Das jüngste Werk des Thrillerautors Joseph Kanon spielt in Istanbul und handelt von einem amerikanischen Geschäftsmann, der als Agentenhandlanger einen letzten Schleuserauftrag erledigen soll. Doch dabei geht alles schief.

Nachrichtenzentrale : Lukas Jenkner (loj)

Stuttgart - „Der Krieg hat einen sehr langen Arm. Noch lange, nachdem er vorbei ist, holt er sich seine Opfer“, hat der deutsche Schriftsteller Martin Kessel einmal geschrieben, und das ist das Thema von Joseph Kanons neuem Thriller „Die Istanbul-Passage“. Wer die Inhaltsangabe liest, fühlt sich an Kanons „In den Ruinen von Berlin“ erinnert, später verfilmt von Steven Soderbergh als „The Good German“. Wie in diesem 2001 erschienenen Buch geht es in „Die Istanbul Passage“ um die Jahre direkt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Und es zeigt sich, dass für die Menschen der Krieg keineswegs zu Ende ist, sondern dass sie weiter leiden und zugrunde gehen an den Folgen dieses epochalen Schlachtens.

 

Dieses Mal ist der Schauplatz Istanbul, heimliche Hauptstadt der Türkischen Republik, die sich bis Februar 1945 am Drahtseilakt der Neutralität abmühte und deshalb für viele Menschen einen Fluchtweg in Freiheit und Sicherheit darstellte. Leon Bauer ist der Held des Thrillers. Er arbeitet eigentlich für eine amerikanische Tabakfirma, doch als guter Patriot hat er sich im Krieg als Kurier und kleiner Agent verdient gemacht.

Im Grunde ist das vorbei, doch der Kalte Krieg wirft seine Schatten voraus. Leon Bauers Auftraggeber hat einen letzten Schleuserjob: Er soll einen osteuropäischen Überläufer aufnehmen und für dessen Weitertransport sorgen – doch dann stirbt im Kugelhagel der Falsche.

Verwirrendes Agentenscharmützel

Was folgt, ist eine Camouflage-Geschichte in der Tradition von Eric Amblers „Die Maske des Dimitrios“ und Graham Greenes „Der stille Amerikaner“. Jeder ist verdächtig, alle scheinen ein falsches Spiel zu spielen oder ihre Loyalitäten zu wechseln.

Weil Kanon seine Erzählperspektive konsequent durchhält und wir Leser von Anfang bis Ende Leon Bauer über die Schulter schauen, machen wir jede Irrung und Wirrung des eigensinnigen und zähen Helden mit – was gelegentlich anstrengend ist, weil man manche Passage mehrmals lesen muss, um zu begreifen, welche fundamentale Wendung die Geschichte jetzt gerade wieder genommen hat.

Zudem entpuppt sich das Agentenscharmützel bald als Vehikel für Kanons eigentliches Anliegen: Die Nöte, Ängste, Schwächen und Widersprüchlichkeiten im Handeln von Menschen zu schildern, die vom Krieg und dem jahrelangen Täuschen und Töten total deformiert und desillusioniert sind. Manchmal fehlt Kanon dabei die stilistische Eleganz Amblers oder Greenes – aber die mussten ja auch keine expliziten Sexszenen schildern.

Istanbulfreunde kommen auf ihre Kosten

Lohnenswert ist „Die Istanbul Passage“ vor allem für Liebhaber der europäisch-asiatischen Metropole. Kanon gelingt es bestens, die klebrige Atmosphäre aus mondäner Eleganz und spätosmanischer Dekadenz einzufangen. Die Buchseiten werden bevölkert von schnöseligen und gelangweilten Amerikanern nebst Ehefrauen, schmierigen Fälschern und schmutzigen Fischern, ehemaligen Haremsdamen und Huren, Geheimpolizisten und korrupten Beamten – und alle haben ihre Motive und treiben ihre Spielchen.

Gelebt, geliebt und gestorben wird in Hotels, alten Herrenhäusern, im Hamam, auf dem Basar und an den Ufern des Bosporus. Dass diese Melange nicht zum Klischee verkommt, liegt daran, dass Kanon trotz aller Wendungen realistisch bleibt – das fehlende glückliche Ende eingeschlossen.

Joseph Kanon: „Die Istanbul-Passage“. Aus dem Englischen von Elfriede Peschel. C. Bertelsmann, München 2014. Gebunden, 480 Seiten, 19,99 Euro. Auch als E-Book, 15,99 Euro.