Der Burgschauspieler Joachim Meyerhoff erzählt sein Leben. Im dritten Band der Familiensaga setzt er seinen extravaganten Großeltern ein bewegendes Denkmal und beschreibt, wie das Nilpferd zur Rampensau wurde.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Es gibt nicht so viel zu lachen in der deutschen Literatur. Die Überzeugung, dass die Kunst heiter sei, und das Leben ernst, ist etwas aus der Mode gekommen. Einzig die Großmutter des Burgschauspielers Joachim Meyerhoff wüsste die Quelle jener Schiller-Maxime noch eindeutig zu benennen, war sie doch selbst einmal eine gefeierte Heroine auf den Bühnen der Zeit. Nun verschafft ihr der Enkel in seinem neuen Roman einen letzten großen Auftritt. Und so ergreifend die große alte Dame darin agiert, lustiger hat sich das Reich des Scheins selten in den letzten Dingen des Daseins gebrochen.

 

Champagner, Weißwein, Whisky, Rotwein, Cointreau – so lautet die Abfolge des strengen alkoholischen Hofzeremoniells in der Münchner Villa unweit des Nymphenburger Parks, in der Meyerhoffs Großeltern residieren. Nichts geschieht hier ohne große Geste, das Dramatische erscheint in das Alltägliche hinübergerutscht, was am Esstisch zu eindrücklichen Szenen führt: „Es konnte passieren, dass Großmutter wie von einem tiefen Schmerz durchdrungen den Blick in die Ferne schweifen ließ, so langsam die Arme hob, dass nicht einmal die goldenen Armreife aneinanderklackten, und erst, als sie sicher war, dass alle am Tisch gebannt zu ihr sahen, sagte: ,Moooahhhh…‘, und dann, nach einer langen spannungsgeladenen Pause, ,der Brie ist ja ein Gedicht heute Abend.‘“

Himmelfahrt im Treppenlift

Es sind Bravourstücke der Charakter-Darstellung, in denen Meyerhoff das Leben zweier besonderer Menschen ausleuchtet, vom ersten Frühstückschampagner nach der Turnvater-Jahn-Gedächtnis-Choreografie des Großvaters, eines Philosophieprofessors, bis zur abendlichen beschickerten Himmelfahrt im Treppenlift, wenn das betagte Paar würdevoll winkend entschwebt „wie zwei volltrunkene alte Engel“. In ihrem Haus fand der Zwanzigjährige Unterschlupf während seiner Ausbildung an der Münchner Falckenbergschule, an der schon die Großmutter einst unterrichtet hatte.

Seit einigen Jahren ist Meyerhoff dabei, sein Leben aufzuschreiben. Weil er aber von Haus aus eben Schauspieler ist, und erst später zum Autor wurde, erlebt man hier gewissermaßen die Umkehrung des mittlerweile gängigen Verfahrens: Hier wird kein Roman für die Bühne bearbeitet, sondern ein sehr besonderes Theaterereignis in Literatur gefasst. In einem sechsteiligen Zyklus hat Meyerhoff als eine Art Alleinunterhalter seine Familiensaga szenisch aufgeführt. 2007 wurde er auch dafür zum Schauspieler des Jahres gekürt, zwei Jahre später mit der Produktion zum Berliner Theatertreffen eingeladen.

Mit den Brustwarzen lächeln

Der Erzähler ist also ein Geschöpf der Bühne, und von dessen schwieriger Geburt handelt der mittlerweile dritte aus dem Projekt hervorgegangene Roman. Nach einer Kindheit in der Anstalt, deren Direktor Meyerhoffs Vater war („Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“, 2013), einer Jugendgeschichte als Austauschschüler in Wyoming („Alle Toten fliegen hoch“, 2011) erzählt nun „Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ von einem, der auszog, als Zivi in einem Münchner Krankenhaus Schwesternschülerinnen flachzulegen, stattdessen aber als Schauspieleleve lernt, mit den Brustwarzen zu lächeln.

Nichts deutet zu nächst darauf hin, dass er sich dabei besonders geschickt anstellt. Was allerdings auch an den absurden Ritualen der Ausbildung liegen kann: Man mag noch vage Vorstellungen von einem Anapäst haben, aber wem würde es bei der Deklamation dieses Versmaßes nicht die Sprache verschlagen, griffe ihm dabei die mit Sprachrhythmen betraute Lehrkraft an den Hintern zu den Worten: „Und hier mein lieber Held, immer schön locker bleiben. Mach das Löchlein weit.“ Und wie soll man die gestellte Aufgabe lösen, Fontanes „Effie Briest“ einem Nilpferd ins Maul zu legen? So sehr sich der junge Mime müht, im Zoo das Urbild studiert, seine Mimesis gelangt über die Anmutung eines großen dünnen Mannes, dem es außerordentlich schlecht zu gehen scheint, nicht hinaus. Nein, von diesem verstörten Nilpferd führt kein gerader Weg zu der späteren Rampensau, die sich mit entfesselter Lust durch klassische Texte wühlt.

Bechern bis ans Ende aller Tage

Der Pannenbericht dieser Lehrjahre zündet ein virtuos aufbereitetes anekdotisches Feuerwerk. Aber erst im Leiden findet Meyerhoff zu sich. Das stimmt insofern, als eine Anverwandlung von Goethes „Werther“, aus dem der titelgebende Ausruf stammt, den ersten großen Theatererfolg einbringt. Es stimmt aber auch in einem tieferen Sinn. Denn erst vor dem dunklen Hintergrund sehr ernster Erlebnisse wandelt sich die drastische Komik in Humor. Humor ist der lächelnde Bruder des Schmerzes. Meyerhoff bringt beide zusammen. Es ist diese Dimension, die sein Lebens-Erzählprojekt aus der Flut der Künstler-Memoiren weit hinausragen lässt.

Die entsetzliche Lücke, die der Tod des Bruders gerissen hat, bildet wie in den bereits erschienen Bänden ein existenzielles Widerlager zu den hingeflatterten Flugübungen und Abstürzen der Selbsterfahrung. Und wie die Zeit über die Ewigkeitsrituale im großelterlichen Haus obsiegt und die schöne unzeitgemäße Grandezza nach und nach in Schwerhörigkeit, Funktionskleidung und Vergesslichkeit verfliegt, ist mit einer so zarten Einfühlung gezeichnet, wie sie nur jemand aufbringt, der weiß, wie Nilpferde wirklich ticken. „Moooahhhh!“ Zum Dank, dass die beiden alten Leute ihn während seiner Münchner Jahre aufgenommen haben, hat er sie dauerhaft im Gedächtnis der Leser eingemietet. Dort dürfen sie nun bechern bis ans Ende aller Tage.