Am Freitag jähren sich die tödlichen Schüsse auf John F. Kennedy zum 50. Mal. Von „Thirteen Days“ bis „Der Anschlag“ – für das Kino und die Literatur ist Kennedy bis heute eine dankbare Figur – aber eher tot als lebendig, hat der StZ-Autor Rupert Koppold beobachtet.  

Stuttgart - Lasst es uns nicht vergessen, es gab einmal einen Ort, für einen kurzen, strahlenden Moment, der hieß: ,Camelot‘!“. Im gleichnamigen Musical hat König Arthur gerade den Zerfall seines Reiches erlebt, nun wendet er sich mit diesen Zeilen an einen Jungen, der in die Welt hinausziehen und künftigen Generationen vom Glanz der alten Zeiten erzählen soll. Auch Präsident John F. Kennedy hat diese Arthur-Worte immer wieder gehört, der Schluss dieses Musicals, das 1960 am Broadway Premiere hatte, gehörte zu seinen Lieblingsstellen. Wahrscheinlich war es seine Frau Jackie, die den Namen „Camelot“ auch für die Kennedy-Ära übernahm und verbreiten ließ: Das Weiße Haus wurde zum strahlenden Schloss erhoben, die USA zum idealen Reich geadelt.

 

Das Projekt „Camelot“ war die glamouröse Selbstinszenierung eines medienaffinen Präsidenten, seiner Familie und seines Clans, die den Starkult, die Mode, die Homestory und eine erste Ahnung von Popkultur in die Politik einfließen ließen. John F. Kennedy wusste auch als erster US-Präsident das Fernsehen wirklich zu nutzen: Beim Sieg im TV-Duell mit Nixon mag er gute Argumente gehabt haben, vor allem aber sah er mit seinem jungenhaften Lächeln besser aus als der unrasiert und mürrisch dasitzende Konkurrent. Immer wollte Kennedy die Bilderhoheit erringen, sein Image in den Medien selbst entwerfen und kontrollieren. Es zählte für ihn und für sein Publikum eben nicht nur das, was er tat, sondern auch und vor allem, wie er es tat. Überspitzt gesagt: John F. Kennedy war nicht nur Präsident, sondern auch Präsidentendarsteller.

Zu Lebzeiten m Strahlkreis von Hollywood

Schon als Senator ließ Kennedy den PR-Mann Robert E. Thompson die „U.S. Senator John F. Kennedy Story“ drehen, die auch sein Familienleben vorstellt. Dass er sich auch im Strahlkreis von Hollywood sonnte, zeigt nicht nur Marilyn Monroes legendär hingehauchtes Geburtstagsständchen. Im Jahr 1963 erzählt Leslie H. Martinson in dem Spielfilm „Patrouillenboot PT-109“ seine Heldentaten im Zweiten Weltkrieg nach. Der von Cliff Robertson verkörperte Kennedy (den Jackie lieber mit Warren Beatty besetzt hätte), wirke wie ein „Zu-gut-um-wahr-zu-sein-Heiliger“, schreibt der Kritiker Paul Marvis. Auch an der Kasse geht Kennedys Patrouillenboot unter, das Heldenbild ohne Ecken und Kanten ist fürs Kino nicht geeignet, vielleicht weil die große Leinwand dieses Bild nicht nur überhöht, sondern irreal werden lässt.

Auch nach Kennedys Tod strahlt sein Medien-Image lange weiter, und dies so sehr, dass im mythischen Glanz keine Details zu erkennen sind. Das aber provoziert irgendwann dunkle Gegenbilder, in denen Kennedy als Hasardeur, Weiberheld und erster Vietnamkrieger firmiert. Die Belletristik, das Fernsehen oder das Kino nehmen diese Bilder zwar wahr, lassen sie aber nur vorsichtig in den Mainstream einfließen. 1983 wird Kennedy in einer trotz neuer Erkenntnisse immer noch sehr heldischen TV-Serie von Martin Sheen gespielt, der später ungleich bekannter wird als fiktiver Präsident der Serie „The West Wing“. „The Kennedys“ tauchen im Jahr 2010 erneut in einer TV-Serie auf, Greg Kinnear spielt nun den Präsidenten und führt auch ein bisschen dessen diverse Affären und Krisen vor.

