Die Justiz müsse auch die Kommunikation in Messengerdiensten wie Whatsapp einsehen können, fordert Jens Gnisa vom Deutschen Richterbund.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)
Weimar -
Herr Gnisa, Justizminister Heiko Maas hat die Justiz aufgefordert, sich in Debatten einzumischen. Wo ist das für Sie am dringendsten?
Ausgehend von Terroranschlägen, der Kölner Silvesternacht und der Flüchtlingskrise führen wir in Deutschland eine Sicherheitsdebatte. In puncto Sicherheit haben wir, was die Gesetzeslage angeht, zwar einen gewissen Nachholbedarf. Vor allem fehlt es jedoch an zeitgemäßen Ermittlungsbefugnissen und an der Ausstattung der Justiz mit Personal- und Sachmitteln. Gefragt ist also eine Sicherheitspolitik mit Augenmaß.
Wäre nicht schon viel getan, wenn die bestehenden Gesetze angewendet würden?
Richtig, im Fall Anis Amri wird ja noch immer diskutiert, ob er in Haft genommen hätte werden können. Man hat nun das Gesetz geändert, ohne dass man bei Amri versucht hat, das Gesetz anzuwenden und auszutesten. Dem niedersächsischen Justizminister Boria Pistorius ist es ja nun gelungen, zwei Gefährder zu inhaftieren – mit Zustimmung des Bundesverwaltungsgerichtes und auf Basis der jetzigen Rechtslage.
Also dem noch geltenden alten Recht.
Richtig. Das belegt, dass wir zum Teil ein Vollzugsproblem haben. Das ist auch bei der Videoüberwachung so. Auch da gibt es ein neues Gesetz, obwohl das alte Gesetz funktionstüchtig war. Man stellt nun fest, dass man damit Täter ermittelt hat, wie etwa im Fall des Berliner U-Bahn-Treters. Gleichzeitig sagt man, man brauche noch mehr Videoüberwachung. Man müsste aber sagen, welche Fälle nicht ermittelt worden sind, weil dort kein Video war. Man sagt aber pauschal, dass mehr Videoüberwachung notwendig sei. Das ist ein Beispiel dafür, dass zu schnell nach neuem Recht gerufen wird.
Sie haben aber selbst von Nachholbedarf gesprochen.
Im Bereich der neuen Kommunikationsmittel und sozialen Medien sind wir technisch zunehmend abgehängt. Bei Messengerdiensten wie Whatsapp fehlen zeitgemäße Zugriffsrechte für Strafverfolger. Da können wir kaum noch mithalten.
Sie fühlen sich abgehängt.
Ja. Es gibt keine sichere Rechtsgrundlage, um Whatsapp überwachen zu dürfen. Es ist dort eine Lücke entstanden. Messenger sind ein häufiges Kommunikationsmittel unter Kriminellen. Wir brauchen durchgängig die Möglichkeit, mit den Mitteln der Straftäter mitzuhalten. Im Bereich der Verkehrsdaten, wer also wann mit wem Kontakt hatte, und auch beim Zugriff auf die verschlüsselten Inhalte der Kommunikation.
Sie wollen mehr Überwachung und thematisieren in Weimar auch den „gläsernen Bürger“, den Sie schützen wollen. Passt das zusammen?
Das ist kein Widerspruch. Es geht nicht um mehr Überwachung, sondern darum, die staatliche Überwachung wieder auf die Höhe der Zeit zu bringen, auf der sie schon einmal war. Wenn Strafverfolger unter engen Voraussetzungen auf Briefe und Telefonate zugreifen können, muss das auch für moderne Kommunikationsformen gelten. Auf anderen Feldern, etwa bei der Videoüberwachung, besonders wenn sie auch noch mit Gesichtserkennung einhergehen soll, ist große Zurückhaltung geboten.
Wo liegen die Defizite bei der Ausstattung?
Wir sehen die große Gefahr, dass die Justiz zum Flaschenhals wird auf dem Weg von der Ermittlung zur Verurteilung. Man stockt die Polizei mit 12 000 neuen Stellen auf. Nach den eigenen Erhebungen von Bund und Ländern fehlen aber 2000 Richter und Staatsanwälte bundesweit. Wir haben also nichts zuzusetzen. Die Polizei kann zwar mehr Ermittlungsverfahren führen, die Staatsanwaltschaften und Gerichte können die jedoch nicht vorantreiben.