Jochen Siebenrock ist von alten BMW-Motorrädern begeistert. In seiner Wendlinger Werkstatt bewahrt er eine technische Tradition.

Region: Andreas Pflüger (eas)

Wendlingen - Ein Getriebe mit Kickstarter für die R 90 S, eine Sitzbank für die R 75/5, ein Rückspiegel für die 1100er-GS, eine Stößelrohrdichtung für alle R-45-Modelle: für BMW-Motorräder gibt es im Hause Siebenrock alles, sofern sie zwischen den Jahren 1969 und 1996 gebaut worden sind, und – vor allem – zwei Ventile haben. Die luftgekühlten Boxer-Maschinen haben es dem Geschäftsführer Jochen Siebenrock und seinen neun fest angestellten Mitarbeitern angetan, und so hat sich im Laufe der Jahre ein ehemaliges Autohaus im Wendlinger Industriegebiet Wert zum größten Ersatzteillager für bayerische Zweiventiler in ganz Europa entwickelt.

 

Ob neu oder gebraucht, ob im Originalzustand oder technisch weiterentwickelt, wer seine „Gummikuh“, wie die BMW-Motorräder mit luftgekühlten Boxermotoren im Biker-Jargon genannt werden, reparieren muss, restaurieren möchte oder schlicht aufpeppen will, wird in der Neckarstadt fündig. „Egal was es ist, wir haben es entweder vorrätig oder können es irgendwie besorgen“, sagt der Chef des Betriebs, den es in der heutigen Form und am jetzigen Standort seit zwölf Jahren gibt. „Wenn die Nachfrage stimmt, überlegen wir uns aber auch, ob wir die jeweiligen Teile oder das notwendige Zubehör neu auflegen und dabei unser Knowhow einfließen lassen, um mögliche Verbesserungen zu realisieren“, fügt er hinzu.

Die dafür notwendige Erfahrung, gerade was Werkstatt und Vertrieb angeht, ist zweifellos vorhanden. Schließlich hat die ganze Geschichte schon 1984 begonnen, und zwar in einer Garage in Stuttgart-Büsnau. Eine Wohngemeinschaft, drei Studenten, alle drei begeisterte BMW-Fahrer, darunter der angehende Architekt Jochen Siebenrock. Das Geld war naturgemäß knapp, aber immer wieder musste am Motorrad eben doch irgendetwas herumgebastelt oder wieder hergerichtet werden. Die gemeinsame Idee: umso billiger die Ersatzteile, umso mehr Mammon bleibt für den Sprit und für ausgedehnte Ausflüge übrig.

Die Regale drohen zusammenzubrechen

Immer mehr gebrauchte Kotflügel, Auspufftöpfe, Nockenwellen, Federbeine, Kupplungen und alle weiteren Notwendigkeiten für einen ungetrübten Fahrspaß fanden den Weg nach Büsnau. Die Garage war bald schon zu klein, die darin aufgestellten Regale drohten zusammenzubrechen. Das Trio begann, Kumpel und wiederum deren Kumpel mit dem Erforderlichen zu versorgen. Aus dem ursprünglichen Eigenerwerb wurde nach und nach ein Nebenerwerb. Parallel zu seinem Architektenjob baute Jochen Siebenrock sein Geschäft mit den Motorradteilen aus, „solange, bis das Hobby zum Beruf und der Beruf zum Hobby wurde“, wie er erklärt.

Von der Passion für die Zweiventiler ist indes nichts verloren gegangen, auch wenn der 56-Jährige heute kaum noch selber den Helm aufzieht: „So komisch sich das anhört, aber aufgrund meines Jobs ist das Motorradfahren flöten gegangen.“ Das liegt nicht zuletzt daran, dass sein Arbeitstag ebenso selten nach acht Stunden zu Ende ist wie der seiner Beschäftigten. „Wenn’s Spaß macht, dann schafft man gerne, mit Elan und mit Herzblut.“ Hochwertige Produkte zu entwickeln und dann nur halb bei der Sache zu sein, das funktioniere ebenso wenig, wie es möglich sei, im Vorbeigehen ausgefallene Kundenwünsche zu erfüllen. „Ich bin wirklich froh, ein solch tolles Team um mich herum zu haben, das voll hinter den Zweiventilern steht.“

Was ihn und seine Truppe an den alten BMW-Maschinen am meisten fasziniert, ist deren Einfachheit. „Das ist die pure Mechanik, die völlig logisch aufgebaut ist und wie ein überschaubares Baukastensystem funktioniert“, sagt Siebenrock. Diese Begeisterung wird nach wie vor von zahllosen Bikern geteilt, die ihre Gummikuh gegen kein anderes Motorrad der Welt eintauschen würden. So kommt die Kundschaft mittlerweile aus ganz Deutschland, aus Österreich, aus der Schweiz, aus Italien und aus Frankreich nach Wendlingen. Ausgeliefert wird aktuell sogar in 80 Länder, kreuz und quer über den Globus verteilt.

