In Schorndorf hat die Jon Spencer Blues Explosion gespielt. Kurz, aber dafür ganz schön heftig.

Schorndorf/Stuttgart - Obacht: Nicht immer sind die Dinge das, was sie zu sein scheinen. Unbedarften Konzertgängern jedenfalls, die sich nach dem Motto „du, lass uns doch nach Schorndorf gehen, da spielt heute glaube ich ’ne Bluesband“ in die dortige Manufaktur verirrten, ist beim Auftritt der Jon Spencer Blues Explosion ein veritabler Kulturschock sicher gewesen. Statt gut abgehangener Zwölftakter gab’s einen regelrechten Orkan aus rohbauartigem, in den früher siebziger Jahren wurzelndem Garagenrock sowie punknahem Premiumlärm: der Blues, weggeblasen von einer kapitalen Explosion.

 

Seit der Gründung 1990 hat diese Band aus New York ihre Abwrackarbeiten am traditionsreichsten aller popmusikalischen Genres jedenfalls so weit vorangetrieben, dass der Blues heute nur noch als Staubspur über der Musik schwebt – in Triobesetzung zermalmt von den beiden Gitarristen Jon Spencer und Judah Bauer und niedergeknüppelt von Russell Simmins, der sein Schlagzeug so stoisch bearbeitet wie ein Galeerentrommler, der gerade die dritte Schicht nacheinander schiebt. Kurz analysiert der Konzertbesucher das Fehlen eines Bassisten, merkt aber schnell: Ein vierter Mann brächte dieses präzise austarierte, gleichschenkelige Gruppendreieck bloß in Unordnung. Ähnliches gilt für die Songstrukturen: Tempo- oder Klangfarbenvariationen, ein popnaher Kompositionsaufbau, Hits womöglich – derlei Finessen würden die Architektur dieses Sounds eher stören. Richtig gut funktioniert dieser rudimentäre Rock’n’ Roll (der mitunter verdammt viel Funk in den Knochen hat) gerade wegen seiner fehlenden dramaturgischen Ausgestaltung und durch seine Gleichförmigkeit, mit der er sich wie zähflüssige Lava, wie schwerer Teer durch den Saal walzt.

Willkommen im Paralleluniversum

Und durch eine eigentümliche Inszenierung. Denn auf merkwürdige Art fertigte dieses Konzert eine Art Paralleluniversum seiner selbst an: als würde jeder Akkord um etwa eine Sekunde zeitversetzt erneut und in halbem Tempo am Ohr vorbeiziehen. Auch in klangtechnischer Sicht herrschte bisweilen Ausnahmezustand im Manufaktur-Gebäude: Sehr apart drückten diverse Effektgeräte den Sound in tiefste Frequenzen hinunter und brachten das keineswegs in Leichtbauweise errichtete Gemäuer ordentlich zum Beben. Auf der Bühne: wenig Bewegung, kaum Titelansagen, sparsame Publikumsansprache; dafür eine skurrile Filmcollage aus Horror-B-Movie-Szenen, Comic Clips und dokumentarischen Szenen aus dem New Yorker Großstadtdschungel der siebziger Jahre auf einer Videoleinwand hinter der Band – und die 350 Zuschauer erlebten ein brachial-bizarres Set aus Trashkultur und Garagenrock, das zwar nur 75 Minuten dauerte, sich aber glatt doppelt so lang anfühlte.