Jennifer Fessele aus Deufringen lebt seit 18 Jahren zwischen Bulgari und Fendi, Casino und Fürstenpalast, Glitzer und Gold im Jetset-Spielplatz Monaco. Als Headhunterin für die internationale Ölbranche ist sie mittendrin im Big Business .

Reportage: Robin Szuttor (szu)

Deufringen/Monte Carlo - Abends riecht Monaco nach Parfüm. Am Quai Albert, in der Avenue de Saint Michel, auf dem Boulevard Princesse Charlotte: überall gehen die Frauen mit einem anderen extravaganten Odeur spazieren, das einen dann aus heiterem Himmel anspringt wie ungezogene Pinscher an der langen Leine.

 

Vor dem Hotel Hermitage mit seiner Belle-Époque-Eleganz stehen die Pagen geschniegelt wie Gardesoldaten. Drinnen süffelt die Hautevolee grünen Chartreuse-Likör und Café serré. Ein Gentleman in viel zu kurzer Hose entsteigt feierlich seinem Mercedes. Vor dem Schaufenster von Miu Miu stehen drei auf Hochglanz gestylte, spindeldürre Teenager, die auch gut Top-Models sein könnten.

Die Season beginnt im Mai. Aber für ein paar überkandidelte Jetsetter in den Bars, ein paar Aston Martin oder Maserati Grancabrio Centennial auf den Straßen Monacos reicht es auch an grauen Wintertagen.

„Monaco ist ein Reiz“, sagt Jennifer Fessele, 38. Sie wuchs auf in Deufringen, einem Dorf im Heckengäu. Bei Schwester Renate und Schwester Ursula ging sie in den evangelischen Kindergarten. Zum Weltspartag bekam sie in der Aidlinger Raiffeisenbank immer gutes Spielzeug. Mit ihrer Oma kaufte sie im Lebensmittellädle Jauß ein, daheim gab es dann Kartoffelpuffer oder Pfannkuchen. Zur Faschingszeit schauerte sie sich vor den Deufringer Berghexen.

Leben wie im Märchengarten

Seit 1999 lebt sie zwischen Barclay Bank und Balmain, Jachthafen und Casino, Gold und Edelsteinen im nervösen, kapriziösen, glamourösen Monaco. Die Sonnenseite des Lebens. Jeden Tag tolle Erlebnisse mit tollen Leuten. Ein Märchengarten ohne Alltagsmühlen, Arbeitslosigkeit, Armut, Kriminalität. Obwohl: Neulich wurde Fesseles Golf geklaut. Sie war schneller als Interpol, entdeckte den Wagen einige Tage später zufällig auf einem Parkplatz in Nizza.

Tagsüber klingt Monaco nach Baustelle. Die Stadt erwacht mit Presslufthämmern und Asphaltfräsen. Nur in die Sainte-Dévote-Kapelle dringt kein Laut. Ein Geistlicher sitzt allein in der Stille. An der Escalier de la Costa liegt halb versteckt unter einer Brücke ein kleiner Spielplatz mit Schaukeln und Wippen. Er wirkt wie ein Fremdkörper in dieser Stadt, wo man keine Kinder sieht.

Um acht öffnet der Supermarkt auf dem Boulevard Albert, der jedes Jahr im Mai zur Zielgeraden der Formel 1 wird. Eine alte Frau in Kittelschürze fegt einen Balkon im dritten Stock. Der Makler im Parterre hat 300 Quadratmeter Bürofläche für 26 500 Euro Monatsmiete im Portfolio. Sotheby’s bietet eine Wohnung für 25 Millionen an – mit Jacuzzi auf der Terrasse. „Die Russen haben den Immobilienmarkt kaputt gemacht, weil sie, ohne nachzudenken, jeden Preis zahlten“, sagt Jennifer Fessele.

Monaco ist der zweitkleinste Staat der Erde – mit der höchsten Bevölkerungsdichte. 38 000 Einwohner, jeder zweite Millionär, nur jeder fünfte mit monegassischem Pass. Fessele hat eine unbefristete Residenzkarte. Sie ist Mitglied im Ambassadors Club, der einen nur mit Empfehlung aufnimmt und wenn der 1000-Euro-Jahresbeitrag überwiesen ist. Hier sind die wichtigen Leute: Fürst Albert, Teppich-Mogul Moghadam, Reza Pacha, der in Goldminen investiert, Christian Moore, Sohn von 007. Jennifer Fessele gehört dazu.

Monaco ist ein Dorf

Monaco ist ein Dorf. Überall laufen ihr Bekannte über den Weg. Der Privatbankier von Julius Bär: „Grüezi.“ Ihr ehemaliger Professor für Macro-Economics: „Ich grüße Sie, wie geht’s Ihnen?“ Die Kellnerin vom Café de Paris: Küsschen, Küsschen. Die millionenschwere Seniorin im ausgebeulten Jogginganzug: „Bonjour Madame.“

Jennifer Fessele kommt 1978 in Ostfildern-Ruit zur Welt. Ein Einzelkind, der Vater Schwabe, die Mutter Ungarin. Die Eltern bauen eine Firma für Kunststofffenster mit auf und erarbeiten sich finanziellen Wohlstand, der ihrer Tochter einen guten Start ins Leben ermöglichen soll. Jennifer besucht die private Merz-Grundschule in Stuttgart, nimmt dafür täglich zwei Stunden Fahrt auf sich. Danach das musisch ausgerichtete Eberhard-Ludwigs-Gymnasium auf dem Killesberg, denn Jennifer will Pianistin werden. Als Fünfjährige nimmt sie ihre erste Klavierstunde. Und schon als kleines Mädchen bewundert sie Grace Kelly, die Fürstin von Monaco.