Siebenrock pflegt die Boxer-Historie

Und sollte sich ein eingefleischter BMW-Fan schweren Herzens doch einmal von seiner Maschine trennen, findet er im Zweiventil-Guru Siebenrock einen dankbaren Abnehmer. „Wir kaufen alte Maschinen auf, um sie entweder im Original zu restaurieren oder eben mit verbesserter Technik neu aufzubauen.“

Die GS 2 ist beispielsweise eine solche Weiterentwicklung Marke Siebenrock: ein Motorrad ohne Schnick und Schnack, eine Reduktion auf das Wesentliche, aber mit verstärkten Federn, verbesserten Bremsen, einem bärigen Motor und einem Auspuff aus Edelstahl – montiert und zusammengesetzt in Wendlingen.

Wenn Jochen Siebenrock über „das Baby“ spricht, bekommen seine Augen einen seltsamen Glanz. Er kuschelt sich hinein in die Boxer-Historie, schwärmt von den alten Modellen, die er in seinem Ausstellungsraum stehen hat und deren Lebensgeschichte er in allen Details zu kennen scheint. Er spricht von der Tradition, die er bewahren möchte, von Idealismus, ja sogar von Liebe. Mit seinem Enthusiasmus habe er längst auch die BMW-Oberen in München überzeugt, erzählt er: „Dort sieht man das, was wir hier machen, absolut positiv. Der Kontakt zu uns wird gesucht, nicht zuletzt, weil wir uns ja ein Stück weit um die Firmengeschichte kümmern.“

Eine Reise in die Vergangenheit

Das Sichkümmern gehört im Hause Siebenrock zur Geschäftsphilosophie. „Manchmal steigern wir uns in die Arbeit bestimmt sogar zu sehr rein, weil das Motorrad, das vor uns steht, für uns viel mehr ist als nur ein Auftrag“, sagt der Chef.

Damit sie ihren Koryphäen-Ruf erhalten, sind Jochen Siebenrock und seine Leute, die alle schon seit vielen Jahren in der Werkstatt tätig sind, viel unterwegs. Entweder real, bei Lagerauflösungen etwa, oder virtuell im Internet. „Gerade durch die vielen Informationen, die wir aufsaugen und die uns zugetragen werden, können wir einschätzen, woran’s im Einzelfall fehlt“, sagt der Geschäftsführer. Hinzu komme die lange währende Präsenz in dieser Marktnische. Vor allem Mund-zu-Mund-Propaganda führt dazu, dass das lebenswichtige Ersatzteillager nicht merklich leerer wird.

Über eine schmale metallene Wendeltreppe geht es hinauf in die heiligen Kammern, in denen sich Anlasser und Vergaser, Räder und Tanks, Bremsscheiben und Krümmer, Scheinwerfer, Fußrasten und vieles mehr nach einem undurchschaubaren System stapeln. Es ist eine Reise in die Vergangenheit. Zum einen, weil BMW diese antiken Kostbarkeiten schon lange nicht mehr herstellt. Zum anderen, weil die Berge an Material und das Sammelsurium an Ersatzteilen jedweder Form der modernen Lagerhaltung widersprechen.

In Siebenrocks Werkstattdomizil in Wendlingen sieht es inzwischen fast so aus wie einst in der Studentengarage in Büsnau: Es ist zu klein, die darin aufgestellten Regale drohen zusammenzubrechen. „Nur auf diese Weise können wir zuverlässig liefern, was ansonsten nicht mehr zu bekommen ist“, sagt Jochen Siebenrock und zuckt angesichts des augenscheinlichen Durcheinanders mit den Schultern. Wie heißt es so schön? Der Kluge hält Ordnung, das Genie beherrscht das Chaos.