Josef Theiss hat vor 24 Jahren in letzter Minute eine Leber gespendet bekommen. Seitdem engagiert er sich für das Thema Organspende. Den Vorstoß des Gesundheitsministers findet er richtig.

Bietigheim-Bissingen - Es war die Nacht vom vierten auf den fünften Februar 1994 als das alte Leben von Josef Theiss endete. Der damals 54-Jährige war abgemagert auf 48 Kilo, er hatte einen aufgedunsenen Bauch, gelbe Augen und gelbe Haut, weil der Gallenfarbstoff nicht mehr aus seinem Blut gefiltert wurde. 1988 wurde bei ihm eine Leberzirrhose diagnostiziert. Der Grund: eine Infektion mit dem Hepatitis-B-Virus.

 

Anfangs bemerkte er es gar nicht, aber nach einer Auslandsreise fühlte sich der gelernte Industriekaufmann außergewöhnlich müde und schlapp, „so als hätte ich eine schwere Grippe“, sagt Theiss. Hinzu kam eine ständige Appetitlosigkeit. Als er drei Tage später die Diagnose bekam, habe es ihn eiskalt erwischt. „Wie ein ICE, der bei voller Fahrt von den Schienen genommen wird“, beschreibt er das Gefühl von damals.

Die erste erfolgreiche Lebertransplantation lag gerade 20 Jahre zurück

Bis dahin lief alles gut bei ihm: glücklich verheiratet, drei Kinder, Werbeleiter bei einem großen Industrieunternehmen in Bietigheim-Bissingen. Nun musste er erfahren, dass er eine unheilbare Krankheit hatte, die jenes Organ Zelle für Zelle irreparabel schädigt, das den Körper entgiftet und für die Eiweißsynthese zuständig ist.

Über die Möglichkeit einer Transplantation machte sich Theiss, der heute 78 Jahre alt ist, zunächst gar keine Gedanken. Die erste erfolgreiche Lebertransplantation in den USA lag da gerade mal 20 Jahre zurück, in Deutschland gab es noch viele Vorbehalte gegenüber dieser medizintechnischen Innovation. Ein halbes Jahr später bekam Theiss die nächste Hiobsbotschaft: Er hatte einen Tumor in der Leber. Die Ärzte der Uniklinik Heidelberg schnitten ihm ein Drittel des Organs weg, sagten ihm aber auch, dass er eine neue Leber brauche, falls der Krebs zurück komme.

Ein halbes später die nächste Hiobsbotschaft: Krebs

Nach der Operation ging es ihm besser, vier Jahre lang konnte er wieder arbeiten, doch dann kamen die Müdigkeitsschübe zurück – und der Krebs. Theiss machte eine Chemotherapie, bis im Dezember 1993 die Metastasen weg waren. „Da hieß es erst mal aufatmen.“ Seine Frau Hedi hatte damals noch die Hoffnung, „dass die Sache mit der Transplantation an uns vorbei geht“.

Theiss hatte keine großen Hoffnungen, dass er eine Leber bekommt

Doch der Chirurg machte der Familie klar, dass Theiss jetzt eine neue Leber brauche. Falls der Tumor zurück käme, sei es zu spät. Theiss willigte ein, auch weil es seine einzige Chance war, zu überleben. „Ich habe den Strohhalm genommen und gehofft, dass daraus ein dicker Balken wird.“ Seine Hoffnung war gering, Theiss hat die seltene Blutgruppe AB positiv.

Doch dann ging es überraschend schnell. Im Januar 1994 sollte er nach Heidelberg. Doch seine neue Leber saß in einem Flieger in Amsterdam fest, der wegen eines Schneesturms nicht starten durfte. Sein Zustand verschlechterte sich dramatisch in den kommenden Tagen, Theiss wurde zum High-Urgency-Patienten. Sprich: Dringlichkeitsstufe Nummer 1. Das bedeutet: bekommt er nicht in kürzester Zeit eine neue Leber, stirbt er. Theiss hatte Glück: zum zweiten Mal innerhalb von ein paar Wochen war eine Leber verfügbar. Die Operation glückte, wenn auch mit Komplikationen, so dass er eine Woche im künstlichen Koma lag.

Die erste Mahlzeit im neuen Leben: Spaghetti Bolognese

Theiss erinnert sich noch genau an seine ersten Eindrücke in seinem neuen Leben. Die erste Mahlzeit, Spaghetti Bolognese. Der erste Spaziergang am Heidelberger Neckarufer. Und seine ersten Worte: „Ich habe mir über den Bauch gestreichelt und gesagt: Du bist jetzt ein Teil von mir. Wir gehören zusammen und sorgen füreinander.“

Heute, 24 Jahre später, sagt Theiss: „Ich habe wunderbare Jahre geschenkt bekommen.“ Die wollte er zurückgeben. Er fasste den Entschluss, sich beratend für Menschen einzusetzen, die die beschwerliche Reise in das neue Leben nach der Transplantation noch vor sich haben: die Ungewissheit, das lange Warten, die gesundheitlichen Probleme. Das fiel ihm auch einfacher, als sich herausstellte, dass sein ehemaliger Arbeitgeber ihn nicht weiterbeschäftigen würde. „Ich war durch Umorganisation überflüssig geworden“, sagt er. Theiss beantragte die Berufsunfähigkeitsrente und widmete sich seitdem der Aufklärung für Lebertransplantation.

Theiss befürwortet den Vorschlag von Jens Spahn

1993 trat er dem Selbsthilfe-Verein Lebertransplantierter in Heidelberg bei, 1994 eröffnete er seine eigene Kontaktgruppe für den Kreis Ludwigsburg in Bietigheim-Bissingen. Seitdem erzählt er seine Geschichte – in Schulen, an Ständen auf Marktplätzen, in TV- und Zeitungsinterviews. Er berät Betroffene und Angehörige und macht Krankenbesuche. Besonders traurig ist er, wenn einer seiner Schutzbefohleneen stirbt, weil er nicht rechtzeitig versorgt werden konnte. Knapp 10 000 Menschen stehen in Deutschland auf der Warteliste für ein Organ. Jährlich werden aber nur etwa 3000 gespendet. Dass trotz intensiver Aufklärungsarbeit die Spenderzahlen rückläufig sind, frustriert Theiss, der 2011 für seine Arbeit das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen hat.

Theiss, der von sich sagt, er sei „54 plus 24 Jahre“ alt, findet daher die Debatte um die Widerspruchslösung gut, die der Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vorgeschlagen hat. Geht es nach Spahn, soll künftig jeder Deutsche automatisch ein Spender sein, solange er oder die Angehörigen nicht ausdrücklich widersprechen. „Das ist ein Geben und Nehmen“, sagt Theiss. „Wenn ich erwarte, im Krankheitsfall ein Spenderorgan zu bekommen, sollte ich auch bereit sein, meine Organe im Falle eines Hirntods zu spenden.“

Termin: Die Kontaktgruppe von Josef Theiss trifft sich am 25. September um 15 Uhr im Kronenzentrum in Bietigheim-Bissingen. Er ist erreichbar unter der E-Mail-Adresse josef-theiss@lebertransplantation.de.