernetzt, es gibt so viele Möglichkeiten, sich auszutauschen, und trotzdem reden wir ständig aneinander vorbei. Ich glaube, das ist etwas, was es schon immer gab. Wer weiß, was passiert wäre, wenn sich Thusnelda mit Segestes mal vernünftig über ihre Überzeugungen und Ziele ausgetauscht hätte.

Tatsächlich verrät Segestes seine Tochter später. Einige Jahre nach der Varusschlacht wird Thusnelda in einem Triumphzug als Gefangene nach Rom gebracht.

Historisch ist allerdings nur bekannt, dass sie später in der Gefangenschaft der Römer gestorben ist. Was sonst noch alles passiert ist, weiß niemand. Das heißt, es gäbe noch viel Stoff für weitere „Barbaren“-Staffeln.

„Barbaren“ erinnert an Serien wie „Vikings“ oder „Game of Thrones“, in denen Konflikte stets mit größer Brutalität ausgetragen werden. Schauen Sie sich solche Serien auch privat an?

Das einzige Genre, das ich gar nicht schaue, ist Horror. Ich mag es aber tatsächlich normalerweise auch nicht, wenn es blutrünstig wird. Der Dreh hat mich aber ein bisschen abgehärtet. Wenn da ein Assistent einen abgehackten Kopf von A nach B transportiert und dir unterwegs zuruft: „Willste mal sehen?“, verlieren solche farbbeschmierte Requisiten ihren Schrecken.

Und welche Serien schalten Sie dann am liebsten ein, wenn Sie vom Dreh nach Hause kommen?

Wenn ich drehe, habe ich meistens gar nicht den Kopf dafür, irgendwas zu schauen, weil ich so mit dem Film beschäftigt bin, den ich gerade mache. Wenn ich nicht drehe, bin ich dieser Serientyp, der, nachdem er die erste Episode gesehen hat, die ganze Nacht dranhängt, um auch alle anderen Folgen zu schauen – wenn die Serie gut ist. Zuletzt mochte ich zum Beispiel „The Marvelous Mrs. Maisel“, „Killing Eve“ oder „Big little Lies“.

Denen ist gemeinsam, dass im Zentrum der Geschichten eigenwillige weibliche Charaktere stehen. Gibt es zu wenige Geschichten mit solchen Frauen?

Absolut. Ich finde, dass unbedingt mehr Filme von Frauen für Frauen über Frauen produziert werden sollten. Das soll jetzt nicht heißen, dass ich etwas gegen Geschichten habe, die von Männern erzählt werden und in denen es um Männer geht. Aber ich denke, dass mehr Geschichten erzählt werden sollten, die Frauen als starke Hauptfiguren haben. Und eine starke Frau ist für mich nicht eine Frau, die männliche Attribute hat, sondern eine Frau, die zu sich steht, die von etwas überzeugt ist und dieser Überzeugung folgt – wie Thusnelda. Eine Frau, die weint, ist keine schwache Frau. Auch ein Mann, der weint, ist nicht schwach. Stärke ist für mich, wenn man zu sich selbst steht.

Jeanne Goursaud und „Barbaren“

Person
Jeanne Goursaud wurde 1996 in Pinneberg geboren, wurde 2012 zum Werbegesicht der Kosmetikmarke „bebe young care“, und spielte unter anderem in der RTL-Comedyserie „Der Lehrer“ oder Michael Herbigs „Bullyparade – Der Film“ mit.

Serie
Nach dem Vorbild der Fantasyserie „Game of Thrones“ setzt „Barbaren“ auf noch eher unbekannte und frische Gesichter. Neben Jeanne Goursaud spielen David Schütter (Folkwin) und Laurence Rupp (Arminius) Hauptrollen. Alle sechs Episoden der ersten Staffel von „Barbaren“ sind von diesem Freitag an bei Netflix verfügbar.