Jo Nesbø ist in seinen erfolgreichen Thrillern bekanntermaßen wenig zimperlich. Der neueste heißt „Durst“ und lotet wieder die Grenzen der Gewaltdarstellung aus.

Nachrichtenzentrale : Lukas Jenkner (loj)

Oslo - Es zählt zur DNA skandinavischer Thrillerliteratur, dass sich die Ermittler hinsichtlich ihrer charakterlichen Verschrobenheit von den Tätern kaum unterschieden. Harry Hole, Osloer Polizeilegende, bildet da keine Ausnahme: trockener Alkoholiker, von gelegentlich fast tödlich verlaufenen Ermittlungen auch optisch gezeichnet und charakterlich schwierig, geht er dauernd an die Grenzen und darüber hinaus.

 

So auch im neuesten Thriller „Durst“, der jetzt in den Regalen der Buchhandlungen steht. Ein Serienkiller findet seine weiblichen Opfer über die Dating-App Tinder und hat sich ein besonders grausiges Mordwerkzeug zugelegt, von dem an dieser Stelle weiter nichts verraten werden soll. Nur so viel, weil es im Klappentext steht: Nesbø hat sich für diesen Fall des psychologisch abseitigen Themas Vampirismus angenommen: Es geht um Menschen, die sich für Vampire halten und das auch ausleben.

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Der Leser mag sich selbst ausmalen, was das heißt für das Potenzial an Gewaltdarstellung in „Durst“. Nesbø, der sich auch schon früher den Vorwurf gefallen lassen musste, in brutalen Fantasien zu schwelgen, erreicht jedenfalls eine neue Stufe in der expliziten Gewaltdarstellung.

Manchen Leser schreckt das zweifellos ab, was schade ist, denn eigentlich ist „Durst“ ein komplex konstruierter Thriller, der meistens Spaß macht und in der zweiten Hälfte, als eine unerwartete Wendung aus dem Catch-me-if-you-can-Plot einen Whodunnit mit Verschwörungsvariante macht, mächtig an Tempo gewinnt. Die Auflösung wiederum erinnert dann in ihrer Inszenierung an klassische Hercule-Poirot-Krimis von Agatha Christie.

Zugleich ist „Durst“ auch ein Sittengemälde der Osloer Stadtgesellschaft, die Nesbø mit opportunistischen, sexuell untreuen, aber auch ehrlichen und liebenswert verschrobenen Charakterköpfen bevölkert. Nesbø-Fans kommen zweifellos bei „Durst“ wieder auf ihre Kosten, alle anderen müssen sich auf kernige Szenen blutiger Gewalt einstellen.

Jo Nesbø: Durst. Aus dem Norwegischen übersetzt von Günther Frauenlob. Kriminalroman, Ullstein-Verlag 2017. Hardcover, 624 Seiten, 24 Euro, auch als E-Book, 18,99 Euro.