Der Vormarsch der Dschihadisten zwingt die Bundesregierung zu einem abrupten Positionswechsel. Nun will auch die SPD bis an die Grenze des rechtlich zulässigen gehen.

Berlin - Am Montag noch hatte Regierungssprecher Steffen Seibert den Eindruck erweckt, Rüstungsgüter in Kriegs- und Kampfgebiete wie den Irak zu schicken, sei für die Bundesregierung tabu. Nur einen Tag später revidierten die zuständigen Minister der Bundesregierung dann aber eben diesen Kurs. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) haben Waffenlieferungen an die irakische Armee für ihren Kampf gegen die Terrormiliz IS nicht mehr kategorisch ausgeschlossen.

 

Von der Leyen kündigte in einem ersten Schritt bereits die Lieferung von Rüstungsgütern wie gepanzerten Fahrzeugen und Sprengfallen-Detektoren aus Bundeswehrbeständen an. Nach einem Treffen mit ihrem britischen Amtskollegen Michael Fallon betonte sie zwar, dass es sich dabei vorerst ausschließlich um Ausrüstung, nicht aber um tödliche Waffen handle. Aber wenn „die Frage im Raum steht, einen Genozid zu verhindern, dann müssen wir Dinge intensiv auch innerhalb Deutschlands noch einmal miteinander diskutieren“, sagte von der Leyen. Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier deutete in einem Interview an, seinen bisher äußerst zurückhaltenden Kurs in Sachen Waffenlieferungen aufgeben zu wollen. „Ich bin angesichts der dramatischen Lage dafür, bis an die Grenzen des politisch und rechtlich machbaren zu gehen“, sagte er der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Gabriel vollzieht eine Kehrtwende

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), der in Rüstungsexportfragen bisher einen extrem restriktiven Kurs fuhr, schließt deutsche Waffenlieferungen an die Kurden nun ebenfalls nicht mehr aus. „Ich will nicht sagen, dass man nicht auch darüber nachdenken muss“, sagte er nach einem Treffen mit Vertretern der Glaubensgemeinschaft der Jesiden in Berlin. Die Welt erlebe „die Vorbereitung eines Völkermords“ an den irakischen Jesiden durch die Dschihadistengruppe Islamischer Staat (IS), sagte Gabriel. Er gehe deshalb davon aus, dass Deutschland „über alle Fragen der Hilfe wird reden müssen“. Rein rechtlich seien Waffenlieferungen nicht ausgeschlossen.

Gabriels Offenheit gegenüber einer Ausrüstung der Kurden mit Waffen kollidiert mit seiner eigenen, erst wenige Wochen alten Forderung, die Rüstungsexportrichtlinien künftig strenger auszulegen, als es unter der schwarz-gelben Vorgängerregierung der Fall gewesen ist. Zuletzt hatte Gabriel deshalb den Export eines Gefechtsübungszentrums nach Russland gestoppt und eine bereits erteilte Genehmigung widerrufen.

Die Kanzlerin äußert sich nicht zu dem umstrittenen Thema

Begründet hatte er diesen Schritt damit, dass Russland „in eine Spannungssituation verwickelt ist“. Gemeint war Russlands Rolle in der Ukraine. Damals warnte Gabriel vor „Geschäften mit dem Tod“ und vor dem Risiko, dass die deutschen Waffen zur Gefahr für internationale Truppen werden könnten. „Eines geht nicht: Dass wir nicht aufpassen, Waffen liefern und ein paar Jahre später unsere Bundeswehrsoldaten in solche Regionen schicken, um das alles wieder zu befrieden. Die stehen dann deutschen Waffen gegenüber.“ Solche Bedenken macht Gabriel bezüglich des Irak nun nicht geltend. In der SPD dürften deshalb nicht alle mit Gabriels Haltung zu Militärhilfen für Kurden einverstanden sein. Vizefraktionschef und SPD-Außenexperte Rolf Mützenich hat sich bereits dagegen ausgesprochen.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte sich nicht zu Militärhilfen. Nach einem Telefonat mit Frankreichs Präsident François Hollande ließ das Kanzleramt verlauten, dass Merkel und Hollande die Europäische Union in der Pflicht sähen, „rasch Beiträge zu den laufenden humanitären Anstrengungen“ zu leisten..