Bis Mitte der 19. Jahrhunderts ist das Fürstentum mausarm. Dann wird die Spielbank im Stadtteil Monte-Carlo zur Keimzelle des mondänen Monaco. Balletttänzer und Waffenhändler, Könige und Kurtisanen, Diven und Dandys suchen Zerstreuung an der französischen Riviera. Die wilden 1920er treiben Monaco zu neuen Jahrzehnten der Blüte. Wer dazugehört, amüsiert sich im Sporting Club d’Hiver, einem Art-déco-Bau mit Kino, Boutiquen, Kostümfesten, frivolen Varieté-Shows. Man ertüchtigt sich beim Tennisspiel im Country Club oder badet am Goldstrand des Monte Carlo Beach Hotels. Chaplin, Churchill, Onassis, der Aga Khan. Als Fürst Rainier 1956 die Hollywoodschauspielerin Grace Kelly heiratet, verwandelt sich Monaco endgültig in eine Traumwelt und wird Tummelplatz der großen Stars, Mannequins, Playboys. Mit dem Tod der Fürstin 1982 beginnt eine neue Zeit. Manche sagen der Niedergang.

Manche verfallen den Partynächten im Jimmy’z

Jennifer Fessele erlebt mit 16 einen tiefen Einschnitt. Ihre Eltern trennen sich. Sie zieht mit Mutter und Großmutter nach Lugano, wo sie eine Wohnung haben. Sie spricht kein Wort Italienisch. Eine einsame, bedrückende Zeit. Im Tessiner Gymnasium ist sie Außenseiterin. Sie beißt sich durch mit Disziplin, eines ihrer hervorstechenden Merkmale, wie sie sagt. Eigentlich sei sie schüchtern. Irgendwann wird sie mutig.

Beim Wirtschaftsstudium an der privaten International University of Monaco kann sie innere Festigkeit gut gebrauchen. 300 Studenten aus der ganzen Welt. Sehr elitär. Der Sohn eines russischen Oligarchen hat ständig Bodyguards im Schlepptau, bei Vorlesungen warten sie vor der Tür. Viele verfallen den Partynächten im Jimmy’z, den süßen Drinks der Buddha Bar. Geld spielt keine Rolle. Ein Italiener aus ihrem Kurs bekommt zum 19. Geburtstag einen Ferrari geschenkt, damit rast er nachts durch den Tunnel von Monte Carlo und verunglückt schwer. Noch im Krankenhaus verspricht ihm der Vater einen Porsche. „Ich glaube, das ist oft auch ein Schuldeingeständnis, wenn man Kindern alles durchgehen lässt, sie mit Geld und Geschenken überschüttet“, sagt Fessele. Die meisten dieser Eltern seien ja nie präsent.

Ihre Erziehung war streng. „Ich bekam viel Liebe, mir wurde finanziell alles ermöglicht, aber meine Eltern verlangten mir auch Fleiß und Leistungswillen ab.“ Das hilft, um in Monte Carlo nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren.

Nach dem Examen gehen die meisten wieder. „Es gibt hier keinen Jobmarkt, keine Strukturen. Alles läuft über Connections.“ Fessele hat das Glück, während des Studiums ein Praktikum im Haus Pastor zu machen. Eine Familie, die im Immobiliengeschäft Monacos überbordend reich wurde. Ohne sie geht nichts im Fürstentum.

Für Gildo Pastor entwickelt Jennifer Fessele ein Lifestyle-Bier quasi im Alleingang: von der Laborarbeit bis zum Marketing. Aber langfristig sieht sie keine Perspektive: „Gildo ist ein kreativer, verrückter Typ, ich mag ihn sehr. Er brennt für jedes Projekt, verliert aber schnell auch wieder die Lust.“ Als Gildos Mutter Hélène, eine der reichsten Frauen der Welt, 2014 erschossen wird, ist das auch ein Schock für Jennifer Fessele. Hélène Pastors Schwiegersohn hatte die Auftragskiller bezahlt.

Ein diskretes Gewerbe

Fessele lernt einen Headhunter kennen. Er sucht im Auftrag internationaler Unternehmen Top-Leute für vakante Top-Jobs. Fessele faszinieren dieser Mann und sein diskretes Gewerbe. Sie versucht sich auch im Metier: „Der Anfang war katastrophal.“

Heute hat sie eine eigene Headhunting-Agentur – die Arcus Executive Search. Ihre Geschäftsfelder: Öl, Gas, erneuerbare Energien, Finanzwesen. Allzu viel will sie nicht über ihren Job verraten. „Man muss den Markt genau kennen, meistens sind es ja die Rivalen der Auftraggeber, denen man die besten Leute abwirbt“, sagt Fessele. Sie hat Kunden auf der ganzen Welt, spricht Französisch, Englisch, Spanisch, Deutsch, Italienisch, Ungarisch. „Ich bin eine Menschenhändlerin“, sagt Fessele.

