Johnson will nicht gehen In den letzten Zügen

Alles halb so schlimm, signalisiert Boris Johnson vor seinem Amtssitz. Doch ob ihm das noch hilft? Foto: dpa/Frank Augstein

Die Wähler fordern den Kopf von Boris Johnson. Deshalb wird seine Partei ihn fallen lassen, kommentiert unser Londoner Korrespondent Peter Nonnenmacher.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

Keine drei Jahre ist es her, dass Boris Johnson konservativer Parteichef und Premierminister im Vereinigten Königreich wurde. Im Juli 2019, auf dem Höhepunkt der Brexit-Tumulte, drängte er die glücklose Theresa May aus dem Amt. Nun aber scheint Johnson selbst am Ende seines Weges angekommen. Diese Woche begann seine Basis auf so dramatische Weise zu bröckeln, dass es selbst einem Houdini der Politik schwerfallen musste, sich noch einmal zu retten. Für den Fall, dass die ihm verbliebenen Minister ihn nicht noch stürzen würden, nahmen Johnsons Abgeordnete Aufstellung, um ihm endgültig die Tür zu weisen – möglicherweise noch in den nächsten zwei Wochen, bevor die parlamentarische Sommerpause beginnt.

 

Viele Torys, die jüngst noch am Sinn eines Aufstands gegen Boris Johnson in diesem Sommer zweifelten, waren durch die letzten Ereignisse zum Schluss gekommen, dass längeres Zuwarten nicht mehr half, dass sich nichts mehr zum Besseren wenden würde. Dass der Premier vorgab, nichts gewusst zu haben vom fragwürdigen Charakter eines Verbündeten, den er 2019 zum Vizefraktionschef machte, während ihn in Wirklichkeit Topbeamte damals persönlich über den Betreffenden informierten: Das war der Tropfen, der das Fass jetzt überlaufen ließ.

Unbekümmert Rechtsbrüche begangen

Auch demütige Entschuldigungen, dass er „einen dummen Fehler gemacht“ habe, halfen Johnson nicht mehr aus der Klemme. Dass er Minister und Staatssekretäre dazu benutzte, gezielt Unwahrheiten zu verbreiten, haben ihm diese Mitstreiter nicht vergeben. Nach dem Paukenschlag des empörten Rücktritts seines Schatzkanzlers und seines Gesundheitsministers am Dienstagabend setzten sich die Rücktritte einzelner Funktionsträger aus allen Bereichen am Mittwoch kontinuierlich fort.

Angekündigt hat sich diese schwere Krise schon seit Langem. „Partygate“, die Affäre um die Lockdown-Partys in Downing Street, geht Johnson seit Anfang des Jahres nach. Eine lange Reihe anderer Skandale, bei denen der Regierungschef der Lüge bezichtigt wurde, hat seither Schlagzeilen gemacht. Offenbar unbekümmert darüber, ob er gegen geltende Regeln verstieß, hat Johnson mit permanenten Verschleierungen und bewusster Irreführung immer wieder sein eigenes Verhalten zu verbergen und sich selbst in Sicherheit zu bringen gesucht.

Höhnisches Gelächter im Unterhaus

Allein die Lockdown-Partys haben sein Image unwiderruflich zerstört. Gestern ergab eine Blitzumfrage, dass sieben von zehn Briten seinen Abgang verlangen. Ein bezeichnender Wendepunkt in der öffentlichen Stimmung war Anfang Juni, als er mit seiner Frau Carrie auf dem Weg zum Dankgottesdienst für die Queen die Treppen zur St.-Pauls-Kathedrale hinaufstieg und von überallher Buhrufe laut wurden. Inzwischen bricht in beiden Häusern des Parlaments höhnisches Gelächter aus, wenn ein Minister „moralisches Verhalten“ und „Ausrichtung an der Wahrheit“ beschwört.

Mit einem solchen Zerfall ihres Renommees kann die Konservative Partei nicht leben. Zwei auf katastrophale Weise verlorene parlamentarische Nachwahlen Ende Juni belehrten auch zaudernde Torys darüber, was ihnen bei künftigen Unterhauswahlen droht. Die Frage war so zuletzt nur noch, was zuerst kommen würde – ob die Fraktion Boris Johnson absetzen oder ob das Kabinett vorher schon implodieren würde. Einige Minister schienen gestern noch ihren nächsten Schachzug abzuwägen. Johnson selbst machte keinerlei Anstalten, die Koffer zu packen. Aber in der fieberhaften Atmosphäre Westminsters wusste auch er, dass seine Zeit so gut wie abgelaufen war.

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