Giuseppe Ricucci ist ein Händler der ersten Stunde. Er verkauft seit 30 Jahren auf dem Flohmarkt.
S-Mitte Giuseppe Ricucci war gerade einmal 14 Jahre alt („vierzehneinhalb Jahre“, korrigiert er mehrmals), als er von Italien nach Deutschland kam, um sich Arbeit zu suchen. „Freitags kam ich an, samstags hatte ich schon einen Job im Eiscafé Santin“, erzählt Ricucci. Das ist jetzt 37 Jahre her. An den Tag erinnert er sich noch, als wäre dieser gestern gewesen: Wie er nach der Arbeit im Eiscafé über den Schlossplatz geschlendert sei und dort einen Flohmarkt entdeckte. Unzählige Spielsachen habe er dort gefunden. Lauter Dinge, die er selbst als Kind nie hatte.
Seine Eltern lebten bereits in Stuttgart als der 14-Jährige nachkam. Der Vater arbeitete bei der Müllabfuhr. Viel altes Zeugs habe der Vater angeschleppt. Bei den Ricuccis stand alles unbenutzt zu Hause rum, so der Eindruck des kleinen Giuseppes. Da er mehr Geld verdienen wollte, machte er sich kurzerhand als Flohmarkt-Verkäufer selbstständig. Und da begann sie, die Sucht, die ihn bis heute nicht mehr losgelassen hat. Der Drang, Dinge zu sammeln, zu reparieren und auf Märkten zu verkaufen.
Seit 30 Jahren wird auf dem Karlsplatz gehandelt und gefeilscht
Am Samstag, 6. Juli, feiert der Flohmarkt am Karlsplatz, eine Stuttgarter Institution, seinen 30. Geburtstag. Giuseppe Ricucci ist von der ersten Stunde an dabei gewesen. Als der Flohmarkt aus Platzgründen vom Schlossplatz auf den Karlsplatz umzog, ging er mit. Anfangs hatte er einen festen Stand, circa einen Meter groß, meint er heute. „Jeden Samstag habe ich meine Schubkarre gepackt und so viel reingestapelt, wie ich schleppen konnte“, sagt der 51-Jährige. Viel sei das anfangs nicht gewesen. „Ich war ziemlich klein“, gibt er zu. Damals fand er den Flohmarkt noch schöner als heute. „Viele Leute, die von außerhalb kamen, kaufen heute im Internet“, bedauert er. Was ihm auch Sorgen macht, sind die zunehmenden Diebstähle auf dem Flohmarkt. „Da passen wir aber gegenseitig mehr auf“, betont er.
Sein Basislager hat Ricucci in der Weberstraße 86 im Bohnenviertel. In dem winzigen Laden gibt es kaum Platz zum Stehen, überall stapeln sich Puppen, Stofftiere, Möbel und andere Sachen. Der Laden ist nicht nur sein Lagerraum, sondern dort befindet sich auch seine Puppen- und Bärenklinik. Ricucci sammelt nicht nur alte Gegenstände, eine Leidenschaft von ihm ist auch, kaputte Spielsachen zu reparieren. Ein Schild weist auf die Tätigkeit hin: „Operationssaal. Zutritt verboten“. Hinter dem Vorhang ist seine Werkstatt. Bis unter die Decken sind Kisten gestapelt, die alle überquellen. Alles Ersatzteile, die er für seine „Patienten“ braucht.
Vom Feinmechaniker zum Puppendoktor
Neben seiner Flohmarkt-Tätigkeit begann der Italiener mit 18 Jahren eine Ausbildung zum Feinmechaniker bei Mahle, die Grundlage für seine Tätigkeit als Puppendoktor. Rund 15 Jahre arbeitete er dort, über die Märkte tingelte er nebenher. Als die Firma eine Abfindungsrunde anbot, ergriff Ricucci die Chance. „Ich war immer noch verrückt nach altem Spielzeug“, sagt er. Und ein bisschen holt er damit nach, was er in seiner Kindheit nie hatte. Deshalb habe er sich gedacht: „Nimmsch die Abfindung, machsch dich selbstständig“, erzählt er in seinem akzentfreien Schwäbisch-Italienisch. Das war im Jahr 1993.
Keine zwei Jahre später eröffnete er seine Puppenklinik. Von der allein konnte er aber nicht leben. Deshalb verkaufte und verkauft er weiterhin auf dem Karlsplatz alte Dinge. Längst ist er ein professioneller Händler, seine alte Schubkarre hat er schon vor Jahren in ein Auto getauscht. Doch allein des Geldes wegen steht er nicht jeden Samstag von sechs bis 16 Uhr auf dem Karlsplatz. Er gesteht: „Das ist wie eine Krankheit, wie eine Sucht.“ Immer noch finde er es „reizvoll“ morgens in der Früh seinen Stand aufzubauen und von der Gier getrieben umherzulaufen und zu schauen, was die anderen Händler im Angebot haben, was er kaufen, für sich selbst verwenden oder reparieren und teurer weiterverkaufen kann.
Mittlerweile ist er 51 Jahre alt. Ans Aufhören denkt er nicht. „Rente? Das kennen wir Händler nicht“, sagt er. Die Arbeit stecke ihm zwar in den Knochen, doch er habe noch so viele Dinge zum Verkaufen. Die lagern in seinem Geschäft, in seiner Garage an der Rosenstraße und in seiner Wohnung. „Überall da, wo Platz isch“, sagt er.