Im vergangenen Jahr ist es eröffnet worden, bislang flanierten Besucher nur durch leere Hallen. Jetzt zeigt das Palästinensische Museum im Westjordanland seine erste Ausstellung.

Stuttgart - Man kann sich leicht verfahren auf der Strecke zum neuen Palästinensischen Museum. Es liegt etwas abgelegen am Rande von Birseit, einem Universitätsstädtchen nördlich von Ramallah. Aber die gezackten Konturen des modernen Architekturkomplexes oben auf der Hügelkette sind eine gute Orientierungshilfe, richtungsweisend nicht nur bei der Suche nach dem Weg. Sobald man auf den Museumsparkplatz einbiegt, ist man mittendrin im Kunstgeschehen. Aus Lautsprechern tönt eine Klangkakofonie wie auf dem Busbahnhof am Jerusalem Damaskustor. Stimmen, die sich die Kehle heiser schreien, um den Passagieren in Ermangelung eines exakten Fahrplans anzukündigen, wann und wohin es losgeht. Nach Hebron, Nablus und natürlich „Ramallah, Ramallah“, ein Ruf, der besonders gut von der Zunge rollt.

 

Hier, in der Stille der Landschaft, nimmt sich der Jerusalemer Lärmmix recht bizarr aus. Die Audio-Installation von Emily Jacir, einer Künstlerin aus Bethlehem, ist allerdings die perfekte Einstimmung ins Thema. „Jerusalem lives“ heißt die erste große Ausstellung , die „Das Palästinensische Museum“ – auf den bestimmten Artikel im Namen wird Wert gelegt – jetzt zeigt. Feierlich eröffnet wurde der rund 25 Millionen Dollar teure Bau, entworfen von dem irischen Architekten Heneghan Pan und finanziert von einer Stiftung reicher Exil-Palästinenser, bereits im Mai vorigen Jahres. Aber bislang flanierten Besucher durch leere Hallen und den kunstvoll in Zickzacklinien terrassierten Museumsgarten. Der Streit um Konzepte führte mehrfach zu Personalwechseln an der Spitze des Projekts. Umso ambitionierter präsentiert sich nun die Ausstellungspremiere „Jerusalem lebt“ mit Werken von vierzig heimischen wie internationalen Künstlern.

Für Palästinenser ist Jerusalem fast unerreichbar geworden

Es geht um eine Stadt, die wie keine andere im metaphorischen Sinne globalisiert ist, schon weil sich gleich drei Weltreligionen auf sie beziehen. Und die doch an ihrer Zerrissenheit immer wieder scheitert. So wie für die Israelis ist Jerusalem, arabisch Al Quds genannt, für die Palästinenser ein zentraler Bezugspunkt. Auch wenn die Stadt für Letztere, sofern sie im Westjordanland oder in Gaza leben, heutzutage fast unerreichbar ist. „Wir haben keinen Zugang zu Jerusalem“, sagt die Kuratorin Reem Fadda, „deshalb haben wir das Thema hergebracht.“

Fadda spricht aus eigener Erfahrung. Sie hat bereits für das Guggenheim-Projekt in Abu Dhabi gearbeitet, die Kunst-Akademie Palästina mitgegründet und sich zuletzt als Kuratorin der Marrakesch-Biennale einen Namen gemacht. Die Ausstellung in Birseit hat sie in der Rekordzeit von acht Monaten gestemmt, ohne in dieser Zeit wenigstens einmal eine israelische Einreiseerlaubnis für Jerusalem zu bekommen. Ein Grund mehr, warum die künstlerische Auseinandersetzung mit dem politischen Konflikt im Zentrum steht. Die jüngste Krise um die Zugangskontrolle zu Al Aksa und Felsendom – dem Moscheegelände, auf dem zu biblischen Zeiten ein jüdischer Tempel stand – hat dem Projekt „Jerusalem lebt“ zusätzliche Aktualität verschafft.

Eine Himmelsleiter für die Befreiung

Vor allem die Installationen im Museumsgarten bieten ungewohnte Perspektiven. Da ragt eine Himmelsleiter aus einem Käfig empor, kreiert von Vera Tamari, Professorin für Kunstgeschichte und visuelle Kommunikation. „Home“ – daheim – nennt sie ihr Werk aus Drahtgeflecht und grünem Plexiglas, das sie als Ausbruchsversuch angesichts der fortschreitenden Übernahme palästinensischer Häuser in der Jerusalemer Altstadt durch Siedler verstanden wissen will. An anderer Stelle steht eine Moscheekuppel, nach Christo-Art verpackt wie ein verschnürtes Paket.

Besonders originell ist ein fast drei Tonnen schwerer Felsquader, den Athar Jaber, ein aus dem Irak stammender junger Künstler mit holländischem Pass und belgischem Wohnsitz, grob behauen hat. Inspiriert dazu hat ihn ein Besuch in Jerusalem, wo Juden, Christen und Moslems ihre heiligen Steine küssen, aber auf Straßensteine ungeniert spucken. „Ich wollte diesen Kontrast, das Heilige wie das Profane, in einem Stück vereinen“, sagt Jaber. Anfassen und Draufkritzeln ist ausdrücklich erwünscht. Keine schlechte Idee, um auch dem breiten palästinensischen Publikum moderne Kunst nahezubringen.