Ian Anderson von Jethro Tull wagt sich in der Liederhalle in Stuttgart an „Thick as a Brick 2“ – und scheitert daran.

Entscheider/Institutionen : Kai Holoch (hol)

Stuttgart - Hätte Ian Anderson doch nur auf seine innere Stimme gehört. „No-oooooo“ habe diese ganz laut geschrien, als ihm Freunde seiner Plattenfirma vor ein paar Jahren vorschlugen, eine Fortsetzung des Jethro-Tull-Klassikers „Thick as a Brick“ aus dem Jahr 1972 zu schreiben. Doch vierzig Jahre im Rockgeschäft haben offenbar Spuren in den Gehörgängen des Ausnahmeflötisten hinterlassen. So ist dieses Nein auf dem Weg ins Gehirn leider irgendwo verloren gegangen.

 

Mit dem Ergebnis müssen nun jene Anderson-Fans leben, die sich entweder „Thick as a Brick 2“ auf CD oder lange vor der Veröffentlichung Karten für das seit Monaten ausverkaufte Konzert im Beethovensaal der Liederhalle gekauft haben. Auf der Bühne steht dabei übrigens nicht Jethro Tull, sondern „Jethro Tull’s Ian Anderson“: Der Kunstgriff ist notwendig, weil sich, so ist zu hören, Anderson und sein langjähriger Gitarrist Martin Barre auseinandergelebt haben sollen.

Gegen den Auftakt des Abends ist nur wenig einzuwenden. Zwar ist die Stimme des bald 65-jährigen Anderson mittlerweile derart angeschlagen, dass er zwar gewohnt engagiert am Mikrofon kämpft, aber kaum noch je den richtigen Ton trifft. Darauf hat Anderson auf souveräne Weise reagiert und den jungen Schauspieler und Sänger Ryan O’Donnell verpflichtet, der immer dann Andersons Gesangspart übernimmt, wenn es in allzu lichte Höhen geht.

Das bitterböse Stück entfaltet seinen Charme

„Thick as a Brick“ Teil eins ist über jeden Zweifel erhaben. Von Beginn an entfaltet das bitterböse Stück über den achtjährigen Gerald Bostock, den die Gesellschaft verbiegt und letztlich als „Dumm wie Bohnenstroh“ – so die freie Übersetzung von „Thick as a Brick“ – abstempelt, seinen Charme. Was diese aberwitzige Mischung aus Folk, Rock und Jazzelementen mit ihren krassen Brüchen und Wendungen einzigartig macht, ist die Qualität und die melodische Schönheit der einzelnen Bausteine. So passt zusammen, was eigentlich gar nicht zusammenpassen kann.

Genau darin liegt das Problem von „Thick as a Brick 2“, das zu ergründen versucht, was vierzig Jahre später aus Gerald Bostock geworden sein könnte. Denn hier passt nicht mehr viel zusammen. Aus siebzehn oft blassen Mosaiksteinen bastelt Anderson die Fortsetzung. Er zitiert mal hier den Vorgänger, greift dort auf tausendfach gehörte Jethro-Tull-Muster zurück und kämpft sich so durch eine Stunde Belanglosigkeiten. Im Konzert würzt er das ganze wenigstens mit einer guten Portion britischen Humors und einigen netten Videoeinspielungen. Aber retten kann das den zweiten Teil des Abends auch nicht mehr.