Nebenbei ist Thompsons „In die finstere Nacht“ auch ein Meisterstück des Ganz-knapp-drum-herum-Schreibens. Sex gehörte zu den Kaufanreizen der Ex-und-Hopp-Taschenbuchreihen, die Thompson belieferte. Nur durfte der aus Angst vor der Pornografie-Einstufung nicht allzu detailliert beschrieben werden.

 

Thompson schnappt sich die Matratze trotzdem sehr forsch und macht aus dem Requisit des deftigen Groschenkrimis ein Werkzeug der Charakterisierung. Bigger ist fast schon ein Erotomane, ein seine Defizite kompensierender Serienverführer. Er beschläft Fay und deren einbeinige Haushaltshilfe und weckt Mutterinstinkte in der Frau des Sheriffs, einen Mütterlichkeit, die wohl zu etwas anderem ausarten würden, wäre die Frau nur ein klein wenig jünger.

Dass Biggers bei seinen Eroberungen mit Anflügen von Sadismus eine Generalwut ventiliert, macht Thompson sehr klar. Aber er greift weiter. Er schildert das Bett als Ort, an dem Bigger die Diskrepanz zwischen dem, was er äußerlich ausdrückt, und dem was er in steter Wachsamkeit denken muss, besonders deutlich empfindet. Thompson drückt mit seinem Modding der Fertigbausteine des Dutzendkrimis mehr aus als manch anderer mit komplexen Originalentwürfen.

Selbstporträt als Vaginafarmer

Mit seinem Werk ist Jim Thompson (1906-1977) weder reich noch berühmt noch glücklich geworden, auch wenn er viele andere Autoren und etliche Filmemacher beeinflusst hat. Woher er kam, wie er wurde, der er war, hat er in seinem semi-autobiografischen Roman „Jetzt und auf Erden“ geschildert, seinem Debüt von 1942, das nun ebenfalls auf Deutsch vorliegt.

Eine fiese Patsche in einer fiesen Welt ist das eine, was wir von einem Jim-Thompson-Roman erwarten dürfen. Das andere ist ruchlose emotionale Manipulation, der Missbrauch von Lust und Liebe als Werkzeug und Waffe. Bigger benutzt Fay, um den stets panisch fluchtbereiten Jake in Reichweite zu halten. Fay benutzt Bigger, um ihren lästigen Verlierer von Mann los zu werden und wieder Anschluss ans Halbweltleben der Großstadt zu finden. Sollte Bigger Schwächen zeigen, wird Fay fraglos wieder gegen ihn auf Jake setzen.

Billig und vulgär: Pulp eben

„In die finstere Nacht“ ist ein schönes Beispiel für das, was man in Deutschland seit Mitte der Neunziger, seit Quentin Tarantinos gleichnamigem Film, gemeinhin Pulp Fiction nennt, für einen billigen, vulgären, effekthascherischen Groschentext, der seine unschönen Eigenschaften aber so zielbewusst und gekonnt einsetzt, dass er wie die korrekte Zielerfassung des Billigen, Vulgären, Effekthascherischen in unserer Wirklichkeit (oder jedenfalls in unseren Vorstellungen von ihr) wirkt.

Der Autor Martin Compart, im Lauf der Jahre Herausgeber diverser Krimreihen, hat gegen diese mediengeschichtlich keineswegs akkurate Verwendung des Begriffs Pulp unlängst heftig Protest eingelegt. Sein Einwand ist allerdings ein wenig weltfremd. Begriffe, erst recht Fremdwörter, werden in einer lebendigen Sprache beständig umgedeutet.

Mit dem Lehnwort Pulp hat das Deutsche eine griffige Bezeichnung für jene Art des unfeinen Krimis, die es hierzulande am schwersten hat. Man darf sogar hoffen, sie hat jetzt einen Kampfbegriff. Pulp ist der Gegenentwurf zur Literaturleiter-Emporarbeitungsbemühung mancher Krimiautoren, die neben ein paar prächtigen Texten auch regalmeterweise Schreckvitrinen-Nippes hervorbringt.

