Jubel in Israel „Endlich können wir durchatmen“

Israel feiert die Freilassung der Geiseln. Foto: imago//Jim Hollander

Israel feiert die Rückkehr der letzten überlebenden Geiseln. Sie werden wie Volkshelden empfangen.

Historisch. Das ist das Wort, das immer wieder fällt im israelischen Fernsehen am Montagmorgen, während der Live-Berichterstattung zur Rückkehr der letzten Geiseln. Das ist kein falsches Pathos, keine Zuspitzung. Es entspricht dem Gefühl, was zahllose Israelis an diesem Morgen empfinden dürften, während sie voller Anspannung vor ihren Fernsehgeräten verfolgen, wie die Geiseln, deren Gesichter ihnen so vertraut geworden sind, zum ersten Mal seit zwei Jahren auf israelische Soldaten treffen.

 

Alon Ohel, 24, der begabte Klavierspieler, der vorhatte, Musik zu studieren. Omri Miran, 48, Vater zweier Töchter, die Jüngere noch ein Baby bei seiner Entführung, nun ein Kleinkind mit geflochtenen Zöpfen, das sich an seinen Vater nicht erinnern kann. Es gibt wohl kaum einen Menschen in Israel, der sie nicht kennt, die Geschichten dieser Geiseln. Und der den Tag ihrer Rückkehr nicht herbeigesehnt hätte, als kenne er sie persönlich: Alon, Omri und all die anderen, deren Gesichter im ganzen Land von Hauswänden und Bushaltestellen, von Autofenstern und T-Shirts lächeln.

Die Hamas übergab die überlebenden Geiseln am Montagvormittag in zwei Gruppen an Teams des Roten Kreuzes, zuerst sieben, dann die übrigen 13. Bei vergangenen Freilassungen hatte die Hamas die Geiseln vor jubelnden Anhängern auf Bühnen präsentiert, einige von ihnen gar gezwungen, Lobesworte für ihre Peiniger in ein Mikrofon zu sprechen. Dieses Mal verzichtete die Hamas auf derartige Propagandashows – so sieht es der Plan des US-Präsidenten Donald Trump vor, auf den Israel und die Hamas sich geeinigt haben.

Die ersten Bilder der Befreiten, die in Gaza in einen Wagen des Roten Kreuzes stiegen, lösten in Israel Erleichterung aus: Immerhin konnten sie auf eigenen Beinen stehen. Allein das schon ist eine gute Nachricht, nach allem, was über ihre Gefangenschaft bekannt ist – unbehandelte Verletzungen, systematisches Aushungern, wochenlanges Fesseln durch schwere Eisenketten und monatelange Haft in dunklen Tunneln.

Zurück in Israel, brachten Soldaten der israelischen Armee die Befreiten zunächst in eine Aufnahmestation nahe der Grenze, wo sie nahe Angehörige treffen konnten und eine erste Untersuchung durchliefen. Omris Frau, Lishay Miran-Lavi, die zwei Jahre lang unermüdlich für die Rückkehr ihres Partners gekämpft hatte, postete am Montagmittag ein Foto von sich und Omri. „Papa Omri ist daheim“, schrieb sie dazu.

Auf dem „Platz der Geiseln“ in Tel Aviv haben Zehntausende Israelis die Freilassung ausgelassen gefeiert. Die Menge schrie begeistert, als Hubschrauber mit den freigelassenen Geiseln den Platz überfliegen.

„Ich bin schon seit gestern Abend hier, ich bin extra aus Haifa gekommen“, erzählt der 37-jährige Daniel Colodro, der in eine israelische Fahne gehüllt ist. „Das ist ein historischer Tag, deshalb wollte ich vor Ort sein.“ Er meint: „Endlich können wir durchatmen.“

Auf einem der Videos ist Einav Zangauker zu sehen, prominente Aktivistin der Protestbewegung für die Freilassung der Geiseln. „Mein Leben, mein Leben“, ruft sie immer wieder, während sie ihren Sohn an sich drückt. Lautes Schluchzen ist zu hören, als es dem Vater von Bar Kuperstein gelingt, aus dem Rollstuhl aufzustehen, um seinen Sohn in den Arm zu nehmen.

