Zur Eröffnung des Neubaus ist der Kunsthalle Mannheim ein Coup gelungen. Der Kanadier Jeff Wall, dem die Ausstellung „Appearance“ gewidmet ist, ist ein Pionier der konzeptuellen Fotografie.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Mannheim - Vielleicht ist er tot. Der Hausbesitzer – grauslich ermordet von einem kaltblütigen Einbrecher. Oder ist er selbst der Täter und hat seine Frau umgebracht, im Schlafzimmer erdrosselt und im Garten vergraben? Vielleicht hat der Mann auch nur Steuern hinterzogen und sich überstürzt aus dem Staub gemacht. Man muss nicht krimigeschult sein, um sich seinen eigenen Reim auf die Szenerie machen, die Jeff Wall inszeniert hat: ein Wohnzimmer, in dem Polizisten, die Spuren sichern. Jeff Wall hat für „Search of Premises“ (2009) eine Zeit lang sogar echte Ermittler bei ihrer Arbeit begleitet, um danach seine Fotokulisse so realitätsgetreu wie möglich nachstellen zu können. Denn auch wenn man Jeffs Walls Fotografien auf den ersten Blick für dokumentarisch halten kann – sie sind höchst aufwendig komponiert und konstruiert.

 

Zur Eröffnung des Neubaus ist der Kunsthalle Mannheim mit „Jeff Wall. Appearance“ ein Coup gelungen. In Baden-Württemberg ist es inzwischen eine Seltenheit, große Sonderausstellungen zeitgenössischer Kunst dieses Formats zu sehen – bestenfalls das Museum Frieder Burda in Baden-Baden holt noch die internationalen Stars der Szene ins Land. Der Kanadier Jeff Wall (geb. 1946), der Mannheim in diesen Tagen selbst einen Besuch abgestattet hat, ist ein Pionier der konzeptuellen Fotografie. Er wurde in den Siebzigerjahren bekannt mit seinen meist in riesigen Leuchtkästen präsentierten Farbdias. Seine detailreichen und stark erzählerischen Szenarios scheinen dem Film näher als der Fotografie zu sein, Jeff Wall thematisiert aber sehr wohl auch das Medium Fotografie - und untersucht die Ambivalenz zwischen Schein und Wirklichkeit und den schmalen Grat zwischen Dokumentation und Inszenierung. Gezielt führt er dabei Betrachter in die Irre.

Subtil klingt Gewalt, Bedrohung, Gefahr an

Was zum Beispiel macht der Mann unter seinem Küchentisch? Warum liegt er dort und schaut abwesend ins Leere? Lebt die junge Frau womöglich allein im winterlichen Wald, wo sie sich in einem alten Topf etwas zu Essen kocht? Dreißig dieser meist riesigen Leuchtkästen und einige großformatige Fotografien hat die Kunsthalle Mannheim nun ausgeliehen, sie selbst besitzt keine Arbeit von Jeff Wall. Diese oft brillanten, hochglänzenden Inszenierungen kitzeln ganz unmittelbar die Fantasie der Betrachter, die beginnen, sich zu den rätselhafte Motiven ein eigenes Drehbuch zu entwickeln. „Staircase & two Rooms“ von 2014 etwa kombiniert drei Motive. In der Mitte der Flur eines Mittelklassehotels, links ein Mann, der verwegen den Kopf aus der Tür streckt. Rechts ein anderer, der im Bademantel auf der hässlichen Tagesdecke des Hotelbetts liegt. Vielleicht verbindet sie nichts miteinander – und doch ist man versucht, Bezüge zu erstellen und nach den Abgründen der Akteure zu suchen.

Denn immer wieder klingt bei Jeff Wall auch subtile Gewalt, Bedrohung, Gefahr an. Den tätowierten Männern, die in einer Fabrikhalle Messer an die Wand werfen, will man lieber nicht bei Dunkelheit begegnen. Das Grab, das auf einem alten Friedhof geöffnet wurde, verstört auf besondere Weise: in dem Erdloch wurden nicht etwa Gebeine freigelegt, sondern schwimmen Seesterne im Wasser. Verkehrte Welt.

Eigenwillige Settings voller Zitate

Doch Jeff Wall bietet mehr als Thrill und Verstörung, er ist auch ein Kenner der Kunstgeschichte, zitiert Romane, Skulpturen oder Gemälde – zum Beispiel Manets „Frühstück im Grünen“. Er betrachtet seine eigenwilligen Settings auch als Collagen, bei denen er heterogenes Material zusammenbringt. Dass er in seinen Inszenierungen auch soziale Ungerechtigkeiten und Fragen zu Gender und Kolonialismus thematisiert, erschließt sich jedoch nicht ohne weiteres. So mag man bei „The Storyteller“ von 1986 nur Menschen sehen, die neben einer Betonbrücke auf einem Grünstreifen sitzen. Für Jeff Wall ist es ein Kommentar auf das Schicksal der indigenen Bevölkerung Kanadas, deren Land rücksichtslos eingenommen und zerstört wurde.

Bis 9. September, Katalog erscheint bei der Edition Cantz Esslingen und kostet 29,80 Euro