Jeffrey Eugenides stellt seinen Roman "Die Liebeshandlung" im Stuttgarter Literaturhaus zum ersten Mal einem deutschen Publikum vor.

Psychologie und Partnerschaft: Eva-Maria Manz (ema)

Stuttgart - „Am Ende dieses Abends werden Sie nie wieder ,Ich liebe dich’ sagen können, ohne dabei an diesen Roman zu denken“ – so begrüßte Literaturkritiker Denis Scheck die Besucher am Dienstag im Stuttgarter Literaturhaus zur Lesung mit dem amerikanischen Autor Jeffrey Eugenides. Die Protagonisten in Eugenides‘ neuem Roman sind zweifellos keine naiven Liebenden aus einer hollywoodesken Happy-End-Geschichte, auch wenn der deutsche Titel des Romans „Die Liebeshandlung“ zunächst entfernt daran erinnert. Der Pulitzer-Preisträger und Shooting-Star Jeffrey Eugenides stellte seinen Roman jetzt im Stuttgarter Literaturhaus zum ersten Mal einem deutschen Publikum vor. „The Marriage Plot“, so der Originaltitel der Dreiecksgeschichte, die auf einem amerikanischen Campus Anfang der 80er-Jahre spielt, lässt bei amerikanischen Lesern noch mehr Glocken klingen. „Marriage Plot“ ist ein literaturtheoretischer Begriff im Englischen, der die Handlung in Romanen von Autoren wie etwa Jane Austen oder auch Henry James beschreibt: Die Liebenden finden am Ende zueinander.

 

Im Literaturhaus gestand Jeffrey Eugenides im Gespräch mit Denis Scheck ein, in seinem Roman finde man aber eindeutig zu viel Sex für Henry James – „und auch für meine Mutter“, sagte der Autor gespielt beschämt. Eugenides‘ verliebte College-Studenten Madeleine und Leonard in der „Liebeshandlung“ sind beeindruckte Rezipienten der Kulturtheoretiker und Autoren von Postmoderne und Poststrukturalismus. Sie können nach der Lektüre von Roland Barthes’ „Fragmente einer Sprache der Liebe“ nicht mehr „Ich liebe dich“ sagen, ohne zugleich zu wissen, dass der Satz „überhaupt nichts mehr besagt“.

Marquis de Sade statt Updike

In einer von dem Schauspieler Matthias Breitenbach vorgelesenen Passage aus der deutschen Übersetzung des Romans bestellen die jungen Liebenden im Restaurant Martinis und fühlen sich gleich wie Figuren aus einer Salinger-Erzählung. Die Vorstadt-Geschichten von John Cheever oder John Updike wollen sie nicht mehr lesen, sie bevorzugen Marquis de Sade. Die Reihen der Lehrenden an ihren Universitäten sind gespalten in jene, die schon von den Geheimnissen und Offenbarungen der neuen postmodernen Theoretiker wie Derrida, Kristeva oder Foucault infiziert sind und solche, die diese noch verabscheuen.
Dass viele junge Menschen gestern ins Literaturhaus kamen, ist erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die Madeleines und Leonards mit ihren postmodernen Theorien heute den zur Gewohnheit gewordenen Großteil des Lehrkörpers an deutschen Universitäten ausmachen. Doch man könnte es auch als ein Indiz dafür deuten, dass es die Begeisterung und die beinahe orgiastischen Erweckungserlebnisse bei der Beschäftigung mit postmodernen Theorien, die auch die Protagonisten in Eugenides‘ Roman erfahren, immer noch gibt.

Oder aber die vielen jungen Besucher kamen wegen jenen Passagen wie etwa der, die Jeffrey Eugenides selbst aus der Originalversion des Romans vorlas. Madeleine zerbricht sich an dieser Stelle des Romans auf amüsante Weise den Kopf über ihre Gefühle für den manisch-depressiven Leonard, mit dem sie drei Tage lang in dessen Wohnung Pizza isst und atemberaubenden Sex hat. Die ernsthaft besorgten Gedanken darüber, ob ihr Hintern vielleicht zu dick ist oder sie eine Blasenentzündung bekommt, sieht sie als Indiz dafür, dass sie beginnt, sich Hals über Kopf zu verlieben.

Der "Marriage Plot" ist immer noch da

In das Bild von all diesen Gegensätzen, die für Jeffrey Eugenides eine gegenwärtige Liebeserzählung ausmachen, passt im Prinzip auch der Umgang der Kritik mit dem Roman. Dass der Autor am Dienstag – wie von der amerikanischen Kritik in den vergangenen Monaten schon so häufig – erneut gefragt wurde, ob der Charakter des Leonard im Roman dem verstorbenen Autor David Foster Wallace nachempfunden sei, der ja schließlich auch an einer psychischen Krankheit gelitten habe, das hätte den von den Protagonisten verehrten Poststrukturalisten zwar nicht gefallen – denn für sie gibt es nichts außerhalb des Texts – doch es ist offenbar Teil dessen, was Literaturkritik und Leser immer noch am meisten interessiert: Wo im Text finde ich das Körnchen Wahrheit, das ich aus der Realität und meinem Leben kenne?

Der Autor betonte am Dienstag im Literaturhaus auch, dass er – anders als die von den Romanhelden verehrten postmodernen Autoren – mittlerweile an einen Kern emotionaler Wahrheit im Text glaube – und auch der Ehe nicht abschwöre. Jeffrey Eugenides, der selbst verheiratet ist und mit seiner Frau vor einiger Zeit fünf Jahre lang in Berlin gelebt hatte, wollte einen „Marriage Plot“ schreiben, der in die heutige Zeit passt. „Der traditionelle ,Marriage Plot’ arbeitet noch immer in unseren Köpfen“, sagte Eugenides. In Hollywood-Filmen, Kindermärchen und vielen Romanen werde die Idee von dem einen Richtigen und der Liebe unter Seelenverwandten noch immer transportiert: „Wir haben diese Erwartungen – ob wir es wollen oder nicht.“

Ob die von Denis Scheck zu Beginn des Abends aufgestellte Hypothese sich für die Besucher der Lesung am Dienstag also bewahrheitet hat, bleibt diesen selbst überlassen.