Von der Aufnahmestation aus wurden die Befreiten per Helikopter zu verschiedenen Krankenhäusern im Zentrum des Landes geflogen, wo sie voraussichtlich die kommenden Tage, vielleicht auch Wochen bleiben werden, abhängig von ihrer physischen Verfassung. Länger als die körperliche Erholung dürfte jedoch das Heilen der inneren Wunden dauern – sofern das überhaupt möglich ist. Experten gehen davon aus, dass, trotz der psychologischen Betreuung, die der Staat jedem Rückkehrer anbietet, manche Narben wohl für immer bleiben werden.

Vermutlich gilt das auch für die Gesellschaft als Ganzes. Israel ist ein kleines Land mit großen Familien und Freundeskreisen, fast jeder ist, auf die eine oder andere Weise, mit einer der Geiselfamilien verbunden. Ihr Leiden war zwei Jahre lang allgegenwärtig – und damit auch der Horror des 7. Oktober 2023, des blutigsten Tages in der Geschichte des jüdischen Staates. Sei es in Gesprächen mit Überlebenden des Terrorangriffs, mit früheren Geiseln, ihren Angehörigen oder selbst Unbeteiligten – immer wieder fiel in Israel in den letzten zwei Jahren der gleiche Satz: Erst, wenn die letzten Geiseln zurück sind, können wir überhaupt damit beginnen, das Trauma zu bewältigen. Die frühere Geisel Emily Damari fasste in Worte, was wohl viele Menschen in Israel empfinden. Am Montagmittag, kurz nach der Freilassung, sprach der israelische Fernsehsender Kanal Zwölf am Telefon mit ihr. „Erst jetzt“, sagte Damari, heiser vom Jubeln, „kann ich mein Leben von Neuem beginnen.“

In Ramallah kommen Palästinenser frei

Israel hat unterdessen mit der Freilassung palästinensischer Gefangener und Häftlinge begonnen. Erste Busse mit Freigelassenen aus dem Ofer-Gefängnis bei Jerusalem trafen in Ramallah im Westjordanland ein, wie auf TV-Bildern zu sehen war. Kurz vor der Abfahrt der Busse hatten israelische Sicherheitskräfte Tränengas und Schallgranaten gegen Wartende und Journalisten eingesetzt, wie Fernsehbilder zeigten.

In Ramallah, wo die Autonomiebehörde von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas ihren Sitz hat, wurden die Freigelassenen von Angehörigen und Freunden in Empfang genommen und nach Hause begleitet. Es handelte sich um Häftlinge, die zu langen Freiheitsstrafen verurteilt waren. Dazu zählten mehrere Dutzend. Die Zahl war zunächst unklar.

Feiern und Freudenfeste hatte Israel wie schon bei früheren Freilassungen von Häftlingen strikt untersagt. Im Westjordanland hatten sich jedoch hunderte Menschen versammelt. Einige von ihnen trugen Palästinensertücher. Viele riefen den Freigelassenen „Allahu akbar“ zu: Gott ist der Größte.

Insgesamt soll Israel nach der Vereinbarung über eine Waffenruhe mit der Hamas rund 1700 im Gazastreifen festgenommene Palästinenser und 250 zu teils lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilte Häftlinge freilassen. Diesen Austausch hatten beide Seiten bei indirekten Verhandlungen unter Druck von US-Präsident Trump vereinbart.

Nach Auskunft einer palästinensischen Organisation zur Unterstützung von Häftlingen in israelischen Gefängnissen sollten von den 250 Häftlingen mit langen Freiheitsstrafen 154 in Drittländer abgeschoben werden. Von den restlichen 96 sollten 88 ins Westjordanland ausreisen oder nach Jerusalem gebracht werden. Weitere acht wurden in den Gazastreifen transportiert.

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