Jochen Sandig, der neue Intendant der Ludwigsburger Schlossfestspiele, hat das Programm seiner ersten Spielzeit im Mai und Juni 2020 vorgestellt. Es wird ziemlich bunt, nachhaltig soll es außerdem sein, und sogar die Einstürzenden Neubauten sind dabei.

Ludwigsburg - Auf den Stehtischen im Ludwigsburger Palais Graevenitz liegen kleine, bunte Karten. „World Human Forum“ steht auf ihrer Rückseite: Das ist die Institution, die Jochen Sandig, der in Esslingen geborene, jetzt aus Berlin kommende neue Intendant der Ludwigsburger Schlossfestspiele, mit aufgebaut hat, um die 2012 formulierten Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen bekannter zu machen. Auf der Vorderseite der Karten liest man, was die Gesellschaft von morgen alles anstreben sollte. Zum Beispiel: Armut beenden, Ernährung sichern, Gesundheit fördern, Bildung für alle, Klimawandel bekämpfen, Ökosysteme schützen, Gleichstellung der Geschlechter, Nachhaltigkeit bei Wirtschaftswachstum, Städtebau, Konsum, Frieden, Gerechtigkeit.

 

Brisante, wichtige Themen. Was aber haben sie mit Musik, was mit einem Festival zu tun? Der Kulturmanager Jochen Sandig hat nie die Kunst als Blase verstanden und Künstler als Wesen einer vom wahren Leben abgetrennten Welt. Deshalb stellt er, als er am Freitag erste Eckdaten seines Ludwigsburger Festspielprogramms bekannt gibt, nicht nur zwölf Veranstaltungen, sondern auch das Konzept dahinter vor: „Wir möchten als Kulturträger daran mitwirken, dass die Nachhaltigkeitsziele der UN bekannter und umgesetzt werden.“ Ludwigsburg, 2014 als nachhaltigste Stadt Deutschlands in ihrer Größe ausgezeichnet, sei genau der richtige Ort, um das zu versuchen. Wie ungewöhnlich diese Idee ist, erhellt schon die Tatsache, dass der deutsche Bundestag tags zuvor eine einmalige Projektförderung für das Festival beschlossen hat: Mit drei Millionen Euro wird Berlin die Schlossfestspiele unterstützen.

Jochen Sandig, strahlt, als er das erzählt: Was für ein Erfolg, noch bevor es in Ludwigsburg wirklich los geht! Dann zeigt er auf das knallbunte Werbeplakat, auf dem der Berliner Grafiker Daniel Wiesmann – „er ist in Ludwigsburg geboren, und er ist einer der besten in seiner Branche!“ – den Schlossfestspielen ein neues grafisches Outfit verleiht. Die Farben der Karten kommen alle darauf vor, und die Anmutung ist (mit dem Konterfei der Dirigentin Alondra de la Parra, die als Gast das Festspielorchester dirigieren wird) betont weiblich. Die Aufschrift „Ludwigsburg Festival“ neben dem nun dreigeteilten Kompositum Schloss/Fest/Spiele kündet vom betont internationalen Blick der Veranstalter.

Die Choreografin Sasha Waltz kommt gleich zum Festivalbeginn mit „Dido and Aeneas“

Dabei fällt Jochen Sandigs Programm, das bei etwa gleich gebliebener Veranstaltungszahl auf acht Wochen konzentriert wird, gleichsam mit der Tür ins Haus: Gleich zu Beginn, am ersten der acht Festival-Wochenenden (7.-9. Mai), bringt die Ehefrau des Intendanten, die Choreografin Sasha Waltz, ihre schon vielerorts gezeigte, 2005 entstandene Version von Henry Purcells „Dido and Aeneas“ an drei aufeinander folgenden Abenden ins Forum am Schlosspark. „In meinem ersten Jahr hier“, erläutert Sandig, „war eine Neuproduktion noch nicht möglich.“ Als Koproduktion mit dem Podium-Festival Esslingen wird außerdem zwei Mal das Projekt „Pixelsinfonie“ zu erleben sein, ein „Musiktheater für 30 Hotelzimmer“, bei dem sich Beethovens „Pastorale“ aus Einzelklängen zusammensetzt, die aus geöffneten Fenstern auf die Straße tönen. Die Musiker, die man anschließend in ihren Räumen besuchen kann, gehören zum Festspielorchester. Dessen „ungeheure Begeisterung“, betont Sandig, sei für das Festival wichtig; dennoch soll es „zunächst einmal“ keinen neuen Chefdirigenten geben, und man wolle auch bei diesem Kollektiv „die Menschen hinter der Masse zeigen“, also die Orchestermitglieder auch solistisch einsetzen. „Die finanzielle Lage der Schlossfestspiele“, so der Intendant, „ist angespannt, und es ist für mich eine große Herausforderung, nicht nur künstlerisch, sondern auch wirtschaftlich erfolgreich zu sein.“

Mehr Tanz wird es zukünftig in Ludwigsburg geben – 2020 kommt schon mal das Tanztheater Wuppertal mit Pina Bauschs „Vollmond“. Das Mandelring-Quartett wird an fünf Abenden Schostakowitschs 15 Streichquartette spielen, die Sopranistin Marlis Petersen gibt mit dem Sirius-Quartett einen Abend zwischen Barock, Klassik und Improvisation, Jochen Sandig bringt seine Inszenierung von Brahms „Deutschem Requiem“ als Auswärtsspiel in die Stuttgarter Liederhalle, und am Ende gibt es, „weil es uns um die Musik als Ganzes geht“, sogar ein Konzert der Einstürzenden Neubauten. Die „unsichtbare Mauer in den Köpfen der Menschen“ mit neuen Konzepten, Formaten und Mischungen zu durchbrechen, ist nämlich auch ein prominentes Ziel des neuen Intendanten. Es wäre durchaus auch ein Nachhaltigkeitskärtchen wert. Aber: „Bitte“, sagt Jochen Sandig“, „erwarten Sie nicht alles schon im ersten Jahr. Wir haben noch fünf Jahre vor uns.“ Mama und Papa Sandig, die auch dabei sind, lächeln stolz.