Für einen kurzen Moment bestimmt John Kerry noch einmal die Schlagzeilen. Der scheidende US-Außenminister erklärt seine Sichtweise auf den Nahostkonflikt und stößt den Langzeit-Verbündeten Israel vor den Kopf. Längst geht es um sein Vermächtnis.

Washington - Mehr als 70 Minuten lang hat er die Bühne noch einmal für sich. John Kerry steht auf einem Podium im US-Außenministerium, in 23 Tagen wird er aus dem Amt scheiden, aber er wagt noch einmal einen großen Rundumschlag zum Nahostkonflikt zwischen Israel und den Palästinenserin. Er mahnt, er beschwört. Er wählt viele drastische Worte. Sie werden wohl verhallen.

 

Die großen Sender berichten live, für einen kurzen Moment ist es nicht Donald Trump, der im Mittelpunkt der amerikanischen Nachrichtenwelt steht, auch wenn es in diesen Tagen natürlich bei allem immer auch um den künftigen US-Präsidenten geht. Das Scheinwerferlicht gehört diesmal dem scheidenden Außenminister.

Kerry geht es auch um sein Vermächtnis. Fast 600 Tage verbrachte der Demokrat in seinen vier Jahren als Außenminister auf Reisen. Er legte rund zwei Millionen Kilometer zurück, war in 91 Ländern. Einen beachtlichen Teil dieser Zeit widmete er dem Nahostkonflikt, dem Bürgerkrieg in Syrien und den Atomverhandlungen mit dem Iran. Nicht selten verhandelte er bis tief in die Nacht.

Allem Engagement zum Trotz: Kerrys Bemühungen als Vermittler bei den Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern scheiterten. Der Friedensprozess liegt seit 2014 brach, die Zwei-Staaten-Lösung ist in weite Ferne gerückt. Den Dialog mit Russland über eine Waffenruhe in Syrien beendete er im Oktober. Der syrische Präsident Baschar al-Assad schafft mit Russlands Hilfe weiter Tatsachen. Vor wenigen Tagen fiel Aleppo vollständig in die Hände des Regimes.

Scharfe Worte an die israelische Regierung

Das historische Atomabkommen mit dem Iran kam zwar zustande. Aber mit der Wahl von Donald Trump ist sein langfristiger Fortbestand unsicherer geworden.

Kerry Zeit läuft ab. Vielleicht hat er schlicht nichts mehr zu verlieren, vielleicht ist seine Frustration sehr groß. Kerry, der Kritik sonst üblicherweise sorgsam nach dem Regelwerk der Diplomatie verkleidet, legt jegliche Zurückhaltung ab, als er am Mittwoch zu sprechen beginnt und lange nicht damit aufhören wird.

Scharfe Worte richtet er direkt an die israelische Führung. Die Koalition unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sei „die rechteste Regierung in der Geschichte des Landes“, sagt Kerry, sie schaffe mit ihrer Siedlungspolitik Tatsachen für eine Ein-Staaten-Lösung. Wenn sie diesen Ansatz wähle, könne Israel entweder jüdisch oder demokratisch sein, nicht beides.

Seit sich die USA am vergangenen Freitag bei einer Abstimmung des UN-Sicherheitsrates gegen Israels Siedlungspolitik enthalten hatten, ist ein heftiger Streit zwischen beiden Ländern ausgebrochen. Netanjahu bezichtigte US-Präsident Barack Obama des Verrats. An die Adresse Kerrys hatte er vor der Abstimmung gesagt, Freunde würden Freunde nicht im Sicherheitsrat brüskieren.

Der Außenminister kontert in seiner Rede, unter Freunden müsse man sich auch unangenehme Wahrheiten sagen können. „Leider scheinen manche zu glauben, dass die Freundschaft der USA bedeutet, dass wir jegliche Politik akzeptieren müssen, unabhängig von unseren eigenen Interessen, Positionen, Worten und Werten.“

Kerry warnt auf emotionale Weise davor, die Zweistaatenlösung aufzugeben. „Wir können es nicht erlauben, dass diese Lösung vor unseren Augen zerstört wird.“

Aber so richtig kann der 73-Jährige nicht klar machen, was er mit der Rede eigentlich erreichen will. Kerry habe nur wenig Neues gesagt und vor allem frühere Positionen wiederholt, meint Robert Danin vom Council on Foreign Relations, einer Denkfabrik in Washington. Neue Ansätze für eine Lösung des Konfliktes hätten gefehlt. „Stattdessen lieferte Kerry eine Reihe von Prinzipien für die Grundlage einer Friedensregelung“, schreibt Danin.

Trump kritisiert Israel-Politik seines Vorgängers

Kerry fasste die seit längerem bekannten Ansätze zusammen: eine Vereinbarung auf der Grundlage der Grenzen von 1967 mit vereinbartem Landtausch, Jerusalem als Hauptstadt beider Staaten, die Forderung nach einem vollständigen Ende der Besatzung sowie eine Garantie für Israels Sicherheit.

Aber Kerry muss selbst einräumen, dass die Tatsachen vor Ort eine andere Sprache sprechen. „Einerseits war es die Prämisse der Rede, dass eine Zwei-Staaten-Lösung nahezu unrealisierbar ist, was weitgehend auf die Fortsetzung der israelischen Siedlungstätigkeit zurückzuführen ist“, schreibt Danin. Andererseits sei es ihr Sinn gewesen, dass künftig jemand auf US-Seite auf den dargelegten Prinzipien aufbauen könne.

Aber wer sollte das sein? Der designierte Präsident Donald Trump hat mit David Friedman einen US-Botschafter für Israel ernannt, der ausdrücklich hinter der Siedlungspolitik steht. Und Trump kritisierte die Haltung der scheidenden US-Regierung zum Langzeit-Verbündeten in Nahost zuletzt wiederholt und massiv.

Kerry habe diese Rede schon vor zwei Jahren halten wollen, heißt es in Washington. Im Weißen Haus aber habe es Widerstand gegeben, schreibt die „New York Times“.

Und so wirkt Kerrys Auftritt auch ein wenig verzweifelt. Wie von der Idee getrieben, auf den letzten Metern noch einmal sagen zu müssen, wie es hätte sein können, wenn er sich nur durchgesetzt hätte.