Der Medienthriller „Die vierte Gewalt“ mit Benno Fürmann will von der Krise des Journalismus in Zeiten der Digitalisierung erzählen. Das ist streckenweise sogar spannend, hat aber mit der Wirklichkeit nur entfernt zu tun.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Die Tochter (Nicole Mercedes Müller) hat die Nase voll: Die Eltern ihrer Mitschüler in der teuren Privatschule sind Professoren, Manager, Rechtsanwälte. Ihr Vater Jan Schulte (Benno Fürmann) ist dagegen freier Journalist. Sein Konto ist im Dauerminus, und wenn die Honorare zu spärlich fließen, fährt er auch mal Medikamente aus. Das Sozialgefälle setzt Mara so zu, dass sie gar die Schule wechseln will.

 

Der Medienthriller „Die vierte Gewalt“ erzählt von der Krise des Journalismus in Zeiten der Digitalisierung, wie Christian Granderath, der beim NDR die Abteilung Film, Familie und Serie leitet, im Presseheft schreibt. Der Autor Jochen Bitzer und die Regisseurin Brigitte Maria Bertele, beide Grimme-Preisträger, haben dafür eine vertrackte Story ausgeheckt.

Dem Berliner Freelancer Schulte wird brisantes Material zugespielt; es belegt, dass die Bundesgesundheitsministerin Elisabeth Stade (Victoria Trauttmansdorff) dafür gesorgt hat, dass ihr Bruder bei einer Herztransplantation bevorzugt behandelt wurde. Schulte wittert die Enthüllung, die ihm beim Nachrichtenmagazin „Die Republik“, für dessen Online-Redaktion er häufig arbeitet, wieder die Festanstellung bringen könnte, die er als Auslandskorrespondent bei der pleitegegangenen deutschen „Financial Times“ verloren hatte.

Doch dann behauptet Schultes Kollegin Britta (Jördis Triebel), die Unterlagen seien ein Fake – damit ist für den Chefredakteur Weishaupt (Oliver Masucci) die Sensation gestorben. Schulte lässt nicht locker und will über ein Porträt von Stades Staatssekretärin, Katharina Pflüger (Franziska Weisz), an Informationen kommen. Kurz darauf wird das Material aus dem Redaktionssafe gestohlen – und der Zweifel an der Integrität der Ministerin wird publik. Aber hat Stade wirklich ihre Macht missbraucht? Vor allem: Hat die Wahrheit jetzt überhaupt noch eine Chance?

Ein Füllhorn an Klischees

Man kann in dem Film durchaus einige stimmige Aussagen über die alte und neue Realität in den Verlagshäusern entdecken – der Medienforscher und langjährige Leiter des Grimme-Instituts, Lutz Hachmeister, hat als Fachberater zur Seite gestanden; zudem haben die Filmemacher in der „Spiegel Online“-Redaktion hospitiert. Ja, es gibt den Auflageneinbruch, den Sparzwang, den Abbau von Redakteursstellen; es gibt die prekären Arbeitsverhältnisse von freien Journalisten, das Hecheln nach Klicks im Online-Zeitalter, den immer schwerer zu durchschauenden Einfluss „von Lobbygruppen und Polit-PR auf die vierte Gewalt“, wie Granderath schreibt.

Doch über dem wenigen an Wahrheit schütten Autor Bitzer und Regisseurin Bertele ein Füllhorn an Klischees aus. Journalisten gleichen, so hören wir da vom Pressesprecher der Ministerin (Devid Striesow), einem „Wolfsrudel“: „Die werden dich jagen, bist du keine Kraft mehr hast“, warnt er die unbedarft-ehrliche Newcomerin Pflüger. Journalisten, so lernt man weiterhin, schreiben Politiker „hoch“ und wieder „nieder“, und ein Tag ohne Scoop, ohne sensationelle, investigative Enthüllung, ist ein verlorener Tag für sie. Ja, sie entscheiden nicht nur über den Aufstieg und Fall von Politikern, sondern sind sogar in der Lage, „Leitfiguren einer neuen Politikergeneration“ aufzubauen und „eine fette Regierungskrise hochzujazzen“.

Klischees ummantelnde Sprachhülsen wie diese hat Bitzer jede Menge auf Lager: „Du bist Politikerin, du hast kein Privatleben“, sagt der Pressesprecher zur Staatssekretärin; der Chefredakteur will „eine wasserdichte Story“, der Journalist will „von innen raus recherchieren“ und fordert vom Verleger: „Lassen Sie mich unabhängig arbeiten!“ Die Unabhängigkeit aber, die er da beschwört, ist in seinem Fall nicht so unversehrt, wie er vorgibt, und beim übrigen Personal ein ganz und gar fragwürdiger Begriff: Denn der Verleger (Ulrich Matthes) hat was mit der Ministerin, beide haben was mit der Pharmaindustrie; die Ministerin hatte zudem was mit dem Kardiologen. Gruber, der ministeriale Pressesprecher wiederum, hat zwar nichts mit seiner Chefin, dafür aber ganz eigene Pläne. Und wird dabei nicht müde zu betonen, dass er vom „Tschornalismus“ kommt. Das Wort Journalist oder Journalismus fällt gefühlt in jedem zweiten Satz und wird dabei fast immer mit dem unsäglichen „tsch“-Laut ausgesprochen.

Der Plot ist trotzdem tricky

Und in diesem filmischen Thesenkonstrukt will jeder was von jedem, jeder manipuliert jeden und hält mit seinen wahren Absichten hinterm Berg. Das hat mit der Realität nur entfernt zu tun, führt aber erstaunlicherweise doch zu einem tricky Plot, der Aufmerksamkeit erfordert, die Spannung hält und immer wieder überraschende Wendungen parat hat. Die Schauspieler agieren überzeugend nuanciert; Fürmann, mit ungewohnt langen Haaren, hält die Balance zwischen von Idealismus wie von materiellen Zwängen gleichermaßen getriebenem Journalisten-Spürhund und treusorgendem Vater; Weisz überrascht mit einer aparten Feinnervigkeit, und Matthes als windiger, wehleidiger Verleger hat ein paar kurze, pointierte Szenen.

Daran, dass inhaltlich heillos überspitzt und vereinfacht wird, ändert all dies freilich herzlich wenig. Wie es scheint, beschleicht die Regisseurin selbst dabei ein ungutes Gefühl. „Es geht uns ja nicht um eine repräsentative Darstellung des deutschen Journalismus, sondern um eine schillernde Figur mit Ecken und Kanten, der man mit Spannung folgt“, biegt sie sich das im ARD-Interview zurecht. Der NDR-Mann Granderath kann noch so betonen, dass die Darstellung keinesfalls mit dem „Geblöke von der Lügenpresse“ zu verwechseln sei – genau jenen, die Differenzierung für ein Schimpfwort halten und hinter allem Verschwörung und Kungeleien wittern, dürfte dieses TV-Drama auf unselige Weise in die Hände spielen.