Jens Weidmann fordert eine nachhaltige Reformpolitik. Mit den erzielten Ergebnissen ist er zufrieden. Er mahnt aber, dass die Europäer langfristig denken müssen. Andernfalls sei ein Wiederaufflammen der Krise in zehn Jahren möglich.

Stuttgart - Ist das Feuer gelöscht oder kann der Brand, der noch hier und da als Glutherd sichtbar ist, jederzeit wieder aufflammen? Übertragen auf die europäische Staatsschuldenkrise: Sind die gemeinsame Währung und der gemeinsame Wirtschaftsraum stabilisiert oder kann die Eurozone doch noch auseinanderbrechen? Wie sehr diese Fragen die Menschen beschäftigen, hat sich auch am Montagabend bei der Veranstaltung StZ im Gespräch gezeigt. Zu der Diskussionsrunde hätten sich mehr Leserinnen und Leser angemeldet als beim letzten StZ im Gespräch mit Kanzlerin Angela Merkel, sagte der Chefredakteur Joachim Dorfs. Er wollte von dem prominenten Gast im Haus der Wirtschaft, Bundesbankpräsident Jens Weidmann, wissen, ob er die Europäische Zentralbank (EZB) noch immer in der Rolle der Feuerwehr sieht. Muss sie weiterhin möglichst viel Wasser – sprich billiges Geld – in die Finanzmärkte und letztlich auch in die Haushalte der Krisenländer pumpen, um den Brand in der Eurozone zu löschen?

 

„Die Antwort auf diese Frage wäre abendfüllend“, antwortete Weidmann spontan. Der Bundesbankpräsident, der auch Mitglied im EZB-Rat ist, lobte aber die politischen Reformen in der Eurozone. Die aktuellen Konjunkturdaten seien gut. Doch als Amtsträger, der ein hohes Gut – die Geldwertstabilität – zu verteidigen hat, denkt Weidmann natürlich langfristig.

Die guten Konjunkturdaten ließen ihn ganz positiv gestimmt in die Zukunft blicken, sagte er. Doch müsse die Zentralbank auch die langfristigen Risiken im Blick behalten. „Es geht darum zu verhindern, dass wir nicht in zehn Jahren vor einer neuen Krise stehen.“

Skeptizismus ist eigentlich keine schlechte Eigenschaft

Der Bundesbankpräsident, der in Backnang aufgewachsen ist, verteidigte die skeptische Haltung, die andere Europäer oft den Deutschen ankreiden. Schon Voltaire habe gesagt, dass am Grunde eines Problems immer ein Deutscher sitze, zitierte Weidmann den französischen Aufklärer. Doch Skeptizismus sei eigentlich keine schlechte Eigenschaft – angesichts der Tragweite der zu treffenden Entscheidungen über die Zukunft Europas.

Vorbereitung auf die Abkehr der extremen Niedrigzinspolitik

Weidmanns Linie ist klar: Die Notenbank darf es nicht versäumen, sich auf eine Abkehr von der extremen Niedrigzinspolitik vorzubereiten. Die Anleihekäufe der EZB, die damit Not leidende Länder zu für sie annehmbare Konditionen finanziert und dem Klammergriff der Finanzspekulanten entzogen hat, hält der Bundesbankpräsident für problematisch. Dies hat ihn in der öffentlichen Wahrnehmung zum Antipoden von Notenbankpräsident Mario Draghi werden lassen, obwohl er nicht der Einzige ist, der im EZB-Rat in bestimmten Fragen ein Minderheitenvotum vertritt.

Entscheidend sei, dass die extreme Niedrigzinsphase nicht länger anhält als nötig, betonte Weidmann. Die Notenbank müsse handlungsfähig bleiben. Hier sehe er sich aber auf einer Linie mit seinen Kollegen im EZB-Rat. „Da gibt es keinen Dissens.“ Damit bemühte sich der Nachfolger von Axel Weber den Eindruck zu widerlegen, dass er der notorische Neinsager unter den Euro-Hütern sei.

Mit Nachdruck erklärte der promovierte Volkswirt, dass die Notenbank im Sommer 2012 ihr bedingungsloses Bekenntnis zum Euro nicht aus einer Situation der Hilflosigkeit abgegeben habe, sondern voll handlungsfähig gewesen sei. Für ihn ist glasklar, welche Legitimation und Aufgabe die Notenbank hat – und welche die Politik. „Wir sind nicht die Regierung Europas. Wir sind für die Geldwertstabilität zuständig.“ Die Sicherheit des Geldes könne aber nur dauerhaft gewährleistet werden, wenn alle Akteure mit an einem Strang ziehen.

Weidmann zeigt sich als pragmatischer Europäer

Weidmann, der sich hütete, eigene politische Meinungen preis zu geben, zeigte sich als pragmatischer Europäer. Da die Bürger nicht dazu bereit seien, eine politische Union zu akzeptieren, falle dieser Weg bei der Krisenbewältigung weg. Deshalb gehe es darum, dafür zu sorgen, dass die Maastricht-Verträge wieder konsequent eingehalten werden.

Auch der Politik der frisch amtierenden Bundesregierung wollte Weidmann keine Noten erteilen. Indirekt äußerte er sich gleichwohl zu aktuellen Fragen wie Rente und Steuern, indem er Szenarien aufriss, mit denen sich die Politik konfrontiert sieht. Deutschland sei viel besser als andere Länder durch die Krise gekommen. Aber auch hier denkt der frühere Wirtschaftsberater der Kanzlerin langfristig.

Die Wirtschaftsorganisation OECD schätze, dass Deutschland von allen 42 untersuchten Ländern bis zum Jahr 2030 am zweitlangsamsten und bis 2060 sogar am langsamsten wachsen wird. Hauptgrund für diese Abschwächung des Wachstumstempos sei die demografische Entwicklung. Ohne Migranten werde die arbeitsfähige Bevölkerung bis 2020 um anderthalb Millionen Menschen abnehmen, rechnete Weidmann vor. Deshalb sei es so wichtig, dass möglichst viele gut ausgebildete Menschen möglichst lange erwerbstätig seien. Eine direkte Antwort auf seine Meinung zur Rente mit 63 erübrigte sich so.