Seit Jahrzehnten liefert der Brite John le Carré großartige Romane aus der Schattenwelt der Geheimdienste. Selten war ein schwächeres Werk dabei. „Das Vermächtnis der Spione“ aber setzt einen großartigen Schlussstrich unter die Reihe um George Smiley und den hier Circus genannten britischen Auslandsgeheimdienst.

Stuttgart - Ein Federvieh, amüsiert sich Peter Guillaum, der im Ruhestand als Hobbybauer in der Bretagne lebt, flattert aufgeregt umeinander, als der Postbote auf den Hof kommt. Aber die Hühner haben diesmal den besseren Instinkt als der britische Ex-Spion. In der Post befindet sich eine Einladung von falscher Freundlichkeit: Peter hat sich in London einer Vorabuntersuchung über bestimmte Phasen seiner früheren Tätigkeit zu stellen.

 

Der Geheimdienst wird von den Erben vermeintlicher Opfer seiner Machenschaften verklagt. Nun versucht die in John le Carrés Büchern „Circus“ genannte Behörde herauszufinden, was da eigentlich los war, wie man die Klage abwehren oder wen man der Justiz und der Öffentlichkeit zum Fraß vorwerfen kann. Das Unterfangen ist nicht leicht. Fast alle benötigten Akten sind beiseitegebracht worden. Was noch vorhanden ist, könnte nicht die Dokumentation eines Täuschungsunternehmens sein, sondern dessen fabrizierter Teil. Und ein Zeuge und Verdächtiger wie Peter Guillaum hat gelernt zu lügen und zu täuschen.

Noch einmal in Smileys Welt

Der 86-jährige John le Carré, selbst einmal in jungen Jahren im Kalten Krieg in Deutschland stationierter Geheimagent, erfindet für „Das Vermächtnis der Spione“ keinen neuen Fall. Die Untersuchung eines entweder schrecklich entgleisten oder perfide vom Planer George Smiley aufs Scheitern hin angelegten Einsatzes bezieht sich auf jene Operation, die Le Carré in „Der Spion, der aus der Kälte kam“ von 1963 geschildert hat. Das ist denn auch schon das Einzige, was man gegen dieses Buch sagen kann: Man darf es nicht lesen, ohne alle früheren Romane zu kennen, in denen der so verschlagene wie tragische George Smiley eine Rolle spielt.

Le Carré hat den Spionageroman stets als Instrument politischer Analyse wie als Spiegel menschlicher Seelenkrisen genutzt. Politisch muss Le Carré den Kalten Krieg nicht noch einmal durchleuchten, es geht ihm ganz und gar um die Zuspitzung existenzieller Krisen auf dem mörderischen Terrain der Geheimdienste. In den Intrigen und Dreifachfinten, den Verrätereien und Heucheleien, den Attacken und Ablenkungsmanövern, in den Selbstzweifeln und Beichtbedürfnissen, den Freundessuchen und dem Liebesfiebern der Agenten erzählt der 1931 als David Cornwell geborene Brite vom Suchen nach Geborgenheit, vom ewigen Misstrauen, vom Wunsch nach Loyalitäten und Zwang zum Verrat, die das normale Leben prägen.

Die alten Voodoo-Götter

Staunenswert an „Das Vermächtnis der Spione“ sind die Eleganz und Stimmigkeit, mit der Le Carré eine hochemotionale Geschichte aus den von Belauern und Mauern geprägten Dialogen diverser Verhörsituationen, dem dienstlichen Ton von Aktenprotokollen und den noch in der rückblickenden Selbstreflexion gefilterten Gedanken Peter Guillaums konstruiert. Im neunten Roman der Smiley-Reihe wird aber auch die mittlerweile theologische Wucht deutlich, die der Circus und seine Funktionäre haben. Die Geheimdienstmanöver wirken einerseits schäbig, andererseits wie Göttersagen aus einem dunklen Voodoo-Pantheon trickreich-unzuverlässiger Dämonengottheiten: Control, Smiley, Bill Haydon, Toby Esterhase, Percy Alleline und wie sie alle heißen. Über die Jahrzehnte haben sie sich als Sinnbilder für bestimmte Aspekte des Daseins im Gedächtnis der Leser eingenistet. Wer sie noch nicht kennt, sollte mit den frühen Werken Le Carrés bald anfangen und sich auf dieses grandiose Spätwerk freuen.

John le Carré: Das Vermächtnis der Spione.
Roman. Aus dem Englischen von Peter Torberg. Ullstein-Verlag, Berlin. 320 Seiten, 24 Euro.