Keine Paranoia, eher Kernschmelze

Bigger erzählt im Lauf des Romans immer fahriger, fiebriger, gehetzter. Er misstraut allem und jedem, er überlegt bei jedem kleinen Schritt, in welche Falle der führen könnte, und ruiniert sich dabei. Manche Kritiker deuten das als Verfolgungswahn, als Fehlfunktion also. Aber das Herausragende an „“In die finstere Nacht“ ist, dass eben umgekehrt ein Schuh draus wird. Der kleine Bigger erfasst völlig korrekt, wie unterhöhlt, instabil, intrigenreich seine Welt ist, durchseucht von Tricksern mit bösen Absichten wie ihm selbst. Aber mit der vollen Erkenntnis des Übels kommt kein Verstand klar. Bigger ist ein Erkenntnisreaktor ohne Kühlkreislauf, seine Erzählung das Protokoll einer Kernschmelze.

Sex, Sadismus und Mütterlichkeit

Nebenbei ist Thompsons „In die finstere Nacht“ auch ein Meisterstück des Ganz-knapp-drum-herum-Schreibens. Sex gehörte zu den Kaufanreizen der Ex-und-Hopp-Taschenbuchreihen, die Thompson belieferte. Nur durfte der aus Angst vor der Pornografie-Einstufung nicht allzu detailliert beschrieben werden.

Thompson schnappt sich die Matratze trotzdem sehr forsch und macht aus dem Requisit des deftigen Groschenkrimis ein Werkzeug der Charakterisierung. Bigger ist fast schon ein Erotomane, ein seine Defizite kompensierender Serienverführer. Er beschläft Fay und deren einbeinige Haushaltshilfe und weckt Mutterinstinkte in der Frau des Sheriffs, einen Mütterlichkeit, die wohl zu etwas anderem ausarten würden, wäre die Frau nur ein klein wenig jünger.

Dass Biggers bei seinen Eroberungen mit Anflügen von Sadismus eine Generalwut ventiliert, macht Thompson sehr klar. Aber er greift weiter. Er schildert das Bett als Ort, an dem Bigger die Diskrepanz zwischen dem, was er äußerlich ausdrückt, und dem was er in steter Wachsamkeit denken muss, besonders deutlich empfindet. Thompson drückt mit seinem Modding der Fertigbausteine des Dutzendkrimis mehr aus als manch anderer mit komplexen Originalentwürfen.

Selbstporträt als Vaginafarmer

Mit seinem Werk ist Jim Thompson (1906-1977) weder reich noch berühmt noch glücklich geworden, auch wenn er viele andere Autoren und etliche Filmemacher beeinflusst hat. Woher er kam, wie er wurde, der er war, hat er in seinem semi-autobiografischen Roman „Jetzt und auf Erden“ geschildert, seinem Debüt von 1942, das nun ebenfalls auf Deutsch vorliegt.

Wie bitter er seiner beinahe brotlosen Schriftstellerei gegenüber eingestellt warm, lässt eine Nebenfigur in „Savage Night – In die tiefe Nacht“ ahnen. Dieser durchgeknallte Autor erzählt Bigger, er habe eine kleine Farm, auf der er Vaginas züchte und die von verrückten Ziegen tyrannisiert werde.

Thompson sah sich also als Lieferant von Triebabfuhr für ein Publikum, das kein bisschen interessiert war an dem, was ein Text alles sein könnte. Aber er hat eben nicht das geliefert, was gerade mal eben genügte, um ein paar Grobiane am Kiosk ein paar Cent auf den Tresen legen zu lassen. „In die finstere Nacht“ ist einer der Krimis, die man sich dieses Jahr auch auf eine kurze Leseliste setzen sollte.

Jim Thompson: In die finstere Nacht. Deutsch von Gunter Blank. Heyne Hardcore TB, München. 272 Seiten, 9,99 Euro. Auch als eBook.

Jim Thompson: Jetzt und auf Erden. Deutsch von Peter Torberg. Heyne Hardcore TB, München. 336 Seiten, 9,99 Euro. Auch als eBook.