Im Kino bleibt er eine Nebenfigur

Im Kino aber bleibt Kennedy, so wie etwa im neuen Film „The Butler“, eine Nebenfigur. Ein etwas größerer Auftritt wird ihm nur in Roger Donaldsons Kubakrise-Thriller „Thirteen Days“ (2000) gewährt, in dem er am Ende seine berühmte Rede zum Weltfrieden („Wir alle atmen dieselbe Luft. Wir alle achten auf die Zukunft unserer Kinder. Und wir sind alle sterblich.“) halten darf. Insgesamt aber steht der Präsidentendarsteller Bruce Greenwood im Schatten Kevin Costners, der den Berater Kenny O’Donnell spielt. Und Costner ist auch der Star in Oliver Stones 1991 gedrehtem „JFK“, in dem das Verhältnis zwischen diesem US-Präsidenten und dem Kino exemplarisch definiert ist: Kennedy-Filme erzählen nicht vom Leben des Präsidenten, sondern von seinem Tod.

Das gilt sogar für ein Melodram wie Jonathan Kaplans „Love Field“ (1992), in dem sich Michelle Pfeiffer als naive All-American-Hausfrau und Jackie-Fan aufmacht, zu Kennedys Beerdigung nach Washington zu reisen und unterwegs erfährt, wie viel an politischer Hoffnung mit diesem Präsidenten verbunden war. Das wichtigste Kennedy-Genre aber ist und bleibt der Verschwörungsthriller. Schon 1973 verwirft David Miller in „Executive Action“ die These vom Alleintäter und zeigt eine Clique von reichen Reaktionären als Strippenzieher. Ein Jahr später, in Alan J. Pakulas „The Parallax View“, versucht ein Reporter vergeblich, das Attentat auf einen Politiker aufzuklären. Und im erwähnten Film „JFK“ erkennt Costner als Staatsanwalt Jim Garrison: „Es gab einen vierten Schuss und ein zweites Gewehr . . . Dies war von Anfang an ein militärisch ausgeführter Anschlag, ein Putsch . . .“

Das Verschwörungsthema als Romanstoff

Nein, die letzte Szene über das Kennedy-Attentat ist noch nicht gedreht, das letzte Wort noch nicht gesprochen. Denn auch die Literatur nimmt sich des Verschwörungsthemas an, 1988 etwa Don DeLillo in „Sieben Sekunden“ oder 1995 James Ellroy, dessen „Amerikanischer Thriller“ die Kennedy-Jahre direkt auf das Attentat zulaufen lässt. Aber warum so viel über diesen Tod? Auch Lincoln wurde ermordet, auch dieses Attentat wurde auf der Leinwand nachgestellt. Doch in die Kinogeschichte eingegangen sind – von John Fords „Young Mr. Lincoln“ (1939) bis zu Steven Spielbergs „Lincoln“ (2012) – jene Filme, die von seinen großen Taten erzählten.

John F. Kennedys Tod aber wird wahrgenommen als der nie mehr zu kittende Riss in der US-Historie, er selber als der große Unvollendete, der so viel Gutes begonnen, aber viel zu wenig zu Ende führen konnte. Und so wurde dieser charismatische, ja, fast schon messianische Präsident nach seiner Ermordung zu einem Helden, in den Amerika all seine Hoffnungen hineinprojizieren konnte, ohne sie dem Test einer Realisierung aussetzen zu müssen. In diesen Verschwörungstheorien schwingt immer mit, dass Kennedy alles anders und besser gemacht hätte, und vielleicht sogar ein wenig der Wunsch, dass die Aufdeckung einer Verschwörung ihn wieder lebendig machen könnte.

Tatsächlich beschäftigt sich in der Literatur das Zeitreise-Genre mit einer Revision respektive einer Reparatur der Historie. Mike Resnik schickt JFK in seiner Story-Kollektion „Alternate Kennedys“ (1992) unter anderem ins König-Arthur-Reich zurück, Michael J. Foy sendet in „The Kennedy Effect“ einen Kennedy aus einem Paralleluniversum auf die Erde, um das Attentat zu verhindern, und sogar Stephen King unternimmt 2011 in „Der Anschlag“ den Versuch, selbigen per Zeitreise zu vereiteln. Doch auch im richtigen Leben wird bei fast jedem Präsidenten – siehe Obama! – darüber spekuliert, wie viel von dem zum Mythos gewordenen Kennedy in ihm drinsteckt. Auch Arthur war und ist schließlich „the once and future King“, also auch jederzeit rückkehrbereit, wenn Camelot einmal in Not gerät . . .