Jens Schröder beobachtet seit Jahren die sozialen Medien und berichtet in einem Newsletter täglich über die meistdiskutierten Themen und Beiträge – darunter viel Hass und Spott. Wie hält man das aus?

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Über Hass im Netz wird seit Jahren diskutiert. Wie sich dieser Hass ausdrückt, beobachtet Jens Schröder jeden Tag. In seinem kostenlosen „Trending“-Newsletter schildert der 44-Jährige das Social-Media-Geschehen in Deutschland und weltweit: Posts von populären Fußballern, der meistgenutzte Suchbegriff bei Google, der aktuell beliebteste Song auf Spotify – und immer wieder Politik.

 

Schröder hat stets die Zahlen im Blick, das heißt er berichtet über diejenigen Beiträge, die am häufigsten kommentiert, geteilt oder mit „Gefällt mir“ markiert werden. Flüchtlingsthemen und Beiträge von Populisten, meist aus dem AfD-nahen Spektrum, stehen fast täglich an der Spitze. Wie er damit umgeht, schildert Schröder im Interview.

Herr Schröder, Sie verfolgen seit Jahren, was im Netz kommentiert, geteilt und gelikt wird. Ändert sich die Wahrnehmung, wenn man da täglich draufschaut und permanent die Zahlen im Blick hat?

Man muss aufpassen, dass man die Diskussionen in den sozialen Netzwerken nicht mit dem „echten“ Leben verwechselt. Ein Beispiel: Bloß weil AfD-nahe Kreise die immer wieder gleichen Stories über Flüchtlinge nach oben liken, heißt das nicht, dass die gesamten deutschen Soziale-Medien-Nutzer so ticken. Stattdessen ist in diesen Kreisen eine sehr kleine Gruppe von Leuten sehr aktiv.

Helfen Sie denen nicht mit Ihrem Newsletter? Dort verbreiten Sie ja gewissermaßen deren Erfolgsstorys.

Ich will die Dinge nicht verfälschen. Wenn ein journalistischer Inhalt gerade viel diskutiert wird, lasse ich ihn im Newsletter nicht weg. Wenn ich in den Daten sehe, dass nur bestimmte Gruppen mitgewirkt haben, einen Beitrag populär zu machen, schreibe ich das genau auf. Der Ansatz der Rubrik „Politik“ ist hingegen nicht, über die populärsten Posts von Politikern an dem jeweiligen Tag zu berichten, sondern über die populärsten zu aktuellen politischen Themen des Tages. Das sind dann oftmals nicht die Themen, zu denen sich die AfD äußert, weil dort sehr monothematisch gepostet wird – also Flüchtlinge und Merkel. Mit diesen Posts sind Alice Weidel & Co. bei ihren Fans aber sehr erfolgreich.

Frustriert einen, solche Mechanismen permanent vor Augen geführt zu bekommen?

Es frustriert mich nicht, wenn Facebook sich durch seine Algorithmen, die Populismus massiv helfen, allmählich unbrauchbar macht. Verschiedene Zahlen zeigen, dass immer mehr Menschen Facebook daher den Rücken kehren. Aber klar: Dadurch, dass ich jeden Tag diesen Newsletter schreibe, kriege ich sehr direkt mit, was für kranke Gedanken manche Leute haben. Aber in solchen Momenten muss ich mich zurücknehmen und mir vor Augen führen: Ja, das sind Idioten. Aber das ist nicht die Mehrheit, sondern eine sehr, sehr laute Minderheit.

Sie sind Profi, Ihre Abonnenten auch. Wie wirken die von dieser sehr lauten Minderheit ausgenutzten Mechanismen auf arglosere User?

Der Ton wird radikaler, die Stimmung heizt sich mehr und mehr an. So toll das Internet ist, aber Facebook ist eine Büchse der Pandora. Es sind eben nicht alle so medienkompetent, um zu unterscheiden, wer da was postet und mit welchem Hintergrund. Parteienpropaganda darf beispielsweise nicht mit Journalismus verwechselt werden, was in sozialen Netzwerken aber oft geschieht, weil alle Posts gleich aussehen – egal wer dahinter steckt.

Mit welchen Inhalten hat man in sozialen Netzwerken garantiert Erfolg?

Politik mal außen vor gelassen: Tierquälerei ist ein ganz großes Thema. Wenn etwa ein Elefant in einem Zoo geschlagen wird oder ein verwahrloster Hund aus einem Zwinger befreit wird – dafür sind Facebook-Nutzer extrem empfänglich. Auch Fahndungen und Vermisstenmeldungen der Polizei sind immer wieder populär. Emotionale Themen eben, und da sind wir wieder bei der Politik. Eine Rentenreform wird bei Facebook nie den großen Erfolg haben wie zum Beispiel das aufgeheizte Thema Migration – es sei denn die Rente mit 80 wird beschlossen.

Ist da Twitter etwa besser?

Da ist man oft am erfolgreichsten, wenn man einen Gag zu aktuellen Entwicklungen bringt. Wenn ich mir die Maaßen-Tweets anschaue, waren die erfolgreichsten darunter zynische Witze à la: „Noch zwei Fehler und Maaßen ist Bundeskanzler“.

Dominieren die klassischen Nachrichtenmedien bei viralen Posts?

In den vergangenen Monaten waren fast ausschließlich Beiträge der traditionellen Medien an der Spitze der Statistiken. Mir scheint, dass auch die Rechten lieber Berichte eines etablierten Mediums teilen und liken als selbst ernannte Alternativmedien. Epoch Times, RT Deutsch und andere sind zwar weiterhin überdurchschnittlich erfolgreich in den sozialen Netzwerken. Aber sie waren auch schon noch erfolgreicher.

Eine gute Nachricht für die klassischen Medien.

Das ist die Frage, ob es eine gute Nachricht ist oder man als Redaktion auch mal darüber nachdenken sollte. Im Umkehrschluss heißt es ja, dass die traditionellen journalistischen Inhalte für den Alarmismus, den Populisten verbreiten, offenbar reichen. Erfolg in den sozialen Netzwerken ist nicht unbedingt immer nur positiv.

Sie sind sehr nah an der Empirie dran. Ist aus Ihrer Sicht die Diskussion über soziale Medien ausreichend informiert?

Mir fehlen manchmal quantitative Studien. Besonders würde mich interessieren, wie viele Nettonutzer hinter Facebook-Interaktionen stecken. Wenn zum Beispiel die Stuttgarter Zeitung eine Million Facebook- Likes mit ihren Posts erzielt und die AfD auch. Dann würde ich gern wissen, ob bei der StZ nicht sagen wir 500.000 Nutzer für diese Zahl gesorgt haben und bei der AfD eher 20.000, weil es sich dort um eine kleinere, aber deutlich aktivere Gruppe von Nutzern handelt. Bei Twitter kann man das ansatzweise herausfinden, Facebook ist leider ein sehr abgeschottetes System.

Ihr Pseudonym ist @popkulturjunkie. Gibt es so etwas wie Popkultur in Zeiten von individuellen Filterblasen überhaupt noch?

Natürlich gibt es etwa in der Musik weniger echte Weltstars als früher. Aber gerade Instagram und Youtube bringen doch permanent neue Stars hervor. Das ist vielleicht oberflächlicher. Aber natürlich ist das Popkultur. Die Kardashians zum Beispiel kann man als popkulturelles Phänomen betrachten. Das wird nicht verschwinden, nur weil es nicht mehr wie früher die eine, von Radio und MTV propagierte Jugendkultur gibt.