John Williams Roman „Stoner“ über das Leiden eines Literaturprofessors war lange Zeit vergessen. Nun wurde er ins Deutsche übersetzt – höchste Zeit.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Die Liebe zur Literatur garantiert kein gutes Leben. Aber aus einem verkorksten Leben kann ein Buch werden, das es lohnt, alles hinter sich zu lassen, mit was man sonst die Zeit verbringt. John Williams Roman „Stoner“ ist ein solches Buch. Zu seiner Geschichte gehört, dass es lange Zeit vergessen war und ihm erst spät jene poetische Gerechtigkeit widerfuhr, die es selbst seinem Helden gewährt: eine Gerechtigkeit, die mit den Mitteln der Sprache und der Darstellungskraft die sinistren Gesetze der trostlos trüben Wirklichkeit umgeht. John Williams Roman erschien nach vielen vergeblichen Versuchen in den USA zum ersten Mal 1967, um auch gleich wieder zu verschwinden und in den verborgenen Kreisen von Kennern und Liebhabern als Geheimtipp gehandelt auf bessere Zeiten zu warten. Erst lange nach dem Tod seines Autors im Jahr 1994 brachen sie an – in Deutschland erst jetzt mit der kongenialen Übersetzung Bernhard Robbens. Besser später als nie, denn dieses Buch ist ein Meisterwerk. Die Literaturgeschichte kennt zahlreiche Fälle postumer Anerkennungsgeschichten, wer wüsste das besser als John Williams selbst, der als Dozent für englische Literatur lehrte, litt und soff – bis auf Letzteres wie seine Figur, jener Professor Stoner, der dem Roman den Namen gab.

 

Die Liebe zur Literatur wurde diesem Stoner nicht in die Wiege gelegt, eher die zu Kartoffeln, denn seine Wiege stand in einer kleinen Farm im tiefsten Missouri. Wortkarge Eintönigkeit und eine herbe Gefühlskultur prägen seine Kindheit, die nach vier Seiten schon wieder vorbei ist, als der junge Stoner an die Universität aufbricht, um Agrarwissenschaften zu studieren. Doch da ist man ihm längst verfallen, denn ungeachtet seiner späteren geisteswissenschaftlichen Erweckung und Konversion ist es gerade der ungebärdige, raue, reduzierte Ton dieser Herkunftswelt, der vom ersten Wort an in Bann schlägt. Und so zivilisiert Stoner sich später in seiner akademischen Enklave hinter Bücherbergen gegen den Sturm wappnet, der in Gestalt von Krieg und Hass von draußen hereinbricht – bestimmend bleibt eine Haltung, die jener gleicht, mit der seine bäuerlichen Vorfahren früher dem verkarsteten Boden die lebensspendende Ernte zu entlocken versuchten: Konzentration aufs Wesentliche, Leidensbereitschaft, Beharrlichkeit.

Stoner vertauscht den Acker gegen den Campus. Er arbeitet sich zum Professor empor. Doch für seine Mühen wird er knausrig entlohnt. Statt mit den Unbilden des Wetters schlägt er sich mit den Unberechenbarkeiten solcher Elementarnaturen herum, wie sie der hortus conclusus des akademischen Lebens ausbrütet: Menschen wie seinen Kollegen Holly Lomax, der seine körperliche Missgestalt mit brillantem Zynismus kompensiert, an dessen boshaftem und genialem Schützling Charles Walker Stoners Universitätskarriere schließlich zerbricht. Nichts Bedeutendes gelingt ihm, nicht in der Wissenschaft und nicht in der Liebe. Seine Ehe scheitert und reißt das innige Verhältnis zu seiner geliebten Tochter mit sich. Die vorübergehende Erfüllung, die ihm die Beziehung zu einer geistesverwandten Kollegin gewährt, wird eingeholt von den Ränken und Intrigen der Welt, und verpufft ins Nichts, das unter der dünnen Krume der Kultur lauert, in das alles zurücksinkt – wie zuletzt Stoners krebszerfressener Leib.

Nein, aus dem Handlungsverlauf allein wird das Glück nicht erklärlich, mit dem dieser Roman den Leser beschenkt. Es verdankt sich jenem Mysterium der Literatur, dessen Erfahrung Stoner sich verschrieben hat: der Epiphanie, wie es einmal heißt, „durch Worte etwas zu erkennen, was sich nicht in Wort fassen lässt“. Durch die Tristesse dieses Lebens, das der Autor John Williams in Worte fasst, leuchtet als Erkenntnis hindurch, dass in seiner Eigenart mehr Wahrheit liegt als in den vorgesetzten Formen des Gelungenen, Vollendeten, nach denen gemeinhin gewogen und verworfen wird. Auf diese Eigenart ist Williams‘ Kunst der Darstellung gerichtet.