Ist eine Jesidin in Deutschland von ihrem Peiniger der Terrormiliz IS erneut bedroht worden? Der Traumaexperte Kizilhan hält das für denkbar - doch er zieht auch eine andere Möglichkeit in Erwägung.

Stuttgart - Mehr als 90 Prozent aller rund 1000 Jesidinnen, die in Baden-Württemberg Schutz gefunden haben, sind durch ihre Erlebnisse im Nordirak traumatisiert. Das sagt der Psychologe Jan Ilhan Kizilhan, der die Frauen im Jahr 2015 vor Ort untersucht hatte, der Deutschen Presse-Agentur.

 

Fast alle erfüllten demnach die Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung und seien behandlungsbedürftig gewesen. Mittlerweile fänden sie sich hierzulande zurecht. Das bedeute jedoch nicht, dass sie geheilt seien, sagt Kizilhan: „Die meisten haben aber gelernt, mit dem Trauma umzugehen.“

Im Fall der Jesidin Aschwak T., die in Schwäbisch Gmünd (Ostalbkreis) ihren einstigen Peiniger wiedererkannt haben will und vor Angst zurück in den Irak flüchtete, gibt es laut Kizilhan zwei Möglichkeiten. Die eine sei, dass sie den Betreffenden wirklich erkannt habe. „Es gibt aber aus psychotraumatologischer Sicht noch eine zweite Variante: Sie glaubt, diese Person gesehen zu haben, obwohl sie es nicht war.“ Beiden Möglichkeiten müsse man genau nachgehen.

Als er mit einer ersten Gruppe der Frauen 2015 über Istanbul nach Baden-Württemberg geflogen sei, habe gerade die muslimische Pilgerreise nach Mekka stattgefunden. Es seien viele Muslime in traditioneller Kleidung am Flughafen gewesen. „Es gab Frauen, die in Ohnmacht gefallen sind, als sie diese Menschen gesehen haben“, sagt Kizilhan. Demnach assoziierten die Frauen die bärtigen, islamisch aussehende Männer mit der Gewalt, die sie durch die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) erlitten hatten.