Schauspielerin muss sie auch sein. Sie schlüpft in Rollen, erfindet Geschichten, um überhaupt erst in die Nähe von Kandidaten zu kommen und mehr über sie zu erfahren, als in Xing-Profilen steht. Ein High-Energy-Job. Immer pushy sein. „Ich reiße Löcher in den Markt“, sagt Jennifer Fessele. Einmal habe sie ein komplettes Team rausgepaukt. Als der Chef es merkte, war es schon zu spät – catch me if you can: „Spionin wär vielleicht auch was für mich gewesen.“

Sie behauptet sich in der Männerwelt. Mit Unaoil-Chef Saman Ashani geriet sie in Streit. „Er ließ mich mit jedem Wort, jeder Geste spüren, dass er mich nicht ernst nimmt, weil ich eine Frau bin“, sagt Fessele. Sein Bruder habe noch versucht zu vermitteln, „aber das lasse ich mir nicht bieten“. Mittlerweile sind die Geschäftsbeziehungen eh gekappt: Unaoil steht im Fokus des größten Schmiergeldskandals der Ölindustrie. Die Company soll Deals zwischen namhaften Konzernen und High-Risk-Staaten wie Libyen, Nigeria, Aserbaidschan arrangiert haben.

Blender und Betrüger

„Monaco verliert an Klasse“, sagt Jennifer Fessele. Rainier ließ sich frühmorgens, wenn noch kein Mensch auf der Straße war, durch sein Fürstentum chauffieren, um zu inspizieren, was gerichtet werden muss. Heute wird nichts mehr gerichtet, sondern gleich was Neues hingestellt. Möglichst bombastisch wie der Tour-Odéon-Wolkenkratzer mit seinem 300-Millionen-Euro-Penthouse, das immer noch nicht verkauft ist. Den Abriss des legendären Sporting Club d’Hiver nahmen viele Monegassen ihrem Fürsten übel. Nun entsteht dort ein Luxus-Einkaufszentrum. „Albert steht für Wachstum: noch mehr bauen, noch mehr Kommerz, noch mehr Touristenschiffe. Die Reichen ziehen sich zurück.“ Jetzt wird wieder neues Land im Meer aufgeschüttet.

„Monaco ist eine Fiktion“, sagt Jennifer Fessele. Voll Blender und Betrüger, die hinter der Fassade von geliehenen Lamborghini längst nicht mehr Schritt halten mit ihrem eigenen Lebensstil. Die Stadt zieht einem das Geld aus der Tasche. Vermieter können die Preise erhöhen, wie es ihnen beliebt. Mieter haben die Wahl: zahlen oder gehen. Unter den Orangenbäumen zu schlafen ist auch keine Alternative. Obdachlose werden gleich abgeschoben. Hier kann es ziemlich ungemütlich werden.

„Ich mag Menschen“

„Reich sein macht einen Menschen noch nicht wertvoll“, sagt Jennifer Fessele. Zu Heike, mit der sie im Kindergarten spielte, hat sie bis heute Kontakt. In den 18 Jahren Monaco fand sie noch keine dauerhafte Freundin. Ständig bilden sich Cliquen, die sich wieder auflösen, durchmischen und neu formieren. Ihre beste Freundin ist ihre Mutter. Und die Männer in Monaco? „Psychopathen oder Lügner. Alle haben eine Maske auf.“ Nur ihr Yorkshire Jacky und ihr Pudel Penny sind echt.

Jennifer Fessele hat es zu was gebracht. Sie hat sich durchgekämpft und ist solide geblieben. A saubers, patentes Mädle, würde man im Heckengäu sagen – auch wenn ihr Make-up zu kräftig für Deufringen wäre und sie bei allem Sprachtalent kein Wort Schwäbisch schwätzt. „Ich mag Menschen“, sagt sie. Vielleicht mögen das die Leute an ihr: der Privatbankier von Julis Bär, der Professor für Macro-Economics, die Kellnerin vom Café de Paris, die reiche Seniorin im ausgebeulten Jogginganzug.

„Monaco hat sich verändert“, sagt Jennifer Fessele. Manchmal fragt sie sich, ob es noch der richtige Ort ist für sie. Aber welcher sonst? London vielleicht. Oder irgendwo auf dem Land, mit Pferden. Sie könnte sich auch gut vorstellen, in Gummistiefeln und Latzhosen zu arbeiten. Nur zurück nach Deufringen, das würde wohl nicht mehr funktionieren. Ja, vielleicht England. Anderseits liebt sie dieses Monaco auch irgendwie – „mein Monaco“, wie sie sagt. Es ist ihr Zuhause. Vielleicht stellt einen das Leben von allein an den richtigen Ort.