Schützt Hartz IV vor Armut? Oder ist vielmehr arm, wer auf Hartz IV angewiesen ist? Bloße Phrasen werden der komplexen Wirklichkeit nicht gerecht.
Stuttgart - Hartz IV: Selten hat ein Sozialgesetz die Gemüter so aufgewühlt wie die von Rot-Grün beschlossene Hartz-Reform. Der Streit dreht sich im Kern um die Frage, ob Hartz IV die Existenz sichert und vor Not bewahrt – oder ob das Gegenteil gilt: dass also arm ist, wer Hartz IV bezieht.
Dieser Konflikt ist nach den Äußerungen des künftigen Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU) neu entflammt: „Hartz IV bedeutet nicht Armut, sondern ist die Antwort unserer Solidargemeinschaft auf Armut. Damit hat jeder das, was er zum Leben braucht.“ Spahn vertritt mit dieser Haltung übrigens die offizielle Linie der großen Koalition – auch wenn er nun aus der SPD Kritik erntet. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, einer der Architekten der Hartz-Reform, sagte in einem Interview: „Unser Ziel muss höher gesteckt sein, als dass die Menschen von Hartz IV oder anderen Transferleistungen leben.“ Entscheidend sei, dass die Menschen von ihrem Lohn leben könnten. Deshalb sei es richtig, die Sozialpolitik darauf zu konzentrieren, Arbeitslosigkeit zu reduzieren.
Hartz IV: Genau bemessen und dennoch unrealistisch?
Zu den Fakten: Ein Alleinstehender bekommt nach Hartz IV 416 Euro im Monat, bei Paaren sind es 374 Euro pro Kopf. Für Kinder unter fünf gibt es 240, zwischen sechs und 14 Jahren 296, bis zum 18. Geburtstag 316 Euro. Kinder unter 25, die bei den Eltern wohnen, erhalten 332 Euro. Zusätzlich werden die Kosten von Wohnung und Heizung bezahlt.
„Die gesetzliche Grundsicherung wird mit großem Aufwand genau bemessen und regelmäßig angepasst“, sagt Spahn. Den großen Aufwand gibt es tatsächlich. Aber bei der „genauen Bemessung“ hapert es. Jedenfalls betonen Sozialverbände seit langem, dass der so genannte Regelbedarf zu niedrig ausfalle. Die Berechnung fußt auf einer Stichprobe. Zuletzt wurden dabei 60 000 Haushalte befragt, welche Einkommen sie haben und wofür sie diese ausgeben. Bei der Ermittlung des Existenzminimums wird auf Haushalte abgestellt, die gerade so viel verdienen, dass sie nicht ganz auf Sozialleistungen angewiesen sind. Tatsächlich aber sind auch solche Haushalte Grundlage der Ermittlung, die gar keine Unterstützung beziehen – auch wenn sie darauf Anspruch hätten.
Wohnungsknappheit wird zur Armutsfalle
Hartz IV-Bezieher bekommen Wohnkosten bezahlt, soweit sie als „angemessen“ gelten. Wo aber günstiger Wohnraum fehlt, wird es schwer, eine Bleibe zu finden, die diese Auflage erfüllt. Unter Umständen werden tatsächliche Mietkosten nicht in voller Höhe vom Staat übernommen, wie der Caritasverband betont: „Das führt dazu, dass Teile der Miete aus dem Regelbedarf bestritten werden müssen. Diese Summen stehen für die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums dann nicht zur Verfügung.“ Wohnungsknappheit werde somit zur Armutsfalle.
An eine Anhebung der Hartz-Sätze auf ein unstrittig existenzsicherndes Niveau – Caritas schlägt ein Plus von 80 Euro vor – denkt die große Koalition aber nicht. Dann würde die Zahl der Hartz IV-Empfänger steigen, weil viele Arbeitnehmer, die nur wenig verdienen, Hilfe vom Staat bekämen.