Der Johannisturm in Schwäbisch Gmünd wurde in der Stauferzeit erbaut. Er ist das höchste Gebäude in der Stadt der vielen Türme: um die Johanniskirche herum ragen unter anderen der Wasserturm, der Königsturm, der Fünfknopfturm, der Faulturm und natürlich der Glockturm des Münsters in die Höhe.

Schwäbisch Gmünd - Immer herein in die gute Stube, so heißt ja ein geflügeltes Wort, das zur deutschen Willkommenskultur gehört. Könnte der Johannisturm in Schwäbisch Gmünd sprechen, es käme ihm nimmermehr über die Lippen. Seine Stube hoch über der Altstadt betritt man nicht so einfach. Es gilt, sich zu quälen, und was der Turm nicht sagen kann, erzählt Besuchern der Gmünder Münsterbauverein mittels einer „Hausordnung“, die gleich am Treppenaufgang an der Wand hängt. „Der Turmaufstieg ist beschwerlich und anstrengend“, steht da zu lesen. Verlangt werden „Schwindelfreiheit, Trittsicherheit und gute gesundheitliche Konstitution“.

 

Als wenn ein Blick auf die ersten metallenen Steilstufen, die über die historischen steinernen Tritte gelegt wurden und ins Halbdunkel führen, das nicht auch alles schon andeuteten. Gleich die ersten Meter aufwärts lassen die Waden brennen, bis dann eine eiserne Wendeltreppe erreicht wird, die sich bis zur Glockenstube hinaufschraubt. Von dort haben Besucher durch mehrere Fenster einen schönen Blick über die Altstadt, ins Freie gelangen sie aber nicht.

Andererseits handelt es sich auch nicht um eine Kletterpartie der gehobenen Kategorie; wer eine haushaltsübliche Leiter bezwingen kann und über eine nicht zu üppige Leibesfülle verfügt, schafft irgendwie die 140 gewundenen Stufen. Rund 60 Besucher täglich, sagt die freundliche Dame am Kasseneingang zur Johanniskirche (Eintritt: zwei Euro) machten sich auf in die Höhe. Im Eintrittsgeld ist nicht nur die Besichtigung des nach Gmünder Lesart „eindrucksvollsten romanischen Turms in Württemberg“ inkludiert, sondern auch der Johanniskirche selber.

Die Vorväter hatten für künstlerische Details wenig übrig

Der Urbau entstand, so nehmen die Experten an, zur Zeit der Stauferherrschaft ab 1220, als Kaiser Friedrich II. regierte. Im ausgehenden 18. Jahrhundert begann die Re-Romanisierung des Kirchenbaus. Speziell die von außen sichtbaren Verzierungen an den Seitenschiffen und der Westfassade sind neoromanisch.

Was das kunstsinnige Publikum heute entzückt, dafür hatten die Vorväter zumal in Krisenzeiten wenig Auge. Der Ausguck aus der Glockenstube auf 30,36 Metern Höhe (die Turmspitze endet bei 48 Metern Höhe) wurde lange als Wachtposten zur Entdeckung ausbrechender Feuer benutzt. So ist es sehr wahrscheinlich, dass dieses höchste Gebäude der Stadt gewichtigen Anteil daran hatte, dass Schwäbisch Gmünd zu den wenigen deutschen Städten zählt, die einer Verwüstung durch Großfeuer entgingen und die somit ihren frühmittelalterlichen Charakter in die Moderne gerettet haben.

Oben entschädigt für die Treppenplackerei ein herrlicher Rundblick auf die Dächer der Stadt. So gut wie von hier lässt sich von nirgendwo sonst das benachbarte Heilig-Kreuz-Münster betrachten. Aber es wird auch klar, dass Gmünd überhaupt eine Stadt der Türme ist. Um den Johannisturm herum ragen beispielsweise der Wasserturm, der Königsturm, der Fünfknopfturm, der Faulturm und natürlich der Glockenturm des Münsters in den Himmel.

Die Rems-Metropole hat auch ihren schiefen Turm

Über die Jahrhunderte war der Turm immer wieder Großbaustelle, und er ist es wieder. Seit 2008 wird, in mehreren Abschnitten, für viele Millionen Euro saniert, die Gerüste, die sich um den Turm winden, werden wohl noch bis zum Jahr 2020 stehen. Schon von 1959 bis 1970 war ein Noteingriff nötig; der Turm, in morastigem Untergrund stehend, hatte sich mehr und mehr geneigt. Erhalten ist bis heute eine Schrägstellung von knapp einem Meter. Die im Volksmund „Schwäbisch-Nazareth“ genannte kleine Rems-Metropole hat damit also auch ihren schiefen Turm. Die Gmünder selber haben den Johannisturm zeitweise auch „Schwindelstein“ genannt.

Die alten Glocken sind in Kriegszeiten eingeschmolzen worden. In der Turmstube wiederum wohnte – oder besser: hauste – noch bis in die 1930er Jahre die Türmerfrau Franziska Merkle mit zwei Enkelinnen. Man mag sich heute dieses Leben, wo alle Heizmittel und Nahrung über schlecht gesicherte und brüchige Stufen in die Höhe geschafft werden musste, kaum mehr vorstellen. Als die Türmerfrau starb, mussten die Mädchen ins Waisenhaus ziehen. Wer sich für diese Episode interessiert, wenngleich sie nur einen Wimpernschlag in der Geschichte der Johanniskirche bedeutet, wird es nicht mehr so schlimm finden, dass sich beim Heruntersteigen vom Turm noch einmal die Waden melden.

Montags ist die Kirche stets geschlossen

Die Johanniskirche steht auf dem Johannisplatz mitten im Stadtzentrum von Schwäbisch Gmünd. Jedes der innerstädtischen Parkhäuser ist für interessierte Besucher geeignet. Mehr als ein paar Gehminuten braucht es von nirgendwo.

Seit dem Jahr 2006 ist der Johannisturm für Publikum geöffnet. Das Eintrittsgeld in Höhe von zwei Euro gilt für die Kirchenbesichtigung gleich mit. Geöffnet ist der Turm von 1. Mai bis 30. September, jeweils von 11 bis 18 Uhr. Vom 1. bis 31. Oktober verkürzt sich die Besuchszeit auf 17 Uhr. Montags ist die Kirche stets geschlossen.

Die Attraktion des Kirchenschiffs ist die Pfeilermadonna, auch staufische Madonna genannt. Die Figur, geschaffen vermutlich im ausgehenden 12. Jahrhundert, steht im Innenraum unter dem Chorbogen. Sie ist eine der wenigen erhaltenen Kunstwerke der Romanik und gilt als wertvollste Plastik der Stadt Schwäbisch Gmünd.