Auch solo ein Erlebnis: Beim „Kastellsommer“ in Stuttgart zeigt John Watts, wie gut das Fischer-Z-Oeuvre auch quasi unplugged funktioniert

Stuttgart - John Watts wird mehr und mehr zum Stammgast auf Stuttgarter Bühnen. Zum bereits dritten Mal binnen zweieinhalb Jahren war der Fischer-Z-Bandleader am Sonntagabend in der Stadt – beim „Kastellsommer“ allerdings unter komplett anderen Umständen. Gastierte er 2017 und 2019 in der szenigen Industriekulisse des Wizemann, so sorgen im Innenhof des Römerkastell diesmal luftig angeordnete Liegestühle und Palettensofas für eine beschauliche Beach-Club-Atmosphäre. Und statt in Quintettbesetzung bestreitet Watts den von den befreundeten Stuttgarter DJ-Legenden Zeljko & Ingo (ehemals Oz, Parkcafe) eingefädelten Auftritt im Alleingang.

 

Die Unterschiede sind beträchtlich: Ohne den Wumms einer Bandaufstellung gibt es das Fischer-Z-Oeuvre hier sozusagen als Lightversion und in semiakustischem Modus zu erleben. Dem gut neunzigminütigen Abend einen daraus unvermeidlich resultierenden Mangel an Wumms und Körperlichkeit vorzuwerfen, wäre allerdings müßig. Sicher: Ein Schlagzeug hätte dem Sound gut getan, und die markanten Bassläufe von Songs wie „So Long“ oder „Room Service“ kann man gar nicht genug vermissen.

Kultfigur des Brit-Rock im Straßenmusiker-Modus

Ein Abend wie ein Wein ohne Alkohol also? Weit gefehlt: Solo zeigt sich Watts als Ikone der britischen Popmusik, die das Beste aus den Umständen macht und weit mehr als nur volumenreduzierte Notlösungen seiner Songs bringt, sondern charmant umgearbeitete Varianten ihrer selbst. Schon sein mal knurriger, mal kehliger, gelegentlich ins Falsett hinaufsteigender Bassbariton genügt vollkommen als Wiedererkennungsmerkmal für den Fischer-Z-Stil.

Und an Rhythmus mangelt es diesen im Geist von New Wave und Reggae abgefassten Hymnen der 80er-Jahre auch in ihren downgesizten Versionen keineswegs. Den Offbeat-Vibe seiner Musik zupft Watts jedenfalls lässig und akzentuiert aus den Saiten seiner Halbresonanz-Gitarre – und den Rest denkt man sich als repertoiresicherer Fischer-Z-Fan (und nur solche fanden den Weg ins Römerkastell) einfach dazu. Als Entschädigung für Nichtgespieltes erleben die zweihundert Fans dafür eine Kultfigur des Brit-Rock im Straßenmusiker-Modus. In T-Shirt, Bermuda-Short und mit breitkrempigem Hut wirkt Watts nahbar, entspannt und wie eben aus dem Urlaub zurückgekommen – und manchmal spielt er auch so.

Er will Europäer bleiben

Die Texte von manchen lange nicht mehr vorgetragenen Songs muss er glatt vom Blatt ablesen, und „Remember Russia“ will ihm so gar nicht gelingen: „Das war Mist, sorry.“ Das Gros der gut zwanzig Lieder im Römerkastell funktioniert hingegen vorzüglich; allen voran das gitarrendominierte „Berlin“, das raubeinig geschraddelte „Limbo“ und selbst das eher cinemascopisch angelegte „Battalions Of Strangers“. Doch John Watts versteht sich nicht nur auf schroffe Riffs, sondern auch auf kämpferische Töne. Die Corona-Krise sei nicht das Ende der Welt, aber womöglich das Ende von manchen Politikern in Brasilien, England oder den USA, hofft er, und seine Heimat sei zwar nicht mehr lange Mitglied der EU, doch er wolle Europäer bleiben.

„Vielleicht beantrage ich die deutsche Staatsbürgerschaft“, sagt John Watts gegen Ende des Abends – dann verabschiedet sich ein unbeugsamer, nimmermüder homo politicus und prachtvoller Musiker mit „Marlies“ und einer Zugabe in die